Herr Kaz, Sie haben den Schuldienst freiwillig um ein Jahr verlängert. Können Sie nicht loslassen oder wollten Sie noch länger Chef sein?

Wenn ich nicht loslassen könnte, hätte ich nochmal ein Jahr verlängert (lacht). Wenn man sich fit fühlt und eine Aufgabe toll findet, warum soll man aufhören? Aber ich denke in Projektzyklen und konnte nun das große Projekt der Digitalisierung mit meinem Kollegium in diesem Schuljahr abschließen. So ist es für mich stimmig.

Fällt Ihnen der Abschied schwer?

Natürlich ist es schwer, sich zu lösen, wenn man Schule so versteht wie ich, dass nicht nur der Schüler dort seinen Lebensraum hat, sondern auch der Lehrer. In meinem Beruf steckt ein Lebensentwurf, der viel mit menschlicher Beziehung zu tun hat.

Wenn Sie auf Ihre gesamte Zeit an den verschiedenen Schulen zurückblicken: Was bleibt hängen?

Eine große Veränderung des allgemein bildenden Gymnasiums. Wir haben um die Jahrtausendwende im Rahmen der Umstellung von G9 auf G8 um die Ganztagsschule gekämpft. Damals war der Tenor in der Politik: Warum braucht das Gymnasium als Elite einen Ganztagsbereich? Das war spannend, weil in der Gesellschaft mehr respektiert wurde, dass oft beide Elternteile arbeiten. Ich habe aber unterschätzt, wie lange es gedauert hat, das umzusetzen. Unsere Kraft und der Antrieb waren enorm, aber auch die Widerstände waren enorm.

Jürgen Kaz fällt der Abschied von der Schule schwer, auch wenn die politischen Auseinandersetzungen aus seiner Sicht nicht immer einfach ...
Jürgen Kaz fällt der Abschied von der Schule schwer, auch wenn die politischen Auseinandersetzungen aus seiner Sicht nicht immer einfach waren. Davon berichtet er im Gespräch mit SÜDKURIER-Redakteurin Kirsten Astor. | Bild: Jonas Bernauer

Früher war das Gymnasium für die wirklich guten Schüler da. Inzwischen wollen sehr viele Familien, dass ihre Kinder das Abitur ablegen. Wie geht man damit um?

Das muss man einfach annehmen. Das Gymnasium ist inmitten der Gesellschaft, es ist die Mittelschule der heutigen Zeit und kann fast alle Kinder integrieren. Oft wird nicht realisiert, dass im Gymnasium auch Bildungsgerechtigkeit stattfindet, nicht nur in einer neuen Schulart.

Das heißt, die Gemeinschaftsschule bräuchte es nicht?

Ich glaube, das allgemein bildende Gymnasium ist eine Schulart mit einer großen Aura. Diese Schulart hat mit ihrem Kanon auch wilde politische Zeiten überlebt und war immer sehr stabil. Daran glaube ich. Darüber hinaus sind neue pädagogische Strömungen wichtig, um Impulse zu setzen.

Die Gebhardschule wird weiterhin überrannt.

Ja, aber beim Gymnasium geht es um 120, 130 Jahre Stabilität. Ich versuche trotzdem nicht, eine Konkurrenz aufzumachen, denn wir Gymnasien nehmen ja auch Impulse aus dieser neuen Richtung mit. Aber wir sind der Ruhepol in einer sich ständig wandelnden Gesellschaft. Der Zauber der Allgemeinbildung sollte eine Art Weltkulturerbe sein.

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Auch in der Schullandschaft findet viel Wandel statt, siehe G8 und G9.

Genau! Die Schulleiter der Gymnasien sollen jetzt im Herbst die Eltern der künftigen Fünftklässler informieren, aber worüber? Wir wissen ja selbst noch gar nicht, wann bei der Rückkehr zu G9 die zweite Fremdsprache beginnen soll. Und auch hier wird sich zeigen, wie es mit der Gemeinschaftsschule weitergeht, wenn plötzlich alle Gymnasien G9 anbieten. Wie viele Eltern entschieden sich wegen des pädagogischen Konzepts für diese neue Schulart und wie viele wegen G9?

Sie wollen keine Konkurrenz aufbauen, aber immer wieder klingt Neid an, wenn Leiter etablierter Schularten über die Gemeinschaftsschule sprechen, die zum Beispiel eine bessere Ausstattung bekommt.

Bei allen Innovationen wird materielle Ungerechtigkeit empfunden, denn wenn Dinge neu angeschoben werden, wird da viel Geld reingesteckt. Dass man sich ein bisschen vernachlässigt fühlt, liegt in der Natur der Sache. Aber das schafft keine Konkurrenz per se. Auch die Gemeinschaftsschule orientiert sich an bewährten Konzepten. Denn wir haben dieselben Ziele, nur die Methodik ist ein Stück weit anders. Wir arbeiten in Konstanz wunderbar zusammen, auch mit den anderen Gymnasien. Es ist gut, wenn jede Schule eine eigene Couleur hat, sonst hätten die Eltern ja nichts auszuwählen.

(Archivbild) Wie oft er wohl Abitur-Prüfungsunterlagen aus dem Schrank im Rektorat geholt hat? Auf diesem Bild aus dem Jahr 2010 macht ...
(Archivbild) Wie oft er wohl Abitur-Prüfungsunterlagen aus dem Schrank im Rektorat geholt hat? Auf diesem Bild aus dem Jahr 2010 macht Jürgen Kaz genau das, zusammen mit seiner damaligen Stellvertreterin Anna-Maria Lacher-Rapp. | Bild: Oliver Hanser | SK-Archiv

Die Schullandschaft hat aber immer weniger unterschiedliche Färbungen, einige Schulen wurden und werden geschlossen. Ist es gut, dass Konstanz auf das Zwei-Säulen-Modell aus Gymnasium und Gemeinschaftsschule zusteuert?

Ich bedauere es sehr, dass die Realschulen als sehr intakte Schulart ausgedünnt werden. Ich bin aber realistisch genug, um zu sehen, dass ein Bildungsflickenteppich für Schulträger schwierig ist. Wenn wir auf ein Zwei-Säulen-Modell zusteuern, muss auch die Gemeinschaftsschule regelmäßig und ohne Komplikationen Schüler aufnehmen können, die das Gymnasium verlassen. Momentan werden die Kinder, die das bräuchten, nicht würdig genug behandelt, weil die Kapazitäten nicht ausreichen. Aus der Not heraus müssen sie oft eine Realschule außerhalb von Konstanz besuchen.

Sie haben auch viele Sitzungen des Schulausschusses und Gemeinderats mitgemacht. Wie anstrengend war es, in Konstanz Schulleiter zu sein?

Als anstrengend habe ich das Schulleiterdasein nie empfunden, weil ich das jeden Tag mit großer Freude angenommen habe. Anstrengend sind eher die kommunalpolitischen Diskussionen. Die Gymnasien erfahren nicht immer die Wertschätzung, die sie hätten erfahren sollen. Wir haben zwar einen Ganztagsbereich bekommen, aber ich hätte gerne neben den Klassenzimmern ein paar Quadratmeter Raum für differenziertes Arbeiten erhalten. Das wurde uns nie zugestanden.

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Da sind wir wieder bei der Gemeinschaftsschule.

Ja, die Gemeinschaftsschule hat diese Räumlichkeiten erhalten. Bei uns Gymnasien war immer das Diktum: Man baut nur, was vom Land gefördert wird.

Und kaum war was gebaut, war es schon wieder zu klein.

Deshalb haben wir im Humboldt-Gymnasium immer wieder fünf Klassen in Jahrgang fünf aufgenommen, das führte zu heftigen Debatten. Denn der Gemeinderat hatte erzwungen, dass alle vier städtischen Gymnasien je vier Züge aufnehmen. Dabei werden aber die Wünsche der Familien missachtet. Da muss man sich fragen: Für wen mache ich Politik, für Gebäude oder für Eltern? In den vergangenen 21 Jahren hatten wir im Schnitt 140 Anmeldungen, aber nur Platz für 120 Kinder. Das wollte nicht wahrgenommen werden.

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Zuletzt mussten immer dieselben Schulen einige Kinder abweisen. Können Sie nachvollziehen, dass Familien argwöhnisch auf Kinder schielen, die in der Schweiz leben und eine Konstanzer Schule besuchen?

Vor dem Hintergrund des Klassenausgleichs kann ich das nachvollziehen. Aber ich verstehe nicht, warum man Kinder nicht aufnehmen kann, die schon in Konstanz die Grundschule besucht haben. Die Schweiz gehört zum Schengen-Raum, also auch zu Europa. Wenn in Kreuzlingen ein Viertel der Einwohner Deutsche sind, gehört das auch zu unserer Bildungslandschaft. Die Grenzen sind offen, aber wir haben die Schlagbäume in unseren Köpfen.

Warum soll heute noch jemand Lehrer werden, obwohl dieser Beruf in der Gesellschaft oft nicht genügend gewürdigt wird?

Dem Lehrerberuf wohnt ein Zauber inne. Es ist wichtig, stark in seinen Fächern zu sein. Aber noch viel wichtiger ist, dass man als Lehrer den Umgang mit Menschen sucht und mit unerwarteten Situationen umgehen kann. Ich habe Freude an dieser Offenheit, am täglichen prallen Leben, das uns begegnet.

Und welches pralle Leben suchen Sie im Ruhestand?

Ich werde Dompteur meiner Bienen, die lassen sich nicht erziehen (lacht). Bienen haben einen zauberhaften Kosmos mit ganz eigenen Gesetzen. Da bin ich dann nur noch Beobachter.