2021: 700 Jahre Pulverturm. Was für ein Ereignis! Die Narrengesellschaft Niederburg als Nutzerin und Betreuerin des mittelalterlichen Wehrturms hatte endlich mal wieder Grund zum Feiern, was nicht nur Fasnachter allzu gerne tun. Sogar eine Broschüre gaben die Aktivisten zu diesem Anlass und zur Würdigung des Bauwerks heraus, waren aber gleichzeitig auch vorsichtig: Keiner wollte für das Baujahr 1321 seine Hand ins Feuer legen. Und das ist gut so, denn sie hätten sich daran ordentlich die Finger verbrannt.
Berechtigte Zweifel lösen Forscherdrang aus
Daniel Groß, Historiker und Co-Autor der Jubiläumsbroschüre, hatte anfangs schon Zweifel. Und im Zuge der Recherchen traten weitere Ungereimtheiten ans Licht. Stadtarchivar Jürgen Klöckler wollte es genau wissen, machte sich auf die Suche nach Daten und Fakten.
Rasch stellte er fest: „Die Tatsachenbehauptung, der Turm sei 1321 oder gar im 13. Jahrhundert von den Juden erbaut oder finanziert worden, entbehrt jeglicher archivarischer Grundlage.“ Er setzte alle Hebel in Bewegung, nahm Kontakt zu Denkmalpfleger Frank Mienhardt und zu Hochbauamtsleiter Thomas Stegmann auf, die ihrerseits tätig wurden und eine dendrochronologische Untersuchung (Bestimmung des Holzalters) in Auftrag gaben.
Bauforscher Burghard Lohrum nahm Proben des Gebälks. Er datiert das Fälldatum der jüngsten verbauten Eiche auf das Jahr 1371. Ob es sich um die Originalbalken in diesem Steinbau handeln? „Eine Hand würde ich dafür ins Feuer legen, aber nicht beide“, lächelt Lohrum. Dass er so mutig ist, hat gute Gründe, denn weitere Befunde stützen sein Gutachten: „Die Struktur des Gebäudes mit seinen Hochschlitzfenstern und dem spitzbogigen Eingang macht eine andere Datierung unwahrscheinlich“, erläutert der Bauforscher.

„Im Mittelalter bis etwa 1920 wurden Bäume geschlagen und noch frisch und grün verarbeitet; mittlerweile werden sie vorgelagert“, erklärt Burghard Lohrum. Und das bedeutet: Die Balken müssen in den Jahren 1373/74 eingebaut worden sein. Das Zeltdach hingegen ist aus Kiefernholz konstruiert. Lohrum datiert dieses Holz auf das Jahr 1634. Das macht nach Ansicht von Jürgen Klöckler Sinn, denn das Dach sei also „unmittelbar nach der schwedischen Belagerung der Stadt von 1633“ errichtet worden.
Und was passiert jetzt?
„Wir haben es hier mit unwahren historischen Tatsachenbehauptungen zu tun“, stellt Jürgen Klöckler fest. Und die könne man nicht einfach so stehen lassen. Niederburg-Präsident Mario Böhler hat schon Kontakt mit dem Tourismusverein KonTour aufgenommen, der die kleine Tafel neben der Eingangstür des Pulverturms gestiftet hatte. KonTour habe sofort zugesichert, eine neue Tafel zu finanzieren. Klöckler hat auch schon einen textlichen Vorschlag für die Plakette ausgearbeitet.

Wie mit der gemalten Schrift am Fuße des Turms verfahren werden soll, steht noch nicht fest. „Ist die Schrift selbst ein Zeitdokument?“, sinniert Denkmalpfleger Frank Mienhardt. „Ist es eine Geschichte die Geschichte erzählt? Steckt eine historische Aussage dahinter?“ Noch immer gibt es Fragen über Fragen. Vielleicht bleibt diese schön gemalte Schrift bestehen und wird durch eine fundierte Erläuterung ergänzt. Auch das wäre eine mögliche Variante, wie man mit historischen Fake News umgehen könnte.