Um mit den Worten von Jürgen „Neckes“ Greis zu beginnen: „Des hot‘s früher it gebe.“ Als noch immer rüstiger Rentner fasste Greis – dank Haarfarbe dezent ergraut – nach Eröffnung der fasnächtlichen Zeit durch die Narrengesellschaft Niederburg seinen Blick auf die heutige Zeit zusammen.

Dort findet er sich wieder, irgendwo in einem Dschungel zwischen: Nordic-Walkern, die ihn mit ihren Stöcken aufzuspießen drohen; einer Auswahl an Handys, die eigentlich doch keiner braucht; und dem Irrsinn der Datenschutz-Grundverordnung. Nein, des hot‘s früher alles it gebe.
Kinder und Hip-Hopper auf der Bühne: Des hot‘s früher au it gebe
Nicht gegeben hätte es auch, dass die Niederburg-Narren ihren traditionellen Fasnachtsauftakt im unteren Konzilsaal mit Auftritten eines Kindes, eines Hip Hoppers und sehr viel Pop-Musik bereichern. Bereichern, richtig.

Denn die neue Ausrichtung sorgt dafür, dass der Abend – er war nicht kürzer als in den Jahren, als er noch fast ausschließlich von Büttenreden lebte – nicht langatmig und bräsig daherkommt, sondern abwechslungs- und temporeich. Die Mischung machte es.
Der schmale Grat zwischen traditionellem Programm und Modernisierung
Wer die Menschen gut unterhält, soll auf die Bühne: jung, älter, sprechend, singend, rappend, tanzend. Mit diesem Versprechen war der neue Programmchef Simon Schafheitle bereits vor seiner Premiere angetreten.

Der schmale Grat, langjährige Freunde der klassischen Bühnenfasnacht nicht zu verprellen und trotzdem die Modernisierung voranzutreiben, wurde am Samstagabend erfolgreich bestritten. Als der letzte Takt gegen Mitternacht verklang, hört man Sätze wie: „Schön war‘s diesmal“ oder „Der Abend hatte gut Zug.“

Der Klepperlebue will jetzt Oberbürgermeister werden
Nach seinem Debüt im Vorjahr war dafür auch Enea von Stechow wieder mitverantwortlich. Nachdem der Stephansschüler im Vorjahr Niederburg-Präsident Mario Böhler zur Übergabe seines Amts aufgefordert hatte (erfolglos, noch ist Enea ein Klepperlebue), ging er diesmal noch einen Schritt weiter. Der Posten des Oberbürgermeisters sollte es sein.

Als Gegenkandidat von Uli Burchardt – wie zahlreiche andere lokale Prominente aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Konzil anwesend – brachte er sich für die Wahl im kommenden Jahr ins Spiel. Über sein Angebot, dem SÜDKURIER vorab ein exklusives Interview zu genehmigen, denkt die Redaktion intensiv nach.
Norbert Heizmann gibt den bissigen Verkehrskadetten
Weil beim Fasnachts-Auftakt das Geschehen vor der eigenen Haustür aufgespießt wird, fühlen sich viele Konstanzer vom Abend zum 11.11. besser unterhalten als bei der für Zuschauer aus dem gesamten Südwesten gedachten SWR-Fernsehsendung kurz vor dem Schmotzigen Dunschtig.
So darf Norbert Heizmann als bissiger Verkehrskadett nicht nur ein den Stopp vor Konstanz für Vertreter der großen Politik von Annegret Kramp-Karrenbauer über Boris Johnson bis zu Donald Trump fordern.
Sondern – ob als Kadett für den Verkehr oder zusammen mit Christiana Gondorf und Dominik Werner als spitzzüngige Wetterfrösche – auch die in diesem Jahr unvermeidbaren Themen Feuerwerk und Seenachtfest, Klimanotstand oder Bodenseeforum aufs Korn nehmen. Gleichermaßen gab Conny Nack als versierte Bistro-Wirtin preis, wer aus dem Städtle denn alles bei ihr ein- und ausgehe.

Die Rolle der mit französischem Akzent säuselnden Catherine aus der Niederburg hat sie so sehr zur Marke werden lassen, dass sie inzwischen angesprochen werden soll, wo ihr Bistro denn nun genau sein und wann es wieder eröffne.
Die gelungenen Sketche und Büttenreden (wobei auf die klassische Bütt bis zur Laudatio auf den neuen Burgherr gar niemand stieg) wurden von reichlich Musik gestützt. Das kann poppig-modern sein, wie durch die Duette von Yasin Amin mit Michael Kaltenbach oder später mit Christiana Gondorf. Oder als höchst-emotionaler Schlager auf den Rheintorturm durch Roswitha Baumgärtner und Wolfgang Hofmann daherkommen.
Ein Nordlicht und SÜDKURIER-Chefredakteur wird Burgherr

Das Augenmerk auf die Musik zu verlagern spiegelte sich auch beim Finale des Abends wider. Neu-Burgherr Stefan Lutz griff, begleitet von Matthias Fröhlich, nach seiner Kür durch die Laudatio von Burgdame Vera Hemm zur Gitarre und legte seine Sicht auf Konstanz singend dar. Auch hier gab es am Zustand des Bodenseeforums kein Vorbeikommen, ebenso wenig an den anhaltenden Streitereien zwischen Theaterintendant Christoph Nix und der Verwaltungsspitze.

Ob es die Narren der Niederburg mehr Überwindung gekostet hatte, ein aus Hannover stammendes Nordlicht oder ausgerechnet den Chefredakteur des SÜDKURIER zum Burgherrn zu ernennen? Weder noch, wenn man den Worten von Vereinspräsident Mario Böhler glauben darf: In allergrößtem Einmut sei die Wahl des 13er-Rats auf Stefan Lutz gefallen, beteuerte er. Aber des hot‘s früher wahrscheinlich dann doch au scho gebe.