Es ist die Nacht, als ein 34-jähriger Mann vor und in einer Konstanzer Diskothek mit einem Sturmgewehr schießt und einen 50-jährigen Türsteher tötet, ehe er durch Schüsse der Polizei selbst tödlich verletzt wird. Zwei weitere Security-Mitarbeiter, zwei Gäste und ein Polizist werden durch die Tat schwer verletzt, mehrere Menschen erleiden leichte Verletzungen oder einen Schock. Angefangen hatte alles mit einem bereits länger währenden Streit zwischen dem Täter und dessen Schwager, der mit der Bluttat am 30. Juli 2017 um 4.30 Uhr endete.

Chronologie des Geschehens

(Archivbild) Dutzende Schüsse hat der Täter abgegeben, Patronenhülsen wie diese finden sich nach der Tat in der Nähe der Disco.
(Archivbild) Dutzende Schüsse hat der Täter abgegeben, Patronenhülsen wie diese finden sich nach der Tat in der Nähe der Disco. | Bild: Christoph Schmidt/dpa/SK-Archiv
  • Der Täter war zuvor bereits im Club: Der 34-Jährige sucht in dieser Nacht in der Diskothek seinen Schwager, den damaligen Betriebsleiter des „Grey“. Er soll dort laut randaliert haben und erhält Hausverbot. Als Hintergrund wird von einem bereits länger währenden Streit zwischen den beiden ausgegangen. Die Polizei wird gerufen, trifft den Mann aber nach ihrer Ankunft am Club nicht mehr an.
  • Er kehrt mit einem Sturmgewehr zurück: Wenig später lässt der 34-Jährige sich, bewaffnet mit einem Sturmgewehr vom Typ M16, von einem Taxifahrer zurück zur Disco fahren. Die toxikologische Untersuchung wird ergeben, dass er unter dem Einfluss von Drogen und Alkohol stand. Noch auf dem Parkplatz gibt er erste Schüsse ab, dann bewegt sich der bewaffnete Mann auf den Eingang zu.
  • Die Gäste fliehen panisch, dann trifft die Polizei ein: Besucher wählen umgehend den Notruf und verlassen in Panik das „Grey“. Mehrfach schießt der 34-Jährige auf die geschlossene Eingangstür und betritt schließlich die Disco. Über das Foyer geht er weiter in Richtung Hauptraum, um seinen Schwager zu suchen. Auch dort schießt er, zwei Projektile werden später in der Decke gefunden. Fünf Streifenwagen kommen nahezu zeitgleich an der Disco an. Die Beamten stellen laut Polizei „aus taktischen Gründen“ ihre Autos in den Zufahrtsbereichen ab und legen Schutzkleidung an.
  • Der Täter verlässt das Gebäude, will aber zurück: Als der 34-Jährige die Disco verlässt, verschließen Türsteher den Eingang. Zuvor hatte der Täter noch durch die Tür geschossen, ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes wird von Glassplittern im Gesicht verletzt. Beim Versuch, zurück ins Gebäude zu gelangen, schießt der Täter mehrfach auf die verschlossene Tür und deren Verglasung. Offen bleibt, ob der 50-jährige Türsteher zu diesem Zeitpunkt oder davor getötet wird.
  • Ein Polizist wird durch einen Schuss des Täters verletzt: Der ballistische Helm eines Polizisten wird getroffen, als der 34-Jährige auf den Streifenwagen schießt, hinter dem der Beamte Schutz suchte. Eines der Projektile durchschlägt erst die Scheibe eines der Autos und wird schließlich vom Helm aufgehalten. Der Polizist wird dadurch schwer, aber nicht lebensbedrohlich verletzt.
  • Der Täter wird erschossen: Ein anderer Polizist schießt zweimal auf den 34-Jährigen. Eines der Projektile trifft seinen Kopf. Ob das erste oder das zweite, lässt sich nicht beantworten. Laut Polizei und Staatsanwaltschaft habe es sich „um zwei aufeinanderfolgende Schüsse, die abgegeben wurden, gehandelt“. Der 34-Jährige stirbt.
  • Gaffer behindern den Einsatz: Mehrere Personen nähern sich dem am Boden liegenden Täter. Laut Polizei störten sie „die weiteren Einsatzmaßnahmen, um offensichtlich ihre Neugier zu befriedigen“. Bilder der Überwachungskameras ließen außerdem erkennen, dass Gäste nach dem Schusswechsel aus Verstecken hervorkamen, „um Aufnahmen mit ihrem Handy zu machen“.
  • Handy des Täters wird entwendet: Dem Täter, der sterbend am Boden liegt, wird das Smartphone unbemerkt gestohlen. Wie kann das passieren? „Weil sich mehrere Personen sogleich zu dem am Boden liegenden Täter begaben.“ Sie hatten sich demnach „hinter Autos versteckt und mögliche Gefahrenaspekte außer Acht gelassen“. So lautet damals die Antwort von Polizei und Staatsanwaltschaft.
    Polizeibeamte seien deshalb nicht schneller als diese Personen beim getroffenen Täter gewesen, weil sie sich auch einem scheinbar getroffenen Bewaffneten „aus Eigensicherungsgründen sehr vorsichtig nähern“, so die Erklärung weiter. Der Diebstahl wird „erst später bemerkt“, das gestohlene Smartphone schließlich bei einer Person sichergestellt. Die Strafe für den 21-Jährigen: ein Bußgeld in Höhe von 500 Euro. Erste Hilfe hat er laut eigenen Angaben nicht geleistet.

Die Zeugen der Bluttat im Grey

(Archivbild) Am Morgen danach: Eine junge Frau kauert auf der abgesperrten Straße vor dem Club.
(Archivbild) Am Morgen danach: Eine junge Frau kauert auf der abgesperrten Straße vor dem Club. | Bild: Felix Kästle/dpa/SK-Archiv

Melissa Honig sagt 2018 gegenüber dem SÜDKURIER: „Ich werde das nicht vergessen.“ Sie ist damals Personalchefin im „Grey“. Später übernimmt sie mehrere Monate die Betriebsleitung kommissarisch, nachdem der in dieser Funktion arbeitende Schwager des 34-jährigen Täters von der Geschäftsführung der Disco freigestellt worden ist.

Einige Monate nach der Tat verlässt die junge Frau – wie andere Mitarbeiter – das „Grey“. „Wir waren früher ein Team, fast wie eine Familie“, sagt sie. Davon sei nach der Tat nicht mehr viel übrig geblieben. Honig habe in den Minuten und Stunden nach den Schüssen „einfach nur funktioniert“.

Sie erinnert sich: „Ich musste für einen Moment lang weinen, aber dann ging es darum, mich um die Besucher und Kollegen zu kümmern.“ Mitarbeiter und mehrere Dutzend Gäste haben sich in den Notausgangsbereichen und Toiletten versteckt.

„Es wusste niemand wirklich, was genau passierte, die Polizei betrat ja erst gegen 8 Uhr früh die Disco und vorher durfte niemand hinaus“, erzählt sie. Zu diesem Zeitpunkt ist der 50-jährige Türsteher bereits mehr als drei Stunden tot, seine Kollegen tragen die Leiche in den Hauptraum der Disco.

Große Trauer um den Türsteher

(Archivbild) Hunderte Menschen nahmen Anteil am gewaltsamen Tod des 50-jährigen Sicherheitsmannes und Familienvaters.
(Archivbild) Hunderte Menschen nahmen Anteil am gewaltsamen Tod des 50-jährigen Sicherheitsmannes und Familienvaters. | Bild: Christoph Schmidt/dpa/SK-Archiv

Der 50-Jährige, der als Sicherheitsmann im Club arbeitete, hinterlässt eine Frau und zwei Söhne. Er war unter Kollegen beliebt und stadtbekannt. Bevor er in Konstanz arbeitete, war er auch Türsteher in der Schweiz.

An seiner Beisetzung auf dem Hauptfriedhof Konstanz wenige Tage nach der Tat nehmen rund 800 Personen teil, etliche von ihnen tragen sein Bild als Zeichen der Erinnerung am Revers. Die Polizei begleitet die Trauerzeremonie im Hintergrund.

In den Tagen nach seinem Tod starten mehrere Aktionen zur Unterstützung seiner Familie. Die Mitarbeiter eines Friseursalons in Petershausen spenden zudem ihre Einnahmen eines Tages. Auch das „Grey“ spendet die Eintrittsgelder der Wiedereröffnung nach der Tragödie. Nach SÜDKURIER-Informationen dauert es jedoch, bis das Geld auch bei der Familie des Opfers ankommt.

Via Facebook wendet sich ein Bruder des Täters an die Familie des Opfers. „Wir wissen nicht, warum mein Bruder diese Tat begangen hat. Wir (...) möchten uns entschuldigen“, schreibt er damals im sozialen Netzwerk. Doch die Familie ist untröstlich und der Verlust des Vaters bleibt schmerzhaft – die Familie möchte nicht öffentlich darüber sprechen, wie bereits 2018 gegenüber dem SÜDKURIER dargelegt wird.

Der Tod des 34-jährigen Täters

(Archivbild) Durchschuss am Heck eines Polizeiwagens. Der Täter hatte auf die eintreffenden Polizisten gefeuert.
(Archivbild) Durchschuss am Heck eines Polizeiwagens. Der Täter hatte auf die eintreffenden Polizisten gefeuert. | Bild: Oliver Hanser/SK-Archiv

Der Täter mit irakischen Wurzeln wuchs in Konstanz auf, absolvierte zum damaligen Zeitpunkt eine Ausbildung zum Bademeister und hinterlässt eine Frau und drei Kinder. Er und sein Schwager, der damalige Betriebsleiter des Clubs, hätten sich im Streit befunden, heißt es.

Die Polizei macht diesen Familienstreit als Motiv für die Tat aus. Die toxikologische Untersuchung des Mannes ergibt später einen Blutalkoholwert von knapp 1,6 Promille. Laut Staatsanwaltschaft steht er zum Tatzeitpunkt zudem „deutlich unter Einfluss von Kokain und THC sowie sedierend wirkender Medikamente“.

Zweimal schießt ein Polizist auf ihn. Welcher der beiden Treffer tödlich ist, „konnte nicht abschließend geklärt werden“, so Staatsanwaltschaft und Polizei. Sie kommen zur Einschätzung: „Der finale Rettungsschuss war nach den Voraussetzungen des Polizeigesetzes rechtmäßig und aufgrund der Gesamtsituation geboten, um den Täter handlungsunfähig zu machen und um weitere Opfer zu verhindern.“

Ferner habe der Beamte aus Notwehr gehandelt, „da der Täter die Waffe trotz Aufforderung nicht abgelegt hat“. Von einer Gefahr musste ausgegangen werden, da der 34-Jährige auch in der Disco „zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz“ geschossen habe.

Die Kriegswaffe aus der Schweiz

(Archivbild) Diese M16 zeigte die Polizei bei ihrer Pressekonferenz. Es handelt sich dabei nicht um die echte Tatwaffe.
(Archivbild) Diese M16 zeigte die Polizei bei ihrer Pressekonferenz. Es handelt sich dabei nicht um die echte Tatwaffe. | Bild: Oliver Hanser/SK-Archiv

Der 34-jährige Täter hat ein Gewehr vom Typ M16 genutzt. Die halbautomatische Kriegswaffe wird seit mehr als 50 Jahren von US-Streitkräften und zahlreichen weiteren Nato-Mitgliedstaaten genutzt. Je nach Modell können bis zu 950 Schuss pro Minute abgegeben werden.

Im April 2018 wird bekannt: Der „Grey“-Täter hat das Gewehr vom Typ M16 in Kreuzlingen gekauft. Ein Österreicher und ein Deutscher, beide lebten damals in einer Wohnung in der Konstanzer Nachbarstadt, müssen sich deshalb im Juni 2019 vor dem dortigen Bezirksgericht verantworten. Sie haben dem Todesschützen das Sturmgewehr ein halbes Jahr vor der Bluttat verkauft.

Für Vergehen gegen das Waffengesetz werden sie verurteilt: Eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen à 40 Franken auf Bewährung und eine Geldbuße von 1500 Franken werden dem Österreicher aufgebrummt. Der Deutsche erhält eine ebenfalls bedingte Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 100 Franken und eine Buße von 1000 Franken. Beide müssen die Verfahrenskosten tragen.

Freigesprochen werden beide aber wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit Waffen. Es gibt keine Anzeichen oder Beweise, dass die beiden hätten wissen können oder müssen, dass der spätere Schütze eine Straftat mit der Waffe plant. Wären sie in diesem Anklagepunkt für schuldig befunden worden, hätten beiden Freiheitsstrafen und Ausweisung aus der Schweiz gedroht.

Anmerkung der Redaktion

Dieser Artikel erschien erstmals im Sommer 2018, ein Jahr nach den tödlichen Schüssen im Konstanzer Industriegebiet. Er wurde damals von Julia Sondermann und Benjamin Brumm erstellt. In dieser aktualisierten Version fassen wir die Berichterstattung sowie die Folgen der Tat zusammen.