Die Reaktion war, natürlich, beherrscht und professionell, aber dass Winfried und Gerlinde Kretschmann nicht erfreut waren, konnten alle spüren an diesem Freitagmorgen. Es ist der 19. April, am Folgetag soll die Große Landesausstellung in Konstanz für das Publikum geöffnet werden. Ministerpräsident Winfried Kretschmann und seine Frau Gerlinde sind in aller Frühe losgefahren, um noch vor dem Festakt im Reichenauer Münster einen Blick die vielleicht wichtigste Mittelalter-Ausstellung Europas in diesem Jahr zu werfen.

Es ist Kretschmann ein Anliegen, über die Rolle als Schirmherr und Landesvater hinaus. Er wird später bei seiner bemerkenswerten Rede auf der Insel deutlich machen, wie sehr er sich mit der 1300-jährigen Klostergeschichte der Reichenau auseinandergesetzt hat.

Doch statt eines freundlichen Empfangs gibt es rot-weiße Polizei-Flatterbänder. Viele Uniformierte stehen um das frühere Klostergebäude herum, das heute das Archäologische Landesmuseum beherbergt. Dort, gut gesichert, hat die Landesausstellung mit ihrem Kunstschätzen Unterschlupf gefunden.

Verdächtiger Gegenstand! Das Museum wird abgeriegelt

Doch am Morgen des 19. April, kurz bevor sich die Tür für den prominenten Gast und seine Begleiter öffnen sollen, wird ein verdächtiger Gegenstand gefunden. Von Bombenalarm ist die Rede. Als sich herausstellt, dass keine Gefahr besteht, ist der Tag mit seinem engen Terminkalender so weit fortgeschritten, dass Kretschmann den Besuch nicht mehr nachholen kann.

Damals musste die Begrüßung neben dem Museum stattfinden: Am 19. April wurden Kretschmann und seine Frau ins Polizeipräsidium gebracht, ...
Damals musste die Begrüßung neben dem Museum stattfinden: Am 19. April wurden Kretschmann und seine Frau ins Polizeipräsidium gebracht, bis ein mutmaßlicher Bombenfund als harmlos befunden war. Als es so weit war, musste der Ministerpräsident aber weiter auf die Reichenau. | Bild: Rau, Jörg-Peter

Umso größer war die Freude, als der Ministerpräsident den Kunstgenuss jetzt nachholte. Am vergangenen Wochenende war er mit seiner Frau sowie Kunstministerin Petra Olschowski unbemerkt von der Öffentlichkeit in Konstanz und machte einen Rundgang durch die Schau. Die hat ihn, so eine Pressemitteilung des Badischen Landesmuseums, sehr beeindruckt.

Immerhin wird der Regierungschef so zitiert. Sie zeige „auf vielfältige Weise, wie Geschichte, Kultur und Lebensart auf der Reichenau immer noch lebendig sind. Die Reichenauer und auch die Gäste, die sich auf diese Insel einlassen, stehen auf einem Fundament, das die Mönche einst über viele Jahrhunderte gelegt haben.“

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Das Lehren und Lernen interessiert den Ministerpräsidenten besonders

Der Ministerpräsident und frühere Lehrer, schon immer interessiert an Geschichte und Religion, zeigte laut Mitteilung großes „Interesse an Persönlichkeiten wie dem Lehrmeister Wetti und seinem Schüler, dem Dichter Walahfrid Strabo, die mit ihren Arbeiten die Klosterschule über Jahrhunderte prägten und ihr einen exzellenten Ruf verschafften.“ Und im SÜDKURIER-Interview sagte er: „Man kann sagen: Die Reichenau ist die Wiege des Wissens von Baden-Württemberg als Wissensregion.“

Und auch Kretschmann war der Mitteilung des Badischen Landesmuseums zufolge fasziniert von einem eigentlich unspektakulären, aber doch besonders ansprechenden Ausstellungsstück. Es ist das Reichenauer Schulheft, vor über 1000 Jahren verfasst von einem irischen Mönch am Bodensee.

Es faszinierte auch den Ministerpräsidenten und früheren Lehrer: Schulheft eines irischen Mönches, eines der vielen Ausstellungsstücke.
Es faszinierte auch den Ministerpräsidenten und früheren Lehrer: Schulheft eines irischen Mönches, eines der vielen Ausstellungsstücke. | Bild: Hanser, Oliver

Vokabeln, Formeln und ein Gedicht zeigen, dass das Lernen damals gar nicht so anders war wie heute. Und dass Schüler auch mal gedanklich abschweiften. In dem Heft ist es ein Gedicht in altirischer Sprache über den kleinen weißen Kater Pangur Bán, das nicht nur sprachgeschichtlich wichtig ist, sondern auch viel Menschliches in die Ausstellung bringt.

Viele Handschriften kommen nur für dieses eine Mal zurück zu ihrer Wiege

Doch auch die prächtigsten Ausstellungsstücke, reich verzierte Handschriften, die auf der Reichenau angefertigt und in alle Winde verteilt oder verweht wurden und nun für dieses eine einzige Mal an den Bodensee zurückkommen, standen im Fokus. Kunstministerin Petra Olschowski sagte laut der Pressemitteilung: „Außergewöhnlich ist die enorme künstlerische Ausdruckskraft und der gute Erhaltungszustand der einzigartigen Handschriften und Illustrationen aus der mittelalterlichen Klosterwelt.“

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Und sie lobte nicht nur das hohe fachliche Niveau der Ausstellung. Sondern ihr gefiel auch die – tatsächlich sehr gut gemachte, inhaltsreiche und dennoch unterhaltende – App zur Ausstellung. Auch weitere moderne Medien helfen beim Verständnis.

Kretschmann wirbt: Lassen Sie sich diese Ausstellung nicht entgehen!

Und Eckart Köhne, der Direktor des Badischen Landesmuseums, konnte endlich die Führung für den Ministerpräsidenten und seine Begleitung nachholen. Er ließ es sich nicht nehmen, den Gästen selbst die Ausstellungsstücke zu erklären. Einige von ihnen gehören sogar zum Weltdokumentenerbe der Bildungsorganisation der Vereinten Nationen, der Unesco.

Das sollte eigentlich niemand verpassen, so Kretschmann: „Ich möchte allen ans Herz legen, sich dieses einmalige Ereignis am Bodensee nicht entgehen zu lassen. Die Ausstellung vereint eine Vielzahl von Meisterwerken der mittelalterlichen Klosterkultur und ist eine der größten jemals realisierten Zusammenkünfte von Reichenauer Handschriften in einer öffentlichen Präsentation.“