Für die meisten Konstanzer war der 14. Juli ein Tag wie jeder andere. Doch für viele Bewohner des Ahrtals stellte er alles auf den Kopf. Die Ahr stieg über ihre Ufer und riss Gebäude, Autos und Menschen mit sich. Mindestens 133 Todesopfer waren zu beklagen. Die Bilder von der Katastrophe erschütterten die Menschen auch in Südbaden.
Zwar ist die verwüstete Gegend Hunderte Kilometer weit vom Bodensee entfernt. Doch Birgit Neschen, die an der Zeppelin-Gewerbeschule Konstanz arbeitet, war schon kurz nach der Katastrophe selbst vor Ort, um dort einige Tage zu helfen. „Die Solidarität war gewaltig, und trotzdem hat mich die Situation vor Ort auch entsetzt“, sagt sie rückblickend. Das Erlebte habe sie verändert.

Bald nach ihrer Rückkehr an den Bodensee fasste sie deshalb den Entschluss, erneut zu helfen. Also fragte sie im Kollegium an der Schule, wer mit anpacken wolle. Für Mathias Hörburger, der eine Zimmerer-Klasse unterrichtet, war schnell klar: Sie sind dabei. Als Birgit Neschen in der Klasse fragte, wer mit ins Ahrtal kommt, gingen fast alle Hände nach oben. „Ich war fasziniert von der Solidarität“, sagt sie.
Hilfe von den Dachzeltnomaden
Organisiert und koordiniert wurde die Aktion von den Dachzeltnomaden, einer Gemeinschaft, die sich vor allem über Internet und Social Media finanziert. Die Webseite der Dachzeltnomaden gilt als größte Informationsplattform über Dachzelte im deutschsprachigen Raum. „Von ihnen wurden Schlafplätze zur Verfügung gestellt; zudem sorgten sie für das leibliche Wohl“, berichtet Lehrer Hörburger.
Doch wegen der Kurzfristigkeit der Idee gab es noch eine weitere Herausforderung zu bewältigen: Wie kommen 15 junge Männer samt den beiden Lehrern Mathias Hörburger und Simon Malkmus so schnell zum Ort des Unglücks? Wegen der Situation im Ahrtal wäre dies mit öffentlichen Verkehrsmitteln schwierig geworden. Doch die Haldenwangschule, die kooperierende Sonderschule in Singen, schuf Abhilfe und stellte der Klasse zwei größere Fahrzeuge zu Verfügung, um an den Katastrophenort zu kommen. Und so fuhr man am 11. Oktober Richtung Norden.
„Und die Ahr lag friedlich da“
Auf die Frage, was das Verrückteste war, das er im Katastrophengebiet erlebt hat, antwortet der angehende Zimmerer Ramon Seidel: „Das Krasseste waren die Ankunft und die erste Baustelle. Außerdem die ganzen Häuser, die zerstört waren, und der Weg dorthin: Alles voller Schutt.“ Das Bild der Zerstörung habe nicht mehr aufgehört, auf kilometerlangen Strecken lagen Sperrholz und Müll herum. Das Kuriose an dem Bild: „Die Ahr lag friedlich da.“ Als Ramon Seidel die zehn Meter hohen Wasserspuren an den Gebäuden sah, konnte er sich kaum vorstellen, dass dieser Fluss eine derartige Zerstörung angerichtet hatte.
„Sie hat uns immer Kaffee und Kuchen gebracht“
Was war eine besonders prägende Begegnung? Jonas Ball, ein weiterer künftiger Zimmerer, erinnert sich an eine ältere Frau mit einer besonderen Leidensgeschichte. Kurz vor der Flut hatte es noch in ihrem Haus gebrannt, alles sei komplett schwarz vom Ruß gewesen. Außerdem habe sie von mehreren Schlaganfällen und einem Herzinfarkt berichtet, so Ball. Sie freute sich besonders über die Helfer, denn „allein hätte sie das nicht hinbekommen“, ist sich Ball sicher. „Sie hat uns immer Kaffee und Kuchen gebracht“, erzählt er.
„Das schweißt zusammen“
„Es stand für mich außer Frage“, antwortet Melf Reinfelder auf die Frage, warum er ins Katastrophengebiet gereist ist. Es sei außerdem nicht nur für die Menschen im Ahrtal gut, sondern auch für die gesamte Gruppe der Helfer. „So etwas schweißt zusammen“, ist der junge Zimmerer überzeugt und findet Erfahrungen wie diese extrem wertvoll für die eigene Entwicklung. Man lerne dabei etwas anderes als innerhalb einer Schulwoche: nämlich etwas fürs Leben.
„Ein gutes Gefühl, geholfen zu haben“
Und was haben die jungen Männer aus dem Ahrtal mitgenommen, wo sie vor allem zerstörte Gebäude beseitigten? „Ein gutes Gefühl, geholfen zu haben“, sagt Henri Lott. Und die Gedanken an die Menschen dort. Denn die seien oft überrumpelt gewesen, dass da jemand kam, um zu helfen, obwohl sie nicht danach gefragt hatten.
„Doch dann vielleicht wieder zum Wiederaufbau“
Simon Schmidtke ist sich sicher, dass er eine ähnliche Aktion erneut machen würde. „Ich hatte von Anfang an Bock drauf“, sagt er. Denn er ist sich sicher: Das stärkt die Gemeinschaft, man lernt sich besser kennen. Bereits kurz nach dem Besuch im Ahrtal hätten einige der Beteiligten gesagt, dass sie noch einmal in das Katastrophengebiet reisen wollten. „Dann vielleicht zum Wiederaufbau“, hofft der junge Zimmerer.