Der Mann, der an diesem kalten Donnerstagabend vor dem Bodenseeforum wartet, ist sich nicht sicher. Soll er vor den Konstanzer Stadträten und Oberbürgermeister Uli Burchardt (CDU) in der Bürgerfragestunde sprechen? Der Gemeinderat berät über Hilfen für Obdachlose. Er ist doch immerhin auch ein Bürger – oder ist man nur Bürger, wenn man eine Wohnung hat? Er zieht an seiner Zigarette, richtet den Blick auf seine abgetragenen Schuhe, redet beruhigend auf seinen Hund ein.

Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Die Menschen aus seinem alten Leben sollen nicht erfahren, dass er auf der Straße lebt, in einer Scheune schläft. „Bitte nicht schreiben wo, sonst werden wir daraus auch noch verjagt“, sagt er.
Er trägt Tarnjacke und hat schon einige Bier getrunken
Die Gemeinderatsitzung hätte eigentlich um 17 Uhr für die Öffentlichkeit beginnen sollen, doch es dauert länger. Es ist 17.30 Uhr, als er die Geduld verliert und mit dem Hund an der Leine ins Bodenseeforum läuft. Nach wenigen Schritten hält ihn Ruth Bader, die Geschäftsführerin, auf. Leider, sagt sie, dürften Tiere nicht hinein, aus Allergiegründen.
Er kehrt um. Das Problem ist nicht neu, eigentlich ist der Hund der Grund, warum der Obachlose, der im früheren Leben Handwerker war, in keiner Notunterkunft schlafen kann.
Doch dem Gemeinderat will er eine Idee präsentieren
Dass nämlich die Obdachlosen in Konstanz eines der leerstehenden Häuser selbst herrichten könnten. Viele unter ihnen seien handwerklich ausgebildet oder begabt, erklärt der Mann vorm Bodenseeforum zwischen zwei Zigaretten. „Wir würden etwas dafür tun, dass wir Obdach bekommen.“

Endlich, um kurz vor 18 Uhr, dürfen Bürger und Presse in den Sitzungssaal. Der Mann bindet den Hund draußen an, geht hinein, bekommt von Ruth Bader eine FFP2-Maske und tritt ans Mikrofon. Man muss gut zuhören, um ihn zu verstehen. Er schlägt die Sache mit dem Haus vor. „Viele von uns haben Handwerksberufe gelernt, wir können was“, sagt er.
Angebot ist neu, sagt OB Burchardt
Oberbürgermeister Uli Burchardt antwortet ihm: „Dieses Angebot ist neu, ich entscheide nicht, ob das angenommen wird.“ Er macht darauf aufmerksam, dass viel Behördliches zu beachten wäre bei so einer Aktion. Brandschutz zum Beispiel.
Der Mann fährt fort: „Jetzt werden Flüchtlinge auf der Reichenau untergebracht, in Wohncontainern von Gärtnern. Warum werden die nicht uns Obdachlosen zur Verfügung gestellt?“ Uli Burchardt erklärt, dass die Reichenau eine andere Gemeinde sei, das müsse der Rat dort entscheiden.
Und: „Die leer stehenden Kapazitäten, die wir sehen, an denen arbeiten wir gerade. Und ich denke, dass wir einen großen Schritt heute machen, was die Unterbringung angeht. Bürgeramt, Hochbauamt und Sozialamt haben sich Gedanken gemacht.“
Ja, das haben sie. Vor wenigen Wochen schlugen die Ämter Alarm: Der Winter naht, und unter den Obdachlosen und Wohnsitzlosen droht die Lage zu eskalieren. Die Notunterkunft am Haidelmoosweg ist schon jetzt zu voll. Und weil der Tagestreff am Lutherplatz wegen Corona nur noch 15 Besucher zulässt, hat der Haidelmoosweg den ganzen Tag geöffnet.
Streitereien und Polizeieinsätze nehmen zu. Im Fall einer Infektion mit Covid-19 müsste die ganze Unterkunft abgeriegelt werden, denn Quarantäneräume gibt es nicht.
Wenige Stunden nach dem Auftritt des Mannes wird der Gemeinderat die Notlösung für den Winter verabschieden: eine Wohnwagensiedlung im Industriegebiet. Und ein neuer Tagestreff im Palmenhaus. Auf die Berichterstattung im SÜDKURIER hin hatten sich Konstanzer gemeldet und ihre Wohnungen angeboten, die die Stadt nun zusätzlich anmietet.
Es gibt nur ein Problem: Das alles hilft dem Obdachlosen am Mikrofon nicht
Er müsste seinen Hund abgeben. In den Unterkünften sind Hunde verboten. „Die haben es nicht geschafft, irgendwas hinzukriegen. Obdachlose, wenn die angezündet und erstochen und in den Rhein geworfen werden, das interessiert doch keinen“, hatte er in seiner Rede gesagt.
Uli Burchardt wies das zurück: „Was soll ich da sagen – Lösungen müssen organisiert werden, und ich glaube, dass wir heute einen wichtigen Schritt darauf zumachen. Ihr Anliegen wurde gehört.“