Es war ein großer Moment, als der Konstanzer Gemeinderat als erste Stadt in Deutschland am 2. Mai 2019 den Klimanotstand ausrief. Vorausgegangen waren Demonstrationen der im Jahr 2019 aufstrebenden Jugendbewegung Fridays for Future. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen forderten gemeinsam mit der schwedischen Initiatorin Greta Thunberg die Politik auf, sich für maßgebliche Maßnahmen im Klimaschutz einzusetzen. Im Frühjahr 2019 erheben die Aktivisten eine Forderung, die Konsequenzen nach sich zieht: Die Stadt Konstanz solle den Klimanotstand ausrufen.

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Manuel Oestringer, Doktorand der Chemie und von Beginn der Bewegung an bei Fridays for Future dabei, ist im Gegensatz zu vielen seiner Mitstreiter in Konstanz geblieben. Die Politik und Maßnahmen der Stadtverwaltung verfolgt er seit fünf Jahren. Die Bilanz nach diesem Zeitabschnitt fällt ernüchternd aus. Seine Kritik im Detail:

  • Wissen, wo man steht: Die Klimaaktivisten loben, dass es inzwischen eine Datengrundlage gibt. „Wir haben einen jährlichen Klimaschutzbericht und damit eine verlässliche und vergleichbare Datengrundlage“, sagt Manuel Oestringer. Zudem gebe es Stellen in der Stadtverwaltung und eine Planung, in welche Richtung die Stadt handeln will. Es gibt eine Klimaschutzstrategie. „Das alles ist gut.“
  • Die Ziele werden nicht erreicht: Der wichtigste Maßstab ist der CO2-Ausstoß, der in einer Stadt stattfindet. Natürlich hängt dieser auch von anderen Faktoren ab, von Bundes- und Landesebene, schließlich auch von den Bürgern selbst. „Aber Städte haben einen Einfluss von 50 Prozent auf den CO2-Ausstoß auf ihrer Gemarkung“, sagt Oestringer. In Konstanz gelang es, diesen im Zeitraum von 2018 bis 2022 um 19 Prozent zu reduzieren. Das sei besser als die Bilanz der Landesebene, in Baden-Württemberg sei er nur um vier Prozent gesunken.

    „Konstanz liegt im oberen Mittelfeld, aber im Verhältnis zu den angestrebten Zielen ist die Stadt nicht weit genug gekommen.“ Ziel ist es, dass Konstanz bis 2035 klimaneutral wird. Vergleiche zu anderen Städten in Deutschland und Europa sind schwierig,Tübingen unternimmt seit 2006 Anstrengungen in der CO2-Reduktion und hat seinen Ausstoß, wie es in einer Gemeinderatsvorlage heißt, von 2006 bis 2021 um 33 Prozent reduziert. Heidelberg hat laut Angaben seiner Stadtverwaltung zwischen 2018 und 2022 seine CO2-Emissionen um 16,1 Prozent vermindert, wobei hierbei die Daten für den Verkehr für 2022 noch nicht vorlagen.
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  • Heizen in Konstanz: Bei der Nutzung von Energie ist Konstanz aus Sicht der Klimaschützer besonders weit abgeschlagen. Daten von 2021 zeigten, dass 95 Prozent der Heizungen in Konstanzer Haushalten weiterhin mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Wärmepumpen waren laut einer Grafik aus dem Klimaschutzbericht zu dem Zeitpunkt nur zu 0,004 Prozent vorhanden. Der Ausbau beziehungsweise Aufbau von Nahwärmenetzen geht den Klimaschützern nicht schnell genug. „Die Stadt hat sehr lange gezögert, den Energienutzungsplan zu veröffentlichen“, sagt Manuel Oestringer. Aus seiner Sicht sinnvoller wäre gewesen, den Plan nicht in jede Feinheit auszuarbeiten, sondern parallel dazu und viel zügiger mit dem Aufbau der Wärmenetze zu beginnen.
  • Erste Erfolge bei der Photovoltaik: Positiv vermerken die Klimaaktivisten, dass in den Jahren 2022 und 2023 ein starker Ausbau von Photovoltaikanlagen (PV) stattgefunden hat. „Wir sind deshalb bei der Hälfte dessen, was wir erreichen müssten“, sagt der 28-Jährige. Durch die Freiflächen-PV-Analyse sei immerhin bekannt, auf welchen Flächen man die Solarenergienutzung noch ausbauen könne. Dennoch erschließe sich der Grund für manche Zögerlichkeit nicht: „Warum werden Parkplätze nicht mit PV-Anlagen überdacht?“*

    *In einer früheren Version des Textes war Oestringer hier mit der Frage zitiert worden, warum das Bodenseeforum keine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach habe. Tatsächlich hat das Gebäude eine PV-Anlage. Wir haben das Zitat entsprechend gekürzt.
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  • Beim Verkehr hat sich zu wenig verändert: Im Bereich der Mobilität hätten sich die Friday-Aktivisten die sichtbarsten Veränderungen gewünscht. Sie blieben fast vollständig aus. Manuel Oestringer nennt etliche Stellen und Verkehrsmittel, bei denen er großes Veränderungspotenzial sieht. So sei der Sternenplatz saniert worden, ein möglicher Seehas-Haltepunkt, der schon lang debattiert wird, wurde dort nicht eingerichtet. Allerdings hat die Stadt nur begrenzten Einfluss auf die Einrichtung von Bahn-Haltepunkten. Der Busverkehr sei seit längerer Zeit in prekärer Lage: Es mangelt an Busfahrern, dadurch kann eine attraktive Taktung perspektivisch nicht auf allen Linien aufrechterhalten werden. „Es braucht daher dringend attraktive Arbeitsbedingungen im Kreis Konstanz, damit wir genügend Busfahrer bekommen“, sagt Oestringer.

    Besser wäre noch, es gäbe auch attraktive Bedingungen für Bürger, auf den Nahverkehr umzusteigen: Die Fridays-Aktivisten empfehlen ein 365-Euro-Ticket, wie es etwa die Stadt Wien eingeführt hat, das ein Jahr lang im Nahverkehr gültig ist. Mehr Fahrradachsen durch Konstanz und einen sinnvollen Ausbau der Radwege – all das müsste in der Stadt noch verbessert werden, um deutlich mehr Bürger davon zu überzeugen, dass das Auto nicht ihr wichtigstes Verkehrsmittel sein sollte. Denn auch hier ist die Bilanz ernüchternd: Seit 2019 ist die PKW-Dichte in der Stadt gestiegen: von 410 Autos auf 425 Autos pro 1000 Einwohner.