Als Johannes Kumm das Kunst- und Kulturzentrum K9 betritt, geht sein Blick zuerst an die Decke. Dort oben prangt ein schmuckes Stuckornament. „Als ich vor der Sanierung hier hereinkam, war davon nichts zu sehen“, erinnert sich der ehemalige Hochbauamtsleiter der Stadt Konstanz, der den Umbau damals fachlich begleitete.
Damals, das war zwischen 1986 und 1990. Kumm erinnert sich: „Das Gebäude stand viele Jahre leer. Ein Sanitärgeschäft hatte hier zuletzt sein Lager, überall lagen Rohre herum. In das Gebäude waren Zwischenböden eingezogen, alles war sehr heruntergekommen.“

Trotz vieler Aufforderungen habe sich der Eigentümer geweigert, die alte Kirche instand zu setzen, der Denkmalschutz setzte die Latte noch höher. Doch irgendwann war es so weit, das einst sakrale Gebäude wurde kernsaniert. Architekt war damals Raimund Blödt. Als Projektsteuerer fungierte der spätere Stadtkämmerer Hartmut Rohloff, der zu jener Zeit die Sanierungsstelle der Stadt Konstanz betreute.
„Die Kirche wurde entkernt, die Zwischenböden entfernt, dafür wurden eine neue Empore mit Stahlstützen, weitere Eingänge und eine Lüftungsanlage eingebaut“, erzählt Johannes Kumm, 78 Jahre alt. „Außerdem hat Stuckateur Andreas Scheideck die Decke hergerichtet und die Originalfarben hervorgeholt.“ Der Betonboden wurde durch Steine ersetzt. Trotz des erbarmungswürdigen Zustands des Innenraums sei die Grundsubstanz in Ordnung gewesen, sagt Architekt Kumm.

Der Denkmalschutz habe besonderen Wert auf das Dach gelegt. „Zu 70 Prozent liegen dort noch die alten Biberschwanzziegel darauf“, sagt Kumm. An der Kirche, die Bischof Konrad von Konstanz in den Jahren 934 bis 975 erbauen ließ, sind von außen nicht mehr viele sakrale Elemente zu sehen. Die einst dreischiffige Basilika mit Turm ähnelt eher einem Wohnhaus, doch es finden sich noch Hinweise auf die ursprüngliche Nutzung.
Auffällig sind neben der Stuckdecke die von innen zugemauerten Kirchenfenster. Dies ist aufgrund des Schallschutzes nötig. Das Tonnengewölbe im Foyer des K9 erinnert an ein kirchliches Seitenschiff, wurde allerdings erst nachträglich ergänzt. So schreibt es jedenfalls Nadine Matt zum 30-jährigen Bestehen des Kunst- und Kulturzentrums in einer Broschüre, die die Geschichte der Paulskirche nachzeichnet.
„Von 1734 bis 1736 erfolgte eine durchgreifende Wiederherstellung. Bei dieser Gelegenheit wurden neue größere Fenster und zwei Eingänge (einer zum Friedhof und einer zur Straße) ausgebrochen. In diesem Zuge wurde auch die Stuckdecke angebracht“, so Matt. Bis 1813 sei die Paulskirche als katholische Kirche genutzt worden und diente dann noch vier Jahre lang, von 1816 bis 1820, als erste evangelische Kirche der Gemeinde Konstanz.
Nach der Profanierung 1834 verkaufte die großherzoglich badische Domänenverwaltung das Gebäude an den Händler David Koch und den Wirt Gottlob Keppler. „Koch errichtete Wohnräume und Keppler benutzte den westlichen Teil zunächst als Heumagazin. Sein Sohn Karl ließ diesen dann 1839 zu einer Brauerei umbauen“, erläutert Nadine Matt. „Er vertiefte den Raum, um einen Keller zu gewinnen, und der hintere Teil erhielt das massive Tonnengewölbe, welches nun unser Foyer ist.“
Südlich sei das ehemalige Pfarrhaus angebaut gewesen, noch weiter südlich stand der Paulsturm, den die Stadt wohl als Kerker verwendete. „Dort wurde während des Konstanzer Konzils Hieronymus von Prag bis zu seiner Verurteilung festgehalten. Erst 1911 wurde der Turm niedergelegt, um einem Wohnhaus Platz zu machen“, steht in der Jubiläumsbroschüre.
Geheimgänge und verwinkelte Räume
Einer, der sich bestens mit dem alten Gemäuer vertraut gemacht hat, ist Klaus Oechsle. Der Vorstandsvorsitzende des Kunst- und Kulturzentrums trat zwar erst 1995 in den Verein ein und bekam vom Umbau nichts mit. Doch er ist oft in der ehemaligen Kirche, kennt die Geheimgänge zu den Nachbargebäuden und die vielen verwinkelten Räume.
Bei einem Rundgang erläutert der ehemalige Chef der Wasserschutzpolizei Reichenau: „In den ersten beiden Jahren nach der Kernsanierung war hier auch das Zebrakino untergebracht.“ Er führt durch die kleine und schlicht eingerichtete Künstlergarderobe zu einer alten Treppe hoch ins Dachgeschoss.

„Teile des Hauptgebälks sind rund 1000 Jahre alt, sagte einst ein Zimmerer“, so Oechsle stolz. Doch das historische Erbe hat durchaus Nachteile. „Eine Dämmung gibt es nicht, wir heizen das Weltall“, sagt er und ergänzt: „Die massive Lüftungsanlage ist hier oben an den Balken aufgehängt, denn die Decke würde die Last nicht tragen.“
Sorgen bereiten ihm auch Risse im Mauerwerk, das Dach sei undicht, Toiletten und Einrichtung über 30 Jahre alt. „Das K9 ist auch nicht barrierefrei, aber wir haben kein Geld für die Sanierung“, sagt Klaus Oechsle und ergänzt seufzend: „Im K9 ist ‚Wollen‘ das zweitwichtigste Wort hinter ‚geht nicht‘.“ Ohne Zuschüsse des Landes und der Stadt Konstanz sowie Spenden sei die Miete an die Spitalstiftung nicht bezahlbar.

Dann verlässt er den mit Spinnweben durchzogenen Dachstuhl und steigt über das Foyer die Wendeltreppe in den Keller hinab. Hier befinden sich Toiletten und Getränkelager, in einem kleinen Nebenraum ist die alte Steinmauer sichtbar. Am Boden befinden sich geheimnisvolle Rohre. „Das ist die Sumpfdrainage“, erklärt Klaus Oechsle. „Wir sind hier unterhalb des normalen Grundes. Daher stammt der Name Subkultur“, ergänzt er schmunzelnd.
Mit einem Blick auf die Kellermaße sagt der 67-Jährige: „Der Grundriss des Foyers stimmt nicht mit dem Untergeschoss überein. Wer weiß, vielleicht sind hier Mönche eingemauert, die jetzt noch beim Wein sitzen“, scherzt Oechsle.
Eine Frage bleibt aber noch: Warum heißt das Kulturzentrum K9, obwohl es sich in der Hieronymusgasse 3 befindet? Klaus Oechsle klärt auf: „Unser Verein wurde vor dem Bezug der Paulskirche in der Katzgasse 9 gegründet. Johannes Kumm wusste damals, dass wir ein heimatloser Verein waren und dass dieses Gebäude hier quasi nutzlos war. Er brachte beides glücklicherweise zusammen.“ Und damit ist auch klar: Das K steht weder für Kunst noch für Kultur. Wieder was gelernt.