An diesem verwinkelten Gebäude mit Türmchen fahren Tag für Tag Hunderte Konstanzerinnen und Konstanzer vorbei, ohne sich Gedanken über seine Vergangenheit zu machen. Wer etwas länger in Konstanz lebt, hat noch die Zeit als Polizeiposten im Kopf. Doch über die düstere Vergangenheit der Villa wissen nur wenige Bescheid.

Das Haus in der Mainaustraße 29 gehörte zur Zeit des Nationalsozialismus dem Reich und diente als Sitz der örtlichen Gestapo (Geheime Staatspolizei). Im Keller wurden Menschen festgehalten. Im Zuge der Judenverfolgung wurden mehrere Konstanzer Bürger von der SS verhaftet und in die Villa gebracht.
Wie der SÜDKURIER berichtete, wurden etwa 60 jüdische Männer am 10. November 1938 inhaftiert und in die Zellen der Mainaustraße 29 gesperrt. Von hier aus wurden viele von ihnen in das Konzentrationslager nach Dachau geschickt. Im Laufe des Zweiten Weltkriegs sollen auch polnische Kriegsgefangene hinter den Türen des Kellers misshandelt und hingerichtet worden sein.

Nach dem Krieg folgt Völkerverständigung
Als der Zweite Weltkrieg beendet war, begann die Besatzungszeit der Franzosen. Sie beschlagnahmten auch das Gebäude in der Mainaustraße 29 und nutzten es für Veranstaltungen der Garnison sowie als Bar. So schreibt es Lothar Burchardt im Buch „Geschichte der Stadt Konstanz“, Band 6.
Im Juni 1949 ging das Haus in den Besitz des badischen Staates über, blieb aber französisch besetzt. Was mit dem Gebäude passieren sollte, dazu hatte vor allem ein Mann eine Idee: André Noël. Der Franzose übernahm von 1948 bis 1951 das Amt des Gouverneurs in Konstanz. Laut dem Buch „Französische Spuren in Konstanz“ von Daniela Frey und Claus-Dieter Hirt begann mit ihm eine Zeit der Annäherung.
Noël führte Sprechstunden für die Bevölkerung ein, kam mit Vereinen in Kontakt und sorgte mit dem Konstanzer Oberbürgermeister Franz Knapp für Entspannung zwischen Bürgern und Besatzern. Und dann gingen beide gemeinsam einen Schritt, der das deutsch-französische Verhältnis weiter normalisierte: Sie gründeten ein Europahaus in der Mainaustraße 29.
André Noël bezeichnete es in einer Neujahrsansprache als „Heim der Verständigung und der Versöhnung“. Am 26. Januar 1950 wurde der Trägerverein gegründet, viele Vereine nutzten es zur Zusammenkunft. Laut Burchardt wurden eine internationale Bibliothek eingerichtet, ein Restaurant und eine Bar eröffnet und kulturelle Veranstaltungen organisiert. Viele Bürger nahmen die Angebote dankbar an, schnell zählte der Trägerverein über 1000 Mitglieder.
Doch es gab auch gegenteilige Meinungen: Während die einen laut Burchardt die „entwürdigende deutsche Unterwürfigkeit gegenüber der Besatzungsmacht“ kritisierten, hatten andere handfeste Probleme: Die Bar im Europahaus, die von Franzosen betrieben und somit nicht an übliche Sperrstunden gebunden war (in Konstanz endete das Nachtleben um ein Uhr), erfreute sich großer Beliebtheit – zum Leidwesen der Nachbarn, die die Pächter in einen Rechtsstreit verwickelten.
Sie setzten durch, dass auch für die Bar im Europahaus die übliche Sperrstunde galt. Die Villa wurde laut Lothar Burchardt zu einer Art geistigem Mittelpunkt in Konstanz. Doch der Stern des Europahauses begann zu sinken. Grund dafür waren finanzielle Probleme.
Dann ging die Immobilie aus Landes- in Bundesbesitz über, der Bund forderte eine hohe Miete. Im November 1954 musste das Europahaus als deutsch-französische Begegnungsstätte aufgegeben werden.
Die in München erscheinende „Neue Zeitung“ schrieb laut Burchardt: „Dieses Europa-Haus war ein Lichtpunkt in dunkler Zeit, Schauplatz der ersten menschlichen Begegnungen zwischen Deutschen und Franzosen nach dem Kriege. Hier erfocht Frankreich seinen ersten Sieg über die Herzen der Deutschen.“ Noch heute erinnert die angrenzende André-Noël-Straße an den ideengebenden französischen Gouverneur.
Als Nächstes zieht die Polizei ein
Rund 30 Jahre später diente das Haus nicht mehr der kulturellen Begegnung, sondern der Verbrechensaufklärung: Die Konstanzer Polizei bezog die Villa, viele Konstanzer können sich noch an die Mainauwache erinnern.
Am 4. November 1981 berichtete der SÜDKURIER von der Platzknappheit der Polizei, die ihr Personal auf neun Gebäude aufteilen musste: die Kriminalpolizei war am Lutherplatz in drei Häusern untergebracht, es gab die Direktion in der Konzilstraße, den Verkehrsdienst in der Mainaustraße 2, das Revier in der Mainaustraße 29, die Technischen Dienste in der Wollmatinger Straße 183 sowie Garagen und Lagerräume in der Rheingasse 2.
Damals träumte Polizeidirektor Helmut Kümmerle davon, die gesamte Polizei in der Klosterkaserne unterzubringen. Tatsächlich zog die Polizei 1995 in das sanierte Gebäude am Benediktinerplatz ein, die Mainauwache wurde aufgegeben.

Tatütata, das Rote Kreuz ist da
Anschließend stand die Villa eine Zeit lang leer, bis das Deutsche Rote Kreuz, Kreisverband Konstanz, das Gebäude vom Land Baden-Württemberg abkaufte und sanierte. Laut SÜDKURIER von September 2000 wurden Parkettböden freigelegt, das Dach isoliert und von Asbest befreit, man baute eine neue Heizung ein, strich Außen- und Innenwände.

Am 23. September 2000 eröffnete der DRK-Kreisverband das Rettungszentrum Mainauwache. Was der damalige Kreisgeschäftsführer Arnim Lauinger bei der Einweihung sagte, klingt aus heutiger Sicht amüsant. Denn er lobte das neue Haus als modern, während die früheren Räume in der Luisenstraße zu klein gewesen seien. Außerdem gab es dort nur eine Toilette für 20 Mitarbeiter, das habe den Vorschriften nicht mehr entsprochen.
Ein Vierteljahrhundert später stößt das DRK die damals hochgelobte Villa aus denselben Gründen wieder ab: zu klein, zu verwinkelt, nicht mehr den Anforderungen genügend, wir berichteten kürzlich. Doch für damalige Zeiten war das Haus Luxus: „Über mangelnden Platz kann sich in der Mainaustraße keiner mehr beklagen“, heißt es im SÜDKURIER-Artikel.
Frank Hämmerle, ehemaliger Landrat und 25 Jahre lang DRK-Kreisvorsitzender, war einst „stolz wie Bolle“ auf das frisch renovierte Gebäude. „Vor allem das Turmzimmer hatte es mir angetan“, erzählt er heute. „Ich stellte mir vor, wie ich da oben gemütlich Sitzungen abhalte.“ Doch genutzt habe er das Zimmer fast nie.

Was mit dem Haus künftig passieren soll, ist noch unklar. Egal, was es sein wird: Die Villa hat schon so viele unterschiedliche Menschen kommen und gehen sehen. Sie kann die Zukunft entspannt auf sich zukommen lassen.