Nein, Zora Schnobrich wirkt nicht wie eine typische 14-Jährige. Älter und reifer trifft es. Sie macht auch nicht das, was ahnungslose Erwachsene von einer typischen 14-Jährigen erwarten würden: pausenlos auf dem Handy Nachrichten tippen, mit Gleichaltrigen auf Partys gehen, coole Musik hören, Jungs den Kopf verdrehen.
Nein, Zora Schnobrich ist da ganz anders. Nicht besser, nicht schlechter. Nur anders. Das liegt an einem außergewöhnlichen Talent, das ihr die Natur mitgegeben hat. Das junge Mädchen ist eine herausragende Balletttänzerin und hat heute schon regelmäßige Auftritte in Pjotr Tschaikowskis Schwanensee im Opernhaus Zürich.

Judith Geibel kennt Zora Schnobrich seit vier Jahren. "Ein Mädchen wie sie ist mit noch nie begegnet", sagt die staatlich anerkannten Tanzpädagogin, die in Stuttgart und in Konstanz arbeitet. "Sie hat außergewöhnliche Voraussetzungen und ist ein absolutes Naturtalent." Als Zora zehn Jahre alt war, tanzte sie noch mit großer Begeisterung Hip Hop.
Am Anfang schrillten die Alarmglocken
Als sie erstmals in der Czerner Dance Academy in der Kreuzlinger Straße auftauchte, eilte ihr schon ein Ruf voraus. "Man hört das ja öfter", erinnert sich Judith Geibel. "Dieses oder jenes Mädchen ist eine ganz tolle Balletttänzerin, tanzt schon seit sieben Jahren und so weiter. Da schrillen bei mir schnell die Alarmglocken. Je begeisterter die Eltern sind, desto gefährlicher ist es." Nicht so bei Zora Schnobrich.
Es dauerte keine Minute, bis die Trainerin in dem jungen Mädchen das Ausnahmetalent entdeckte. "Wie sie läuft, ihre Körperhaltung. Ihre Auswärtsdrehung. Das ist gottgegeben." Wer professionell tanzen möchte, benötigt eine außergewöhnliche Beweglichkeit im Hüftgelenk. Die Flexibilität des Gelenks muss in alle Richtungen deutlich über dem normalen Bewegungsradius liegen. Die Ausdrehung der Beine, en dehors oder auch auswärts genannt, ist im klassischen Ballett für die saubere Durchführung der Bewegungen wichtige Voraussetzung. "Das kann man nur bedingt trainieren", erklärt Judith Geibel.
Training ist nicht immer hilfreich

Die Außenrotation des Beines wird von der Außenrotationsfähigkeit der Hüfte bestimmt. Die Rotation des Unterschenkels gegenüber dem Oberschenkel im Knie ist anatomisch deutlich enger begrenzt und auch durch frühes Training nur wenig zu beeinflussen. Ein forciertes Training dieser Beweglichkeit ist nicht sinnvoll, da es im Falle des Erfolges zu einem deutlichen Stabilitätsverlust im Knie führen würde.
Auch beim Spitzentanz, an den jeder Laie beim Thema Ballett als erstes denkt, hat Zora herausragende Fähigkeiten. "Auch hier verfügt sie über den perfekten Körper", erklärt Judith Geibel. Der Spann muss bei gestrecktem Fuß mindestens so ausgeprägt sein, dass sich vom Schienbein bis zum großen Zeh eine gerade Linie ergibt – bei Zora ist sogar eine leichte Wölbung zu sehen.
Zora Schnobrich wurden diese Fähigkeit in die Wiege gelegt. "Außerdem stimmt bei ihr die Verbindung von Körper und Geist", ist Judith Geibel überzeugt. Das junge Mädchen lächelt während dieser Worte leicht verschämt. "Ballett ist mein Leben", sagt sie schließlich und überrascht damit niemanden: Seit zwei Jahren fährt sie von Montag bis Freitag um 14 Uhr mit dem Zug nach Zürich, um dort ihre Ausbildung zur Ballerina zu absolvieren. Gegen 21 Uhr kehrt sie mit dem Zug nach Konstanz zurück.
Auch am Samstag geht's nach Zürich
Am Samstag ist der Unterricht in Zürich am Mittag – da hat sie tatsächlich einen freien Abend. "Da muss ich meistens für die Schule lernen. Wie auch am Sonntag", berichtet sie. "Unter der Woche habe ich ja nicht so viel Zeit dafür." Freundinnen hat sie zwar – doch das Ballett verhindert regelmäßige Treffen. "Ich habe mich für das Tanzen entschieden", sagt sie. "Also ziehe ich das auch durch."

Balletttänzerin werden – wie geht das? Was muss man mitbringen? Und wo sind die Gefahren?
- Körper: Jeder menschliche Körper ist anders. Manche Körper sind besonders für Ballett geeignet, manche weniger. Sauberes, klassisches Training ist für jeden Körperbau hervorragend und bietet eine ideale Grundlage für sämtliche Sportarten.
- Gefahren:Möchte ein Kind Tanz zu seinem Beruf machen, können unter Umständen durch Überforderung Schäden auftreten, falls der Körper des Kindes nicht die optimalen anatomischen Voraussetzungen hat. Es liegt zu einem großen Teil am Lehrer, anatomische Defizite eines Kindes zu erkennen und darauf zu achten, dass das Kind nicht falsch trainiert.
- Ausbildung:Nach der ersten (körperlichen) Hürde folgt eine Aufnahmeprüfung der Ballettschule: Dabei werden Musikalität, Rhythmusgefühl, Koordinationsvermögen, Motorik und Improvisationstalent getestet.
- Berufschancen:Das Gehalt für die Tänzer hängt davon ab, wie groß das Haus ist, an dem sie angestellt sind. Am Berliner Staatsballett, dem größten Ensemble Deutschlands, liegt ein Anfängergehalt bei 2200 Euro, erfahrene Gruppentänzer erhalten 2800 Euro monatlich. An kleineren Häusern liegen die Gehälter deutlich darunter. Verträge sind in der Regel auf ein oder zwei Jahre befristet.
Die Schulleiterin unterstützt Zora
Zora besucht die achte Klasse im Ellenrieder-Gymnasium. Schulleiterin Hanna Schönfeld macht es möglich, dass das junge Mädchen ihrer großen Leidenschaft nachgehen kann – an zwei Nachmittagen ist sie vom Unterricht befreit, damit sie nach Zürich fahren kann. "Ich muss den Stoff aber selbstständig nacharbeiten", erzählt Zora. "Das mache ich auch. Ich bin Frau Schönfeld und meinen Mitschülern sehr, sehr dankbar, dass sie dafür Verständnis haben."
Hanna Schönfeld erklärt, wie die Vereinbarung zustande kam: "Die Schulbesuchsverordnung lässt so etwas zu und wir haben das mit den Eltern und der Lehrerkonferenz abgesprochen." Vom Sportunterricht ist sie komplett befreit – die Verletzungsgefahr ist zu groß. Voraussetzung: Zora muss ihre Hausaufgaben komplett erledigen, "was sie auch macht", wie Hanna Schönfeld weiß. Außerdem sagt die Schulleiterin: "Zoras Zeitmanagement ist beeindruckend. Davon können viele Erwachsene lernen."

Für Judith Geibel ist eines besonders wichtig: "Sollte es Zora nicht schaffen zur Profitänzerin, darf das auf keinen Fall als Versagen gewertet werden." Zunächst ginge es darum, dass dreijährige Grundstudium in Zürich zu schaffen, daran würde sich das dreijährige Hauptstudium anschließen. "Das wird schwierig genug", weiß die Tanzpädagogin. Die 14-Jährige sieht das ganz pragmatisch: "Ich lebe im Hier und Jetzt", sagt sie. "Der Weg ist mein Ziel. Ich habe großen Spaß am Tanzen, daher mache ich das alles."
Ballett – ein teurer Spaß
Rund 2000 Euro kostet die Schule in der Schweiz jährlich, dazu kommen kostspielige Dinge wie Schuhe, Schläppchen, Trikot, Tutu oder Strumpfhosen. Als Zora Anfang Juli ihren fünften Auftritt im Zürcher Opernhaus hatte, fühlte sie, dass sich der Aufwand lohnt: "Es war so unglaublich schön, als 1100 Gäste applaudiert haben. Das Gefühl ist unbeschreiblich." Welches junges Mädchen kann so etwas schon sagen? Aber Zora Schnobrich ist ja alles – nur keine typische 14-Jährige.
Schon gewusst?
In der Schuhspitze der Ballettschuhe steckt übrigens kein Holz, wie viele Menschen denken, sondern harter Kunststoff. Die gibt den Zehen Halt. Ein Stück Leder unter der abgeflachten Schuhspitze verhindert, dass man wegrutscht. Damit der Druck abgefedert wird, tragen viele Kinder Gelpolster über den Zehen.