„Endlich wieder spielen!“ Diese drei Worte – ausgesprochen von vielen Musikerinnen und Musikern der Südwestdeutschen Philharmonie – klingen wie ein erleichterter Stoßseufzer. Aber wie lange? „Es ist diese Unsicherheit. Wir wissen nicht, wie es im Herbst weitergeht. Wir haben die diversesten Parallelpläne und müssen in der Lage sein, kurzfristig umzuswitchen“, sagt Intendantin Insa Pijanka.
Doch das ist Zukunftsmusik. Zunächst lohnt ein Rückblick in die jüngste Vergangenheit, denn die Philharmonie vollbrachte eine kleine Meisterleistung. Wie Phoenix aus der Asche entstieg das Orchester der viereinhalbmonatigen Corona-Zwangspause und realisierte 50 Konzerte in eineinhalb Monaten.
Mehrfache Testung jedes Künstlers
Die Musiker traten gemäß Verordnungen zunächst nur als kleine Ensembles auf. Am Samstag konnten sie nun erstmals ein Konzert in großer Besetzung absolvieren: Eine Rarität, die nur aufgrund der mehrfachen Testung jedes einzelnen Künstlers möglich war. Das für Sonntag geplante zweite Konzert fiel dagegen dem Regen zum Opfer.

Stolz ist Insa Pijanka auf ihr Orchester. Sie wird nicht müde, das Engagement der Musikerinnen und Musiker zu loben. Als am 1. Juni das Go für Veranstaltungen im kleineren Rahmen kam, schickte sie eine Rundmail an die Musiker, wer Lust habe, in kleinen Ensembles Konzerte zu geben. Die Bereitschaft war so groß, dass „wir ein wenig Mühe hatten, so viele Termine und Locations zu finden“, so Pijanka.
Dankeschön an die Abonnenten
Dass nicht gleich am 2. Juni ein Konzert gegeben wurde, ist eigentlich selbsterklärend, denn: „Man fährt so einen Laden nicht von Null gleich hoch, zumal die Musiker ja auch erst einmal gemeinsam proben mussten“, erläutert Pijanka. Und doch ist es gelungen, ab Mitte Juni 50 Konzerte in eineinhalb Monaten zu geben, darunter im Innenhof des Rosgartenmuseums, dem Neuwerk und in den Gärten von Abonnenten, als kleines Dankeschön für den Verzicht in den letzten Monaten, denn viele hatten ihr Geld für das Abo nicht zurückgefordert.
Der Open Air-Gala am Samstag im Konstanzer Bodensee-Stadion kommt eine besondere Bedeutung zu. Es war das erste Konzert mit großem Orchester (53 Musikerinnen und Musiker plus Solisten) vor maximal 500 Zuschauern. Die Zahl wurde jedoch nicht erreicht, denn manch einer hatte Bedenken bezüglich der unsicheren Witterung, andere scheinen aufgrund der Krise Menschen zu meiden.

Pijanka verwies auf den Symbolcharakter des Konzerts. „Es ist eine Chance, darauf aufmerksam zu machen, was in der Branche im Argen liegt.“ Die Krise habe deutlich gemacht, wie schnell dieses Kartenhaus zusammenbreche.
Konzert als „Weckruf an die Politik“
Kultur sei zwar nicht system-, dafür aber gesellschaftsrelevant, findet Insa Pijanka, die darauf hinwies, wie viele Existenzen gefährdet sind, wenn keine Kulturveranstaltungen stattfinden. Das Konzert sollte auch ein „Weckruf an die Politik“ sein. „Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst. Aber wir wollen Lösungen erarbeiten, damit wir sukzessive wieder einsteigen können“, so Pinjka. Dafür brauche es auch die Unterstützung der Politik.
Während unter anderem Gastronomiebetriebe relativ rasch wieder öffnen durften, waren die Kulturinstitutionen noch lange in der Warteschleife. Als Running-Gag in der Philharmonie wurde die baden-württembergische Verordnung gehandelt, in welcher „Theater und Orchester unter den Bordellen standen“, plaudert Pijanka aus dem Nähkästchen.
Zu verdanken ist die Operngala mit internationalen Sängern vor allem der Sopranistin Gabriela Scherer und dem Bariton Michael Volle, denn der Lockdown, der einem Berufsverbot gleichkam, geht auch gefeierten Opernstars in Italien an die finanzielle Substanz.
Die Telefongespräche mit Sopranistin Barbara Frittolio und Tenor Massimo Giordano verdeutlichten den deutschen Stars, wie verheerend sich die Situation in Italien darstellt. Sie wandten sich an Marcus Bosch, gefragter Dirigent und Vorsitzender der Generalmusikdirektoren und Chefdirigenten-Konferenz (GMD).

Viele Entscheidungen sind für Bosch nicht nachvollziehbar. „Im Jumbo-Jet und in der Bahn können die Menschen dicht nebeneinander sitzen. Kaum ausgestiegen oder wenn man Musik macht, muss man einen Abstand von 1,5 Metern halten. Das ist nicht plausibel“, sagt er dem SÜDKURIER. „Warum hat es die Kultur verdient, so anders behandelt zu werden?“
Bosch kämpft für die Kulturbranche und wird in der aktuellen Situation zum Möglichmacher. Er kennt den Chef des Biotech-Unternehmens Centogene, das jetzt ausgewählte Orchester kostenlos auf Covid-19 testet. Aufgrund der mehrfachen Testung konnten die Solisten und die komplette Philharmonie am Samstag gemeinsam ohne Abstand auf der Bühne agieren.
Stuhlreihen fallen im großen Stadion fast nicht auf
Im Bodensee-Stadion selbst wurden sämtliche Verordnungen einhalten. Auch wenn die lockere Bestuhlung in dem großen Stadion, welches Zehntausende aufnehmen könnte, fast nicht auffiel – der Stimmung tat es keinen Abbruch, denn auch die Zuschauer schienen ausgehungert nach einem Live-Erlebnis.
„Es ist so schön, dass sie spielen dürfen“, freut sich Gabi Ahrens aus Konstanz, die unter dem Konzertverzicht gelitten hatte. Zwar kam sie in der Interimszeit in den Genuss eines Ensemble-Auftritt, von dem sie heute noch schwärmt, aber trotzdem: „Das komplette Orchester live zu hören, ist und bleibt etwas Besonderes.“
Susanne Hamann-Elimelech, die nach überstandener Krankheit noch zur Risikogruppe gehört, freut sich ebenfalls: „Für mich ist heute ein ganz besonderer Tag. Nach einem Jahr ist es das erste Konzert, dass ich wieder miterleben darf.“ Und sie hat eine besondere Verbindung zu den Orchester-Mitgliedern: „Mein Lebensgefährte spielt mit. Er ist froh, dass er wieder spielen kann“, berichtet sie und fügt an: „Ich hoffe, dass es im September weitergeht und keine zweite Welle kommt.“
„Heute ist ein großer Glückstag“, jubelt Felicia Greh aus Schaffhausen. Sie ist die Schwester von Sopranistin Gabriela Scherer und stellt fest: „Ich verspüre großes Glück, dass sie endlich wieder auf einer Bühne stehen darf.“ Sie berichtet von den Zukunftssorgen der Künstler, die größtenteils jetzt schon gezwungen seien, ihre Altersvorsorge aufzubrauchen. Dass keine großen Konzerte veranstaltet werden durften, die Menschen aber in Freibädern zusammensitzen oder Partys feiern, „kann ich nicht so ganz nachvollziehen“, meint Felicia Greh.
„Bariton Michael Volle würde ich hinterherreisen. Ich habe ihn schon in Bayreuth erlebt“, schwärmt Opern-Fan Guido Leutenegger und fügt bezüglich der international renommierten Solisten an: „Wann darf man solche Stars schon live erleben? Ich liebe Corona nicht, aber ohne diese Krise wären sie sicherlich nicht in Konstanz aufgetreten.“
Leutenegger würdigt, den „Mut und den Durchhaltewillen der Künstler“ und dass sie gemeinsam mit der Philharmonie „die Chance genutzt haben, etwas wirklich sehr Schönes zu machen“. Zu den Eintrittspreisen sagt Leutenegger: „Mehr als preiswert. Hier wird an die Leute gedacht, die solche Musik auch lieben, aber nicht viel Geld haben, und diesen wunderbaren Abend somit auch genießen können.“
Konzert am Sonntagabend fällt ins Wasser
Das für Sonntag geplante zweite Konzert musste dagegen wegen des starken Regens abgesagt werden. Zwar seien trotz des Wetters etwa 30 Zuschauer da gewesen, doch der Platz war zu aufgeweicht, sagt Intendantin Pijanka. „Auf unserer Homepage veröffentlichen wir, wie die Rückerstattung des Kartenpreises abgewickelt wird.“ Gern würde man das Konzert nach der Sommerpause nachholen, wenn das möglich ist. „Schließlich haben die Musiker extra dafür geprobt.“