Anastasia Sommerfeld ist wütend. Darauf, dass sie ihr Leben nicht so führen kann, wie sie und ihr Mann es sich vorgestellt hatten. Arbeiten, sich als Familie etwas aufbauen und als Selbstständige im Handwerk auch anderen ein verlässlicher Arbeitgeber sein. Das Modell scheitert am Kitaplatz. „Konstanz ist auf einigen Gebieten nicht kinderfreundlich“, sagt die 35-jährige Medizinfachangestellte, die eine Umschulung zur Büroleitung absolvierte.

Schon bei ihrer älteren Tochter war es mit einem Kitaplatz „ein Kampf“, nun ist die zweite Tochter Jana fast vier Jahre alt und hat immer noch keine Betreuung. „Wir arbeiten beide viel und brauchen den Platz“, sagt Sommerfeld. Sie hat keine Verwandten in der Nähe. „Also muss ich Jana mit ins Büro nehmen. So werde ich meinem Kind nicht gerecht und konzentriert arbeiten kann ich auch nicht.“

Besonders tut ihr die Situation für ihre Tochter leid. „Wir laufen immer extra andersherum zur Bushaltestelle, damit wir nicht am Kindergarten vorbeikommen“, sagt Sommerfeld. „Jana fragt ständig, wann sie da hingehen darf.“

Das könnte Sie auch interessieren

Hunderte Familien ohne Betreuung

So wie Familie Sommerfeld geht es vielen Eltern. Laut Stadt Konstanz erhielten 395 unter Dreijährige, die zum Stichtag 1. März 2024 angemeldet wurden, in der ersten Vergaberunde kein Angebot für das Kitajahr, das im September beginnt (Stand: 13. Mai).

Bei den über Dreijährigen konnten 384 angemeldete Kinder nicht versorgt werden. Allerdings stehen laut Stadt unter anderem 100 Familien auf der Liste, weil sie die Einrichtung wechseln möchten. Freuen können sich die Eltern von 277 unter Dreijährigen und 569 über Dreijährigen (Stand: 13. Mai): Sie erhielten eine Zusage.

Freuen konnten sich die Eltern von 277 unter dreijährigen Kindern und 569 über Dreijährigen (Stand 13. Mai 2024): Sie erhielten einen ...
Freuen konnten sich die Eltern von 277 unter dreijährigen Kindern und 569 über Dreijährigen (Stand 13. Mai 2024): Sie erhielten einen Betreuungsplatz. | Bild: Kirsten Astor

Was können die Eltern tun, die leer ausgingen? Wir haben fünf Tipps.

  1. Sich in Nachbargemeinden um einen Platz bemühen. In Allensbach werden eine Handvoll Konstanzer Kinder betreut. Doch die Familienbeauftragte der Gemeinde, Cordula Spießer, sieht Grenzen: „Anhand des Bedarfsplanes können wir in den kommenden Jahren damit rechnen, nicht mehr allen Allensbacher Familien direkt ein Angebot machen zu können. Kinder aus Konstanz und Umgebung können dann nicht mehr aufgenommen werden.“
    Dennoch könnten sich aktuell betroffene Familien an sie wenden. Kontakt: Telefonnummer 07533 80125; E-Mail: Cordula.Spiesser@allensbach.de. Auf dem Reichenauer Festland (Waldsiedlung und Lindenbühl) werden derzeit sieben Konstanzer Kinder betreut. Der Reichenauer Hauptamtsleiter Mario Streib sagt aber: „Kinder von außerhalb der Gemeinde werden derzeit nicht mehr angenommen, es besteht eine Warteliste.“ Über die Website der Gemeinde könne aber eine zentrale Vormerkung abgegeben werden.
  2. Sich einen Platz in Kreuzlingen organisieren, den Konstanz bezahlen muss. Jenseits der Grenze sind oft noch Plätze frei und der Rechtsanspruch besteht unabhängig davon, wo eine Familie ihn umsetzt. Im Sommer 2023 waren elf Konstanzer Kinder in Schweizer Kitas untergebracht, derzeit zahlt die Stadt Konstanz für 31 Kinder Aufwendungsersatz für selbstbeschaffte Plätze in der Schweiz (Stand: 1. Mai). 2021 musste die Stadt dafür rund 17.600 Euro an die betreffenden Familien überweisen, 2022 waren es etwa 60.700 Euro und im vergangenen Jahr sogar 191.600 Euro.
  3. Hoffen, dass sie im Nachrückverfahren noch einen Platz ergattern. Laut Sozial- und Jugendamt werden in den Runden bis Ende Juli nochmal rund 50 Plätze vergeben.
  4. Sich mit anderen Familien zusammenschließen, die leer ausgingen, und sich abwechselnd um die Kinder kümmern. Das deckt zwar nicht den Bedarf. „Aber vielen Eltern ist es wichtig, dass ihre Kinder zumindest mit Gleichaltrigen in Kontakt kommen“, sagt Rüdiger Singer, Leiter der Jugendhilfeplanung beim Konstanzer Sozial- und Jugendamt. „Wir unterstützen selbst organisierte Elterngruppen, zum Beispiel kommen Familien im Treffpunkt Petershausen zusammen.“
  5. Den juristischen Weg gehen und den Verdienstausfall einklagen. Wenn eine Kommune den Rechtsanspruch eines Kindes auf Betreuung nicht leisten kann, könnte die Stadt verpflichtet werden, den Verdienstausfall der Eltern zu finanzieren. Laut Sozial- und Jugendamt wollte bisher nur eine Familie diesen Weg gehen. Das Gericht wies dies Klage zurück.

Das Punktesystem ist unter Eltern umstritten

Viele Eltern beklagen aber nicht nur den Platzmangel, sondern auch die Art der Vergabe. Sie stellen sich immer wieder dieselben Fragen: Wie kann es sein, dass Eltern ohne Arbeit einen Platz bekommen, andere mit Arbeitsvertrag aber leer ausgehen? Warum bekommt ein alleinerziehender Elternteil ohne Arbeit mehr Punkte als eine Familie, bei der beide Eltern arbeiten?

Dass arbeitende Eltern nicht berücksichtigt werden, arbeitssuchende aber sehr wohl, könne durchaus vorkommen, erläutert das Sozial- und Jugendamt: „Diese Konstellation ist bei über dreijährigen Kindern denkbar, da der Großteil der Plätze (dies sind überwiegend Halbtagsplätze und Plätze mit verlängerten Öffnungszeiten) nach dem Alter vergeben werden.“

Das könnte Sie auch interessieren

Ein Kind mit drei Jahren und sieben Monaten hat Vorrang vor einem Kind mit drei Jahren und zwei Monaten – unabhängig davon, wie viele seine Eltern arbeiten. Wird ein über dreijähriges Kind dagegen ganztags betreut, zählt das Punktesystem und nicht das Alter.

Das Punktesystem wurde vom Jugendhilfeausschuss als Teil des Gemeinderats in öffentlicher Sitzung beschlossen. „Wichtig ist, dass die Vergabe transparent abläuft“, sagt Rüdiger Singer. Er weiß aber auch: „Ganz gerecht wird das System nie werden, solange wir nur den Mangel verwalten.“

„Ganz gerecht wird das System nie werden, solange wir nur den Mangel verwalten“, sagt Rüdinger Singer, Leiter der Abteilung ...
„Ganz gerecht wird das System nie werden, solange wir nur den Mangel verwalten“, sagt Rüdinger Singer, Leiter der Abteilung Jugendhilfeplanung im Sozial- und Jugendamt Konstanz. | Bild: Kirsten Astor

Das größte Problem ist aber nicht der Mangel an Plätzen, sondern an Personal. Laut Stadt Konstanz können aktuell rund 300 vorhandene Kitaplätze nicht belegt werden, weil Erzieherinnen und Erzieher fehlen.

Anastasia Sommerfeld weiß das alles, ist aber trotzdem frustriert. „Warum müssen immer wir Eltern eine Notlösung finden?“, fragt sie. Betroffen seien vor allem die Frauen. „Wir reden von Gleichberechtigung, aber es bleiben meistens die Mütter zu Hause. Und wer kann in Konstanz von nur einem Gehalt leben?“

„Konstanz ist auf einigen Gebieten nicht kinderfreundlich. Wir möchten ja arbeiten und Steuern zahlen, aber das geht nicht ohne ...
„Konstanz ist auf einigen Gebieten nicht kinderfreundlich. Wir möchten ja arbeiten und Steuern zahlen, aber das geht nicht ohne Betreuung“, sagt Mutter Anastasia Sommerfeld. | Bild: Kirsten Astor

Nach vielen Vergaberunden ohne Zusage bekommt Familie Sommerfeld nun doch einen Platz ab September. Jana würde am liebsten morgen schon ihren Rucksack packen.

Das könnte Sie auch interessieren