Ein alter Mann sitzt gebeugt vor einem Bauwerk, der Platz ist menschenleer, die Szenerie südlich. Der Schatten einer Palme fällt ins Bild und wirkt wie eine Hand, die nach dem Mann greift. Die Perspektive führt ins Irgendwo.
Und oben, auf dem Gebäude mit dem einsamen Mann davor, steht „Circolo di Conversazione“, Gesprächskreis, was für eine Ironie. Dieses Bild, entstanden 2009 in der sizilianischen Stadt Ragusa-Ibla, ist eines der stärksten in der Ausstellung „Genius Loci“ von Paolo Burlando.
Komponierte Momentaufnahmen aus Paris, Singapur, USA
Der 1960 geborene und in Genua aufgewachsene Fotograf spürt mit seiner Kamera dem besonderen Geist („Genius“) eines Ortes nach und hält fest, was er für prägend hält: die Szene am Metro-Eingang in Paris, die Spieler auf der Straße in Singapur oder die Harley-Fahrer in den Vereinigten Staaten.
Burlando erfasst die Welt mit einem zutiefst menschlichen, aber immer von ästhetischem Anspruch geprägten Blick. Nicht immer erschließt sich das beim schnellen Bummel durch die aktuelle Ausstellung in der Leica Galerie in der Niederburg, man sollte sich etwas Zeit dafür nehmen.

Er fotografiert bereits bereits seit seiner Jugend
Dass er einmal eine große Ausstellung in Konstanz haben würde, hätte sich Burlando lange Zeit wohl nicht träumen lassen. Er ist studierter Ingenieur und hat an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich eine Professur für Hydrologie und Wasserwirtschaft. Seit er 17 ist, fotografiert er. Das Werkzeug der Wahl ist die kleine, altmodisch wirkende Leica, sagt er: Fotograf, Kamera und Bild sind für ihn untrennbar verbunden.
Die Auseinandersetzung mit der Technik war für Burlando von Anfang an ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum guten Ergebnis – das ist eine zeitlose Art, sich der Fotografie zu nähern. Und so wie Burlando schon anfing zu fotografieren, bevor der Begriff „street photography“ Verschleißerscheinungen zeigte, so arbeitete er sich in den Prozess des Bildermachens ein.
63 Fotografien zeigt die Ausstellung in der Niederburg
Auch das liegt inzwischen wieder im Trend: Heute, wo jede und jeder ständig mit dem Handy knipsen kann, gibt es auch eine Rückbesinnung zur ernsthaften Fotografie mit richtigen Kameras. Wie Paolo Burlando arbeitet, zeigt die Ausstellung in der Niederburg mit ihren 63 Arbeiten sehr schön. Alle Fotos sind schwarz-weiß, es wurden nachträglich keine Ausschnitte gemacht.
Auf spektakuläre visuelle Effekte von extremen Weitwinkel- oder Teleobjektiven verzichtet Burlando. „Ich bin ein Fundamentalist“, bekennt er, den großen Fotografen der Nachkriegszeit nacheifernd. Unterwegs war er in Europa, Asien und Amerika, und von allen drei Erdteilen hat er Aufnahmen mitgebracht.

Fotograf benutzt weiterhin seine analoge Leica-Kamera
Als Nebeneffekt zeigt die Ausstellung im Nebeneinander von analog und digital erstellten Bildern auch, wie sich die verwendete Technik auf das Ergebnis auswirkt: Nicht nur die Objektive, die Burlando verwendet, sondern auch die Aufzeichnungsmedien entscheiden über das Ergebnis.
Burlando benutzt weiterhin auch seine analoge Leica, und gerade diese Aufnahmen mit dem unverwechselbaren Korn des Schwarz-Weiß-Films und der besonderen Abstufung der Grautöne geben der Ausstellung eine besondere Note.
Im Zentrum von Burlandos Arbeit steht der Mensch in seiner Umgebung. Es ist eine oft feinsinnige und gleichwohl beeindruckende Art zu fotografieren. Erlernt hat sie Burlando, wie er am Rande der Eröffnung sagte, vor allem dadurch, dass er unendlich viele andere Bilder angesehen und sich überlegt hat, was ihm daran gefällt; so entstand sein Stil.
Wenn das kein Grund ist, nicht auch selbst Bilder anzusehen und das eigene Auge daran zu schulen – die Ausstellung von Paolo Burlando ist noch bis 8. April zu sehen.