Die gute Nachricht lautet: Auch in der Coronakrise wird es wieder Konzerte und Theater geben, und die Proben dazu sind bereits in vollem Gange. Die schlechte: Die Bedingungen, unter denen diese Veranstaltungen stattfinden werden, könnten sich als gewöhnungsbedürftig erweisen.

Abstand statt Streitlust

Wenn etwa im Konstanzer Konzil der erste Auftritt der Südwestdeutschen Philharmonie ansteht, ist statt großer Sinfonien eher kammermusikalische Zurückhaltung angesagt. Und so sehr in Edward Albees Klassiker „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ die beiden streitlustigen Ehepaare einander auch an die Gurgeln gehen möchten: Im Stadttheater werden sie ihre Aggressionen bei Einhaltung von eineinhalb Metern Hygieneabstand wohl zügeln müssen.

Im Konstanzer Rathaus haben die Intendantinnen der beiden großen Konstanzer Kulturinsitutionen, Insa Pijanka (Philharmonie) und Karin Becker (Theater Konstanz), einen Ausblick auf die kommende Spielzeit gegeben. Es wird eine Saison im Zeichen der Sicherheitsabstände und Desinfektionsmaßnahmen.

Karin Becker ist die neue Intendantin am Theater Konstanz.
Karin Becker ist die neue Intendantin am Theater Konstanz. | Bild: Theater Konstanz / Ilja Mess

So herrscht im Stadttheater reichlich Beinfreiheit. Mehr als 200 Stühle wurden entfernt, übrig bleiben wenige Inseln mit insgesamt gerade noch 114 Plätzen – die zudem wegen unterschiedlicher Platzzuteilung an Einzelbesucher, Paare und Familien nur selten alle in den Verkauf gehen können. „Gemäß der Infektionsvorschriften wollten wir nicht, dass sich die Besucher auf dem Weg zu ihrem Platz begegnen können“, sagt Intendantin Becker: „Deshalb haben wir alle nicht benötigten Stühle abgeschraubt.“

So sieht der Zuschauerraum mit Blick auf die Bühne aus.
So sieht der Zuschauerraum mit Blick auf die Bühne aus. | Bild: Ilja Meß / Theater Konstanz

Um auch Schmierinfektionen auszuschließen, werden gleich nach Vorstellungsbeginn regelmäßig Toiletten und Türklinken desinfiziert (Becker: „Sie glauben ja gar nicht, wie viele Türklinken so ein Haus hat!“). Und auf der Bühne werden Liebesgeständnisse über mindestens 1,50 Meter Entfernung gerufen statt ins Ohr gesäuselt. Kann das überhaupt glaubwürdig wirken?

Banales wird kompliziert

Zumindest, gibt die Intendantin zu, stelle diese Aufgabe für Regisseure und Schauspieler eine enorme Herausforderung dar. Ganz banale Vorgänge würden plötzlich ungemein kompliziert: „Denken Sie nur mal an eine Szene, in der zwei Schauspieler aus derselben Flasche trinken sollen. Früher haben wir uns dabei nichts gedacht, heute muss der erste Schauspieler sie an einem Ort abstellen, an dem man sie heimlich wegnehmen, desinfizieren und wieder hinstellen kann!“

Oder die Abfolge von Auftritten: „Wir haben hinter der Bühne einen ganz schmalen Gang. Normalerweise schickt man über ihn einfach die Schauspieler auf die Bühne. Jetzt müssen sie mindestens eineinhalb Meter Abstand einhalten, damit sind gleichzeitige Auftritte gar nicht mehr möglich.“

Wenigstens das Programm selbst bleibt weitgehend unangetastet. Wie geplant soll am 26. September die Saison mit Hans Falladas „Jeder stirbt für sich allein“ starten. Eigentlich ist das ein Vier-Stunden-Stück, jetzt muss etwa die Hälfte der Zeit reichen, um die Geschichte zu erzählen.

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Bei der Philharmonie fallen die programmatischen Einschnitte hingegen deutlicher aus. „Bläser müssen nach vorne zwei Meter Abstand halten“, sagt Intendantin Insa Pijanka. „Unter solchen Bedingungen sind Konzerte mit großen Besetzungen in geschlossenen Räumen kaum noch möglich.“ Für die ersten Philharmonischen Konzerte im Konzil musste sie deshalb umplanen: hier eine Rhapsodie für Holzbläser, dort ein Stück für reines Streichorchester. Lediglich Beethovens Sinfonie Nr. 2 ist etwas größer besetzt.

Insa Pijanka ist Chefin der Südwestdeutschen Philharmonie.
Insa Pijanka ist Chefin der Südwestdeutschen Philharmonie. | Bild: privat

Und während die Kollegin vom Theater wenigstens weiß, welche Türklinken es überhaupt zu desinfizieren gilt, verfügt die Orchesterchefin nicht einmal über ein eigenes Haus. „Wege für das Publikum, Desinfektionsmaßnahmen für die Musiker, das alles müssen wir für jede Spielstätte völlig neu planen“, sagt Pijanka.

An einem dieser Orte, und zwar im Bodenseestadion, soll dafür am Wochenende vom 1. und 2. August ein ungetrübtes Konzerterlebnis möglich sein. Dank der Kooperation mit einer Biotech-Firma sind dann Open-Air-Konzerte in voller Orchesterstärke möglich, am Samstag eine Opern-Gala, am Sonntag eine „Sommerserenade“. „Die Musiker werden zu Beginn der Proben getestet und noch einmal zwischendurch“, erläutert Pijanka das Vorgehen: „Für dieses Konzept haben wir die Genehmigung zu diesem Projekt erhalten.“

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Maximal 500 Zuschauer werden auf dem Stadionrasen Platz nehmen dürfen, im Konzil werden es gerade mal 144 sein. Und damit wäre auch schon die interessanteste Frage für die Besucher mit Abonnentenstatus benannt: Dürfen sie sich angesichts dieser reduzierten Kapazitäten (in der Spiegelhalle gibt es nur noch 55 statt 160 und in der Werkstatt höchstens 30 statt 80 Plätze) überhaupt noch auf Konzert- oder Theaterabende freuen?

Kein Abo-Vorteil

Für das Theater ist die Antwort eindeutig: Ja, wer ein Abonnement abgeschlossen hat, wird auch in der kommenden Spielzeit zu seinem Recht kommen. Eigens zu diesem Ziel will das Ensemble jeweils fünf bis sieben Vorstellungen mehr geben. Der dadurch entstehende Zusatzaufwand soll unter anderem durch Aushilfen kompensiert werden. Einzige Einschränkung: Der klassische Abo-Vorteil mit fester Zuteilung von Platz und Kategorie wird wegfallen, dafür gibt es dann aber auch einen Preisnachlass.

Keine Nachteile für Kunden

Die Philharmonie dagegen spielt zwar ihre, jetzt deutlich kürzeren, Konzil-Konzerte gleich zweimal am Tag: erst um 18 Uhr, dann noch einmal um 20.30 Uhr. Sechs zusätzliche Auftritte aber wären nicht zu leisten. Deshalb sollen die Abonnements ausgesetzt werden, bis wieder ein Normalbetrieb möglich ist. „Die beiden ersten Philharmonischen Konzerte gehen in den freien Verkauf, unsere Abonnenten haben dabei aber ein Vorkaufsrecht“, sagt Pijanka. Finanzielle Nachteile habe niemand zu befürchten – jedenfalls kein Kunde.

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Für die Institutionen selbst sieht die finanzielle Situation düsterer aus. Allein das Theater rechnet mit Erlösausfällen von 790.000 Euro für das gesamte Jahr, wenngleich Verwaltungschefin Sabine Bilharz-Jones Wert auf die Feststellung legt, dass Erlösausfälle nicht mit Verlusten gleichzusetzen sind: Es habe in der Coronakrise auch erhebliche Kompensationseffekte gegeben. Erst vor zwei Wochen hatte der scheidende Intendant Christoph Nix sogar einen Überschuss verkündet.

Mit Wiederaufnahme des Spielbetriebs unter Coronabedigungen allerdings sind Überschüsse nicht mehr realistisch. Denn neben dem höheren Aufwand bei weitaus niedrigeren Publikumszahlen drohen auch noch Vorgaben aus der Stadtkämmerei: Dort rechnet man mit einem pandemiebedingten Verlust von 28,6 Millionen Euro. Die städtischen Ämter sollen deshalb mit einem um 20 Prozent geringeren Budget auskommen.

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Andreas Osner, Kulturbürgermeister von Konstanz, sieht jetzt die Politik in der Pflicht, Kulturinstitutionen vor solchen Ansinnen zu schützen. „Das Theater und das Orchester sind mit den Auswirkungen von Corona schon genug gestraft“, sagt er. Solange das nur ein Appell ist, dürften die Intendantinnen bei ihren Planungen mit angezogener Handbremse fahren.