Es ist Mittagszeit, die Sonne steht im Zenit. Da knattern Hunderte Vespas wie wild los, Hupen ertönen.
Das Orchester ist ohrenbetäubend, der Geruch von Benzin liegt in der Luft. Jeden Moment wird sich der Korso in Bewegung setzten.
Die Vespisti, wie sich die Fahrer der italienischen Kult-Roller nennen, können es kaum abwarten. Seit einigen Stunden warten sie ungeduldig am Kreuzlinger Hafen.
Jedes Jahr Ende Mai fallen die knatternden Vespas in der Schweizer Nachbarstadt ein. Vespa Tre Nazioni Bodensee heißt das Spektakel.
Mit nur 50 Begeisterten hat der Vespa-Club Amici Bodensee vor fünf Jahren das Treffen ins Leben gerufen. Etwa 1000 Vespa-Fahrer sind ihrem Ruf in die Region dieses Jahr gefolgt.
Gelb, Blau, Rot – alle Farben sind vertreten.
Die Vespistis kommen aus vielen Ländern: aus der Schweiz, Deutschland, Österreich, Belgien, den Niederlanden, Spanien – und aus Italien, dem Heimatland der Vespa.
Bereits seit dem Morgen fahren sie im Kreuzlinger Hafen ein und stellen sich in Reih und Glied auf.
Wer hier von Rollern und Rollerfahrern spricht, wird belehrt – mal liebevoll, mal mit Unverständnis. Vespas und Vespistis heiße es.
Die Vespa war eben schon immer mehr als ein simples Gebrauchsfahrzeug. Überhaupt liegt ein Hauch von Italien in der Schweizer Luft.
“Vespa ist Dolce Vita“, sagt Dirk van Rappelen dazu.
Für den Belgier ist Vespa fahren ein Lebensgefühl. Für das Lebensgefühl ist der 54-Jährige mehr als 650 Kilometer angereist – aus Genk.
Er sei natürlich mit dem Auto gekommen, die Vespa im Gepäck. Aber die letzten Meter habe er freudestrahlend auf seiner Lieblings-Vespa zurückgelegt.
Und die ist eine Spezielle – eine Rally 200, Baujahr 1979. Sie entspricht den Statuten seines Classic-Clubs, ist eine Vespa mit Handschaltung.
Vor zehn Jahren habe ihn das Vespa-Fieber gepackt, sagt Dirk van Rappelen. “Ich fahre jeden Tag Vespa – auch bei Schnee.“ Dolce Vita eben.
Das diesjährige Treffen steht unter dem Motto „Flower Power“, angelehnt an die Hippie-Bewegung und das legendäre Woodstock-Festival vor 50 Jahren.
Viele Vespisti tragen bunte Hemden und Blumen im Haar. Zelebriert werden: Frieden, Liebe und Vespa.
Hippie-Kultur und italienisches Dolce Vita gehen gut zusammen. So sehen es die 54-jährige Konstanzerin Bruna Nesce und ihre Tochter Elena Fazzari. Sie sind Mitglieder im heimischen Vespa-Club Amici Bodensee.
Für den Korso hat die Mutter ihre hellblaue Vespa mitgebracht – eine 50L, Baujahr 1967. Die Tochter ist mit ihrer schwarzen Vespa angereist – eine PX 80, Baujahr 1993.
“Ich wollte italienisches Feeling am Bodensee„, begründet Bruna Nesce ihren Vespa-Kauf und schiebt hinterher: “Ich bin eben eine Sophia Loren.“
Die italienische Schauspielerin und Weltberühmtheit posierte auf einer Vespa, auch das hat zum Status als Kultobjekt beigetragen. Nur die echte Vespa Piaggio aus Pontedera in Italien komme ihr ins Haus, sagt sie. Kein Plastikhobel aus Japan und auch kein German Engineering.
Ihre Tochter Elena Fazzari wolle neben ihren zwei Vespas auch ein Motorrad, etwas Größeres eben. Das dürfe dann aber auch aus Italien kommen.
Beim Vespa Tre Nazioni ist der Kult-Roller in allen Farben und Ausführungen zu sehen. Aber einige Modelle erkennen Kenner als etwas Besonderes.
Ein Blick durch die Reihen zeigt: Die meisten Vespas haben ihren Scheinwerfer am Lenker. Hin und wieder lässt sich aber auch ein Exemplar entdecken, bei dem die Leuchte auf dem Rad sitzt.
„Faro Basso“ werden diese Vespas auch liebevoll genannt. Zu deutsch: Lampe unten. Bis Ende der 50er-Jahre wurden Vespas so gebaut, dann wechselte der Hersteller auf Lampe oben. “Angeblich ist das unter Kennern etwas Besonderes“, sagt Mario Kradolfer und grinst.
Der 35-Jährige besitzt eine Vespa 125 Faro Basso. Für ihn sei sie vor allem wertvoll, weil sie ein Familienerbstück sei. Lampe unten oder oben, das ist ihm egal. Die Vespa habe seinem Großvater gehört, sagt der Schweizer. Nach einigen Jahren, die sie nicht benutzt wurde, habe er sich dem Oldtimer dann angenommen.
Ob sich der Vespisti auch vorstellen könne, eine Elektro-Vespa zu fahren? “Nein, das muss knattern“, sagt er erstaunt. “Die Leute reagieren auf die Oldtimer auch ganz besonders.“
Zwei Stunden sind vergangen. Die letzten Vespisti sind inzwischen eingetroffen.
Das Festgelände ist voll und auch an der Straße finden sich Schaulustige ein. Das Polizeigeleit steht bereit für die Fahrt durch den Thurgau. Unter Hupen und mit knatternden Motoren legt er schließlich los, der Korso der Vespisti.