Herr Fülbert, können Sie die langsame Öffnung von Kitas und Schulen nachvollziehen?
Der erste Lockdown bundesweit war absolut richtig, aber inzwischen haben ja die Kinderärzte ihre Meinung öffentlich gemacht: Wir fordern die sofortige und vollständige Öffnung von Kitas und Schulen!
Deren Schließung hat nur einen ganz geringen Einfluss auf die Eindämmung der Pandemie: Wir haben an allen positiv getesteten Patienten in Deutschland einen Anteil von nur 1,9 Prozent bei den unter Zehnjährigen und von 4,3 Prozent bei den 10- bis 19-Jährigen. Die internationalen Daten zeigen eindeutig, dass – im Gegensatz zur Influenza – die Kinder bei Corona bis auf wenige Ausnahmen nicht die Überträger sind.
Die Super-Verteiler werden auf Dauer möglicherweise die jungen Single-Erwachsenen sein (20- bis 40-Jährige), da sie zumeist wenig Symptome haben, aber durch ihre aktive Freizeitgestaltung und weniger Risikobewusstsein als bei Eltern die Gefahr darstellen werden.
Wann sollten die Schulen aus Ihrer Sicht wieder komplett starten?
Am besten nach Pfingsten. Wenn in den Flugzeugen die Passagiere wieder über viele Stunden mit nur 20 Zentimetern Entfernung sitzen dürfen, kann man nicht ernsthaft sagen: Wir gehen frühestens zum neuen Schuljahr in den Regelunterricht.
Spätestens, wenn in den kommenden zwei Wochen im Schweizer Thurgau und in Sachsen, also in Gegenden, in denen die Schulen schon wieder regulär begonnen haben, die Zahlen nicht massiv steigen, sind die Vorgaben des Kultusministeriums nicht mehr haltbar.
Was erleben Sie derzeit in Ihrer Praxis?
Es brodelt in der Praxis! Vier- und Fünfjährige sagen mir, sie hätten keine Freude mehr. Ich habe hier Kinder, die schon vor Corona Zwänge hatten, die sich jetzt massiv verstärken, genauso wie Schlafstörungen bei Kindern. Ich erfahre, dass Hochschwangere von ihrem Partner geschlagen werden, aus Angst vor Jobverlust.
Ohne rasche Kinderbetreuung kommt unsere Gesellschaft nicht wieder in Gang. Kultusministerin Susanne Eisenmann und Ministerpräsident Winfried Kretschmann sind hier zu 100 Prozent in der Verantwortung und dürfen nicht nur an die risikogefährdeten Lehrer denken.