Es gibt spezielle Decken für Soldaten. Sie sind warm, groß und eignen sich auch für extrem niedrige Temperaturen. Doch so eine Decke besitzt Massoud Separvizer nicht mehr. Allgemein hat der 64-jährige Iraner nicht viel. Da er besorgt ist, dass ihm das Wenige, was er noch hat, genommen werden könnte, hat sich die Redaktion dazu entschieden, seinen Aufenthaltsort nicht genau zu nennen.

Alles was er noch besitzt, befindet sich in einem kleinen Zelt, irgendwo am Rand von Konstanz. Und in diesem Zelt schläft Massoud. Angekommen am Rand der Gesellschaft.

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Es ist Mitte Dezember. In der Nacht zuvor sind die Temperaturen unter den Gefrierpunkt gesunken. Auf dem Feld, auf dem das kleine Zelt des 64-Jährigen steht, liegen Reste von Schnee und Eis. Der gefrorene Boden knirscht unter den Schuhen. Und dort steht Massoud, als würde ihm das alles nichts ausmachen. Seine sommerlichen Schuhe haben Löcher.

Der 64-Jährige lebt laut eigenen Aussagen seit 42 Jahren in Deutschland, die letzten 14 davon in der Konzilstadt. Zuvor lebte der Rentner im Raum Köln. Das vergangene Jahr habe er fast durchgehend im Zelt gelebt, sagt er. An seinem jetzigen Platz stehe das Zelt seit drei oder vier Wochen.

In Notunterkünften findet er keine Ruhe

Was er gearbeitet hat? „Alles Mögliche“, sagt er. „Doch vor allem alles mit Schweißen.“ Seitdem er hier wohnt, hat er unter anderem in verschiedenen Notunterkünften gelebt. Doch in keiner davon wollte er langfristig bleiben. Denn den Trubel dort hält er nicht aus, sagt er. „Dort trinken sie oft bis drei oder vier Uhr nachts in der Unterkunft“, sagt der Iraner.

Außerdem hören sie laute Musik und rauchen. Dort finde er keine Ruhe, sagt er. In seinem Zelt sei er zufriedener. Alkohol trinke er ohnehin nicht, auch rauchen tue er nicht. Er trinkt am liebsten Kakao, sagt er. Nahrung besorge er sich aus Discountern, gelegentlich hole er sich auch Pommes oder eine Bratwurst beim Imbiss oder eine asiatische Nudelbox.

Massoud Separvizer hat nicht viel: Neben seinem Zelt stehen eine einsame Kerze und ein Camping-Kocher.
Massoud Separvizer hat nicht viel: Neben seinem Zelt stehen eine einsame Kerze und ein Camping-Kocher. | Bild: Timm Lechler

Fragt man ihn nach seiner Familie sagt er nur: „Keine.“ Frau oder Kinder? „Nein.“ Im Iran habe er einige Tanten gehabt, doch alle seien bereits verstorben. Man merkt ihm an, mehr möchte er dazu nicht erzählen. Dass er im Zelt lebt, scheint ihm nichts auszumachen, schließlich sei er während des Tages ohnehin nicht da. Er verbringt seine Zeit gerne in der Stadtbibliothek. Dort ist es warm.

Außerdem geht er dorthin, um zu lesen. Am liebsten liest er dort Bücher über Elektronik und Digitalisierung, erzählt er. „Diese Fachrichtungen interessieren mich.“ Ein Smartphone oder andere digitale Geräte besitzt er nicht. Lediglich eine kleine Analog-Uhr trägt er bei sich. Damit er auch weiß, wann es Zeit ist, wieder zu Fuß den ganzen Weg aus der Stadt zurückzugehen – in seinen kleines, kaltes Zuhause.

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Der 64-Jährige sucht seit Längerem eine Wohnung. Eigentlich sollte der Iraner bereits Rente bekommen, sagt er. Warum er keine bekommt, ist ihm selbst ein Rätsel. Scheinbar muss er noch warten, bis er 65 ist, sagt er. Zumindest sei ihm das auf dem Amt gesagt worden. Ob er selbst dabei irgendwelche Fehler gemacht hat, ließ sich bislang nicht unabhängig überprüfen.

Doch am Geld für eine Wohnung scheitere es ohnehin nicht, denn die Stadt Konstanz würde das Wohngeld bezahlen. Zusammen mit dem Arbeitslosengeld, das er im Moment bezieht, könne er davon leben und auch eine kleine Wohnung bezahlen, ist er sicher. Zumindest bis er dann seine richtige Rente bekommt.

Jeden Tag ein Wärmflaschenwechsel

Massouds gute Fee heißt Petra Illgen. „Sie ist eine außergewöhnliche Frau“, sagt er. „Und so hilfsbereit.“ Illgen wohnt in der Nähe des 64-Jährigen und hat vor einigen Wochen sein Zelt entdeckt, als sie mit ihrem Hund Bartu Gassi ging. Schnell kam sie mit dem Mann ins Gespräch. Seitdem hilft sie ihm, wo sie kann.

Petra Illgen besucht den 64-Jährigen jeden Abend, wenn sie mit ihrem Hund Gassi geht. Täglich bringt sie ihm eine mit heißen Wasser ...
Petra Illgen besucht den 64-Jährigen jeden Abend, wenn sie mit ihrem Hund Gassi geht. Täglich bringt sie ihm eine mit heißen Wasser gefüllte Wärmflasche. | Bild: Timm Lechler

Sie versucht verzweifelt für den Mann eine Bleibe zu finden, auch einen Aufruf im sozialen Netzwerk Facebook hat sie gestartet. „Wenn jemand ein Zimmer, Gartenhäuschen, Wohnwagen (...) zur Verfügung hat, bitte meldet euch“, schreibt sie dort. „Hauptsache einen trockenen Platz mit Waschmöglichkeit. Und zumindest jetzt für die kalten Monate.“

Zu Massoud schreibt sie: „Dieser Mensch ist einfach nur dankbar und fragt immer, warum wir so helfen. Und lächelt immer. Er bat mich nie um Hilfe oder bettelt“, schreibt sie noch in ihrem Aufruf. Sie hat ihm noch einmal ein zweites Zelt gebracht, das er jedoch nicht aufgebaut habe. Im kleinen Zelt halte sich die Wärme besser, habe er gesagt.

Massoud Separvizer mit Petra Illgen und Hund Bartu.
Massoud Separvizer mit Petra Illgen und Hund Bartu. | Bild: Timm Lechler

Sie fragt den Iraner: „Massoud, seit wann gehe ich dir auf die Nerven?“ Dann sagt sie selbst: „So seit zwei Wochen.“ Seit einer Woche bringe sie ihm bei ihrer allabendlichen Gassirunde Tee und eine warme Wärmflasche für die Nacht. Am nächsten Tag hole sie diese wieder ab. An diesem Tag hat sie ihm außerdem einen Regenschirm und zwei Paar Schuhe mitgebracht, die sie von Bekannten bekommen hat.

Einen Wunsch hat Massoud Separvizer

Massoud Separvizer ist ganz überwältigt von der Unterstützung. „Es gibt Millionen, die draußen leben“, sagt er, während er Hund Bartu streichelt. Er selbst sieht seine Lage nicht als schlimm an. Doch für Petra Illgen ist es normal zu helfen. „Das gehört sich so“, sagt sie nur. „Ich gebe erst auf, wenn er versorgt ist“, fügt sie noch hinzu.

Dass bald Weihnachten ist, weiß Massoud Separvizer. Nach einem Wunsch gefragt, sagt der 64-jährige Iraner: „Eine große, warme Decke, wie Soldaten eine haben.“ Dann denkt er kurz nach. „Und vielleicht eine kleine, warme Wohnung.“ Und dann lacht er. Ein verschmitztes, ansteckendes Lachen.