Ein 135 Fußballfelder großes Sperrgebiet vor den Toren von Konstanz: Das ist der ehemalige Standortübungsplatz am Bettenberg. Sollte es hier zu einem Brand kommen, steht den Feuerwehrleuten ein besonders heikler Einsatz bevor. Denn 95 der 170 Hektar großen Fläche zwischen Wollmatingen und Litzelstetten sind mit Munition und anderen Kampfmitteln belastet.
Aber warum ist das überhaupt so? Wer hat sich hier mit welchen Waffen auf den Ernstfall vorbereitet? Und was ist dran an dem Gerücht, dass tausende Techno-Jünger in den 90er-Jahren aller Gefahrenhinweise zum Trotz rauschende Partys am Bettenberg feierten?
Badische Armee, Reichswehr und Wehrmacht bereiten sich vor
Bereits im 19. Jahrhundert wurde der Bettenberg militärisch genutzt, wie der Konstanzer Historiker und Direktor des Napoleonmuseums Arenenberg Dominik Gügel erklärt: „Die badischen Truppen haben dort exerziert und paradiert.“ Der Exerzierplatz am Bettenberg sei durch das Sechste Badische Infanterie-Regiment Kaiser Friedrich III. Nummer 114 genutzt worden, das in Konstanz in Garnison lag, bestätigt auch eine Sprecherin der Bundeswehr auf Anfrage des SÜDKURIER.
Dominik Gügel hält es für wahrscheinlich, dass bereits einige Jahrzehnte später zum ersten Mal Munition auf dem Areal vergraben wurde. Als Verlierer des Ersten Weltkriegs sei Deutschland 1919 im Rahmen des Versailler Vertrags zu massiver Abrüstung gezwungen worden. „Es gibt Hinweise, dass die Reichswehr, beziehungsweise ihre Vorgänger, im Zuge dessen gezielt Munition auf dem Übungsplatz versteckt hat“, erklärt der Historiker.
Fest steht, dass einige Jahre später auch die Wehrmacht Truppenübungen auf dem weitläufigen Gelände vor den Toren der Stadt abhielt.
Mehr als 10.000 feiern Hitlers Geburtstag
In dem Buch „Konstanz im 20. Jahrhundert“ heißt es: „Der Geburtstag des ‚Führers‘ am 20. April 1939 setzte einen letzten Höhepunkt vor Kriegsbeginn.“ Mehr als 10.000 Menschen seien an jenem Tag hinaus zum Bettenberg gezogen, um sich dort eine große Truppenparade anzuschauen.
Wenn nicht gerade paradiert wurde, übte die Wehrmacht auf dem Areal mit dem, was Dominik Gügel als klassische Infanteriewaffen bezeichnet: „Handgranaten, Maschinengewehre, Minenwerfer und Panzerabwehrgeschütze“, zählt der Militärexperte auf.
Bei den Übungen kam auch künstlich erzeugter Nebel zum Einsatz. In einem speziellen Gasraum wurde mit Atemschutzgeräten geübt. „Der Standortübungsplatz wurde auch zur Reitausbildung, für Turniere und zum Fahrtraining mit Pferdefuhrwerken, Autos, Lkws und Panzerattrappen genutzt“, berichtet Gügel.
Was anschließend in den Kriegsjahren 1939 bis 1945 auf dem Bettenberg geschah, liegt weitgehend im Nebel der Geschichte verborgen. Gügel vermutet, dass die Wehrmacht vor dem Einmarsch der Franzosen zum Kriegsende hin erneut Militärmaterial im Boden versteckte. Zeitzeugen berichteten auch davon, dass man dieses Material später wieder ausgegraben hätte.
„Bekannt ist jedenfalls, dass Anfang der 50er-Jahre Kinder aus Wollmatingen im Waldboden auf scharfe Munition stießen“, berichtet der Historiker. Sie hätten ihren Fund mitgenommen und damit gespielt. „Die Explosion, die daraufhin entstand, hat die Kindern das Leben gekostet.“
1945 bis 1978: Franzosen auf dem Bettenberg
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg, zur Zeit der französischen Besatzung, probte man auf dem Bettenberg für den Kriegsfall. In Konstanz stationiert war unter anderem das 129. Régiment d‘Infanterie und das 34. Régiment d‘artillerie. „Neben der Nutzung als Standortübungsplatz diente das Gelände – wie zu Zeiten der Wehrmacht – auch den Franzosen immer wieder für Truppenschauen“, sagt Gügel. „Dem Publikum wurden unter anderem Panzer und verschiedenste Arten von Waffen präsentiert – immer wieder auch verbunden mit den in den 70er-Jahren sehr beliebten Volkswandertagen.“
Obwohl das Betreten des Geländes außerhalb solcher Tage eigentlich untersagt war, habe der Standortübungsplatz bei den Konstanzer Kindern als großer Abenteuerspielplatz gegolten. „Überall ließen sich Hinterlassenschaften der Soldaten finden. Besonders Übungsmunition wie Patronen oder Handgranaten.“

Ein SÜDKURIER-Artikel aus dem Jahr 1982 liefert die folgende Rückschau: „Nach dem Zweiten Weltkrieg übten französische Soldaten der Konstanzer Garnison in dem Gelände, das wie ein Sperrgürtel um den Nordteil der Stadt liegt und jede Ausdehnung der Wohnsiedlung behinderte. Als Ende der70er-Jahre die letzten französischen Soldaten Konstanz verließen, wurde es in dem Gebiet ruhiger.“
Ein Zustand, der aber nicht allzu lange andauern sollte. Im Bericht heißt es weiter: „Da von den Franzosen offenbar noch Munition zurückgelassen wurde, wie die Bergung von Blindgängern beweist, ließ der Standortälteste in eine entsprechende Warnung anbringen.“
Die erwähnten Hinweisschilder, mit denen die Bundeswehr den Zugang zum Gelände untersagte, wurden 1979 angebracht: „Unbefugtes Betreten verboten. Vorsicht Schusswaffengebrauch.“ Unterschrieben war dieser Hinweis vom Bundesminister der Verteidigung – zu dieser Zeit SPD-Politiker Hans Apel.
Die Bundeswehr und Techno im Sperrgebiet
Da Konstanz keine Garnison mehr hatte, nutzen die umliegenden Bundeswehreinheiten das Gelände und die Standortschießanlage. „Fernspäher, Fallschirmjäger, Panzergrenadiere oder Fernmelder haben auf dem Bettenberg geübt. Dazu Polizei und Bundesgrenzschutz“, sagt Gügel. „Ideal war das Gelände für Durchschlageübungen oder die Einzelkämpferausbildung. Es gab eine Hindernisbahn, Behelfsunterkünfte und einen Hubschrauberlandeplatz.“ Unter den Soldaten sei Konstanz allerdings berüchtigt gewesen; schnell sprach sich herum, dass es hier von Schnaken nur so wimmelt.
„Natürlich wurde auch immer wieder scharf geschossen: auf Zielscheiben oder ‚den klassischen Pappkameraden‘“, so beschreibt der Militärhistoriker die Szenen, die sich auf dem Übungsplatz abspielten. Abhängig vom Übungsszenario seien aber auch Kommandoaktionen, wie der Überfall von feindlichen Lagern oder Objektschutz, trainiert worden.
Das begeisterte nicht alle. „Auf dem Übungsplatz wird oft wochenlang scharf geschossen. Je nach Windrichtung begleiten Gewehrsalven und das Krachen schwerer Munition den Tag und schon mancher Litzelstetter und Wollmatinger wurde mitten in der Nacht durch dröhnende Schläge aus dem Schlaf gerissen“, hieß es im September 1993 im SÜDKURIER.
Selbst als die Bundeswehr im Jahr 2000 ganz offiziell das Gelände verließ, wurde es um den Bettenberg nicht viel ruhiger. Zum einen liegt das an den Geländemotorrädern des Motorsportclubs Konstanz, die in der Nähe ihre Runde drehen. Zum anderen an der Schützengesellschaft, an deren Schießständen Polizei und Grenzschutz üben. Zwischenzeitlich war sogar mitten in der Nacht, inmitten des Sperrgebiets wieder lautes Wummern zu hören.
Verantwortlich dafür waren aber keine Kanonenrohre, sondern die tiefen Bässe, zu denen bis zu 2500 Techno-Jünger auf einmal über die Waldlichtungen tanzten. Zwischen 1993 und 1997 hätten mindestens vier solcher Spontanpartys stattgefunden, berichtete ein Beteiligter.
Da die Feiern illegal waren, möchte er lieber anonym bleiben. Er könne sich noch gut daran erinnern, dass die Polizei bei der größten dieser Veranstaltungen auftauchte, von der Größe der tanzenden Menge aber so überfordert war, dass sich die Beamten dagegen entschieden, die Party aufzulösen.
Und heute?
Obwohl die Bundeswehr während den Achtziger Jahren das Gelände Stück für Stück entmunitionierte, gehen Militärexperten immer noch davon aus, dass Überreste von Übungs- und scharfer Munition am Bettenberg verborgen sein könnten. Im Frühjahr 2021 wurde eine Granate, im Herbst 2021 eine Wurfmine auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz gefunden.
Dieser Artikel erschien erstmals im August 2019.