Luisa Rische

Eine Sekunde. In einer Sekunde kommt mein Traum zum Ende. Es dauert zwei Tage, bis ich begreife, was passiert ist. Es dauert zwei Tage, bis die Tränen rollen, bis mir klar wird, dass das wahrscheinlich das Ende meiner dreijährigen Reise ist. „Wenn man bedenkt, dass dich erst eine Pandemie zum Stillstand bringt, Lulu, dann hast du die letzten drei Jahre alles richtig gemacht“, muntert mich Katja Dobat, eine in Ecuador lebende Deutsche, auf, die dem deutschen Honorarkonsul auf den Füßen steht, um für mich einen Weg aus Ecuador herauszufinden.

Bild 1: Wie erlebt eine Konstanzerin die Corona-Krise im Ausland? Luisa Rische radelt seit drei Jahren um die Welt. Jetzt ist sie in Ecuador und würde gern nach Hause kommen
Bild: Luisa Rische

Während ich durch die analoge Welt geradelt bin, an Vulkanen vorbei und über den Mittelpunkt der Erde zurück in die nördliche Hemisphäre, holt mich das Coronavirus ein. Während ich im Sattel sitze, fern von Internet und Nachrichten, ruft die ecuadorianische Regierung den Notstand aus und verpflichtet die Menschen zur häuslichen Quarantäne. Ich hätte es kommen sehen können.

Plötzlich war‘s das mit der Gastfreundschaft

Doch als mir zwei Tage vor Beginn des Hausarrests im Norden von Quito erst die Casa del Ciclista, dann ein Gastgeber von Warmshowers, Feuerwehr und Kirche die Tür vor der Nase zuschlagen, begreife ich immer noch nicht. Ich radle weiter.

Das Land erkunden unter Hausarrest?

123 Kilometer vor der Grenze nach Kolumbien überholt mich das Virus. In Ibarra habe ich zum ersten Mal wieder Internet, das Handy fängt an zu vibrieren – und hört nicht mehr auf. Ecuador hat die Grenze bis zum 5. April geschlossen, Kolumbien bis zum 30. Mai. Ich überlege, die Zeit zu nutzen, Ecuador weiter zu erkunden.

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Bis zum Erfassen der Lage dauert es

Doch Graham, ein australischer Auswanderer, der auf seinem Hof in Ibarra Reisende aufnimmt, fragt mich, wie ich das unter Hausarrest machen will? Ich habe ja kein Haus, denke ich, wer soll mich davon abhalten, mit dem Fahrrad durch die Natur zu fahren. In meinem Kopf bewegt sich noch alles wie in Zeitlupe, während das Virus im Zeitraffer zuschlägt.

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Bild: Luisa Rische

Vorerst ein Dach über dem Kopf

Nach und nach begreife ich, dass Ecuadorianer und Eingereiste die Entscheidung zu Hause zu bleiben, nicht selbst treffen können, dass der Staat zur Durchsetzung der Quarantäne das Militär mobilisiert hat. Ich bin an Ibarra gefesselt. Mit Graham einige mich darauf, für drei Dollar die Nacht auf seinem Hof zu bleiben. Graham selbst bekommt keine Genehmigung, seine 77-jährige Schwiegermutter, die fünf Autostunden entfernt lebt, zu sich nach Hause zu holen.

Den Einkauf regeln Polizei und Militär

Einwohner und Urlauber dürfen die eigenen vier Wände nur verlassen, um Lebensmittel und Medizin zu kaufen, und das nur an bestimmten Tagen. Geregelt wird das mit den Nummernschildern, die von Polizei und Militär kontrolliert werden.

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Bild: Luisa Rische

Wer kein Nummernschild hat, darf zum Minimarkt um die Ecke gehen. Der Einlass in die Supermärkte wird in Ibarra durch die Polizei geregelt. 30 Personen dürfen auf einmal in den Supermarkt, die alle Desinfektionsmittel in die Hände bekommen. Ich selbst nutze den Minimarkt an der Ecke, um meine Einkäufe zu erledigen.

Szene im Supermarkt: Einkaufswagen werden nach Gebrauch desinfiziert
Szene im Supermarkt: Einkaufswagen werden nach Gebrauch desinfiziert | Bild: Luisa Rische

Nahverkehr und Überlandverkehr sind eingestellt, Kulturstätten, Restaurants, Büros, Geschäfte und Schulen geschlossen. Unterricht findet zu Hause oder online statt. Wer sich an den Hausarrest nicht hält, dem drohen bis zu drei Jahre im Gefängnis. Auch die Flughäfen sind leer, nur noch drei Gesellschaften bieten die letzten Flüge für gestrandete Europäer aus Ecuador heraus an, schreibt mir die deutsche Botschaft, alle überbucht.

Bild 5: Wie erlebt eine Konstanzerin die Corona-Krise im Ausland? Luisa Rische radelt seit drei Jahren um die Welt. Jetzt ist sie in Ecuador und würde gern nach Hause kommen
Bild: Verena Faustein

Die deutsche Botschaft versucht, Deutsche herauszuholen

Mit einer Liste, auf der sich Deutsche, die wieder nach Hause wollen, eintragen können, versucht die Botschaft, alle Bürger in einem der Flüge unterzubringen. Da ich aber nie ein Rückflugticket aus Ecuador hatte, macht mir der Honorarkonsul keine großen Hoffnungen. Immerhin den Passierschein, um zum Flughafen zu kommen, hat mir die Botschaft bereits zugeschickt.

Luisa und ihr Fahrrad. Zum Einkaufen darf sie es noch nutzen, Weiterradeln geht im Moment nicht.
Luisa und ihr Fahrrad. Zum Einkaufen darf sie es noch nutzen, Weiterradeln geht im Moment nicht. | Bild: Luisa Rische

Die Entscheidung jedoch ist getroffen. Der Hausarrest kann nächste Woche vorbei sein oder in drei Monaten, mein Visum läuft aus, meine Versicherung läuft aus. Ich bin allein auf unbestimmte Zeit an einen fremden Ort gefesselt.

Wenn Weltreisen keinen Spaß mehr macht...

Für mich steht fest: Falls ich einen Sitz in einem Flugzeug bekomme, fliege ich zurück. Als mir die Freiheit, mich mit meinem Fahrrad uneingeschränkt durch diese Welt bewegen zu können, genommen wird, lerne ich dieses Privileg vielleicht zum ersten Mal zu schätzen. In einer Sekunde ist mein Horizont zum Stillstand gekommen.