Schlank und herausgeputzt überragt der Wasserturm in Stromeyersdorf die Firmengebäude, quasi als Wächter am Seerhein. So hübsch sah der Turm allerdings nicht immer aus, er sollte in den 1980er-Jahren sogar abgerissen werden. Inzwischen ist er stolze 114 Jahre alt und eines der Relikte aus jener Zeit, als Konstanz noch große Industrie beherbergte.

Denn dort, wo einst ein riesiges Areal dazu diente, Zelte und Planen herzustellen und Stoffe zu färben, erinnern heute nur noch ein paar alte Gebäude an die große Textilfabrik. Ludwig Stromeyer hatte 1872 in Romanshorn mit einem Geschäftspartner die Firma Landauer zur Herstellung von Jutesäcken und Pferdedecken gegründet und expandierte nach und nach.

1873 kaufte er ein Anwesen in der Konstanzer Münzgasse und erwarb ein Jahr später ein Grundstück an der Gottlieber Straße im Paradies. Die Geschäfte liefen gut, Stromeyer verlegte 1906 den Sitz der Firma an das rechtsrheinische Ufer und baute auf 150.000 Quadratmetern Fläche die damals größte Fabrik in Konstanz – kein Wunder, dass das Gebiet heute Stromeyersdorf heißt.

Ein Blick von oben auf die ehemalige Planen- und Zeltfabrik Stromeyer: Im September 1979 lief die Produktion noch, obwohl sechs Jahre ...
Ein Blick von oben auf die ehemalige Planen- und Zeltfabrik Stromeyer: Im September 1979 lief die Produktion noch, obwohl sechs Jahre zuvor Insolvenz angemeldet worden war. Links von den Produktionshallen ist der Wasserturm erkennbar, der 1910 gebaut wurde. | Bild: SK-Archiv/Günther Sokolowski

Doch im Jahr 1910 zerstörte ein Brand Teile der Fabrik. Hier kommt der Wasserturm ins Spiel, denn beim Wiederaufbau und der Erweiterung der Firma wurde das 34 Meter hohe Gebäude für die Löschwasserversorgung errichtet. Dafür beauftragte Ludwig Stromeyer den renommierten Industriearchitekten Philipp Jakob Manz, der nebenan auch das Pumpenhaus baute, in dem heute eine Eventlocation untergebracht ist (ehemals „Esszimmer“).

Der Turm wurde im Jugendstil gebaut und diente viele Jahrzehnte lang nicht nur der Löschwasserversorgung, sondern auch als Wasserspeicher für die Bleich- und Imprägnierhallen der Textilfabrik. Doch mit dem Werk ging es bergab, die Produktion wurde 1984 eingestellt. Und der Turm verfiel.

Vor der Sanierung sah der Wasserturm in Stromeyersdorf so aus. Einst sollte er sogar abgerissen werden.
Vor der Sanierung sah der Wasserturm in Stromeyersdorf so aus. Einst sollte er sogar abgerissen werden. | Bild: Alexander Stertzik

Erst im Jahr 2010 wurde das Gebäude aus seinem Dornröschenschlaf geweckt. Die Stadt hatte es bereits zweimal verkauft, doch die Besitzer kümmerten sich nicht um die Sanierung. Beim dritten Versuch sollte es klappen. Die Stadt verlangte ein Sanierungs- und Nutzungskonzept samt Finanzierung und machte zur Auflage, dass der Turm innerhalb von drei Jahren denkmalgerecht saniert sein muss. Zwölf Bewerber reichten ihre Unterlagen ein.

Sanierung wird zum 100. Geburtstag fertig

Den Zuschlag erhielten Corinna und Manuel Lauble, Mediengestalter und Grafikdesigner, die damals noch studierten oder am Anfang ihres Berufslebens standen und gar nicht mit dem Erfolg gerechnet hätten. Doch sie nahmen sich der Aufgabe mit Leidenschaft an.

„Der Turm war schon damals ein inspirierender Ort“, sagt Manuel Lauble, 39 Jahre. „Er war von sechs Meter hohen Hecken zugewachsen, die Fenster vertäfelt. Unsere erste Handlung war, ihn einen Tag lang freizuschneiden. Von Januar bis Oktober 2010 folgte die Sanierung, alles lief ohne unliebsame Überraschungen.“

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„Pünktlich zum 100. Geburtstag des Turms wurden wir fertig“, erzählt Manuel Lauble. Seine Frau Corinna ergänzt: „Anfangs kamen auch Zeitzeugen vorbei und schenkten uns alte Schilder der Textilfabrik. Sogar ein Stromeyer-Nachfahre folgte unserer Einladung.“

Das Ehepaar hatte aus dem alten, hohlen Wasserturm mit seiner durchlaufenden Innentreppe und einem Behälter, der 140 Tonnen Wasser tragen konnte, ein schickes Bürogebäude gemacht. „Wir haben nur Böden und einen Versorgungsschacht für Leitungen eingezogen sowie die Wände gewaschen, ansonsten ist alles original“, so Lauble.

Wer den Wasserturm vor der Sanierung betrat, landete zunächst in diesem Eingangsbereich.
Wer den Wasserturm vor der Sanierung betrat, landete zunächst in diesem Eingangsbereich. | Bild: Alexander Stertzik
Und so sieht der Eingangsbereich inzwischen aus. Alte Elemente wurden wieder mit einbezogen.
Und so sieht der Eingangsbereich inzwischen aus. Alte Elemente wurden wieder mit einbezogen. | Bild: Kirsten Astor

Weggeschmissen wurde nichts, im Gegenteil: Im obersten Stock, unter der Kuppel, dient ein altes Fallrohr als Stütze für einen modernen Monitor. Auch die Leiter, die einst von einer Stahlbrücke durch den Wasserbehälter bis kurz unter das Dach führte, wurde im heutigen Seminarraum wieder an der Wand angebracht.

Vom Wasserspeicher zur Ideenschmiede

Corinna und Manuel Lauble schufen eine Nutzfläche von 330 Quadratmetern, verteilt auf acht Etagen. Fünf davon sind fest vermietet, unter anderem arbeiten dort Architekten, Software-Spezialisten und Unternehmensberater. Das Ehepaar selbst nutzt den fünften Stock für seine Grafikagentur. Wie fühlt sich das an, so weit oben, im runden Büro mit Blick auf den Seerhein, aber doch ziemlich beengt?

Welch ein Ausblick! Vom Treppenturm aus können Besucher über den Seerhein bis zum Münster gucken.
Welch ein Ausblick! Vom Treppenturm aus können Besucher über den Seerhein bis zum Münster gucken. | Bild: Kirsten Astor

„Entweder steht man auf Neubauten oder auf historische Gebäude“, sagt Corinna Lauble, 42 Jahre. „Auf älteres Gemäuer lässt man sich nur ein, wenn man bereit ist, Kompromisse einzugehen.“ So sei der Weg zur Toilette auch bei eisigem Wind immer mit einem Gang ins Freie verbunden, aber das nehmen die Laubles gern in Kauf.

„Unsere Räume sind zwar klein, aber schön, sie liegen direkt am Wasser und im Grünen“, sagt Corinna Lauble und ergänzt: „Die Mieter schätzen diesen tollen Ausblick beim Denken.“

„Auf älteres Gemäuer lässt man sich nur ein, wenn man bereit ist, Kompromisse einzugehen“, sagt Vermieterin und Turm-Nutzerin Corinna ...
„Auf älteres Gemäuer lässt man sich nur ein, wenn man bereit ist, Kompromisse einzugehen“, sagt Vermieterin und Turm-Nutzerin Corinna Lauble. | Bild: Kirsten Astor

Dann führt Manuel Lauble noch weiter nach oben. Im sechsten Stock sind eine kleine Küchenecke, eine Garderobe und eine Toilette untergebracht. „Das ist vielleicht das schönste Klo von Konstanz“, sagt der 39-Jährige und lacht.

Die schönste Toilette von Konstanz? Das vermutet zumindest Vermieter Manuel Lauble.
Die schönste Toilette von Konstanz? Das vermutet zumindest Vermieter Manuel Lauble. | Bild: Kirsten Astor

Dann steigt er noch ein paar Stufen nach oben und steht im ehemaligen Wasserspeicher, dem Herzstück des Turms. „An der Wand ist noch der Wasserstand sichtbar“, so der 39-Jährige. Nass geht es hier aber schon lange nicht mehr zu: Der ehemalige Speicher wird als Konferenzraum genutzt, der gemietet werden kann.

Früher war dies der Wasserbehälter des Turms in Stromeyersdorf, er konnte 140 Tonnen fassen. Heute ist hier ein Konferenzraum ...
Früher war dies der Wasserbehälter des Turms in Stromeyersdorf, er konnte 140 Tonnen fassen. Heute ist hier ein Konferenzraum untergebracht. Die originale Leiter, die einst in der Raummitte durch den Wasserbehälter führte, wurde im Seminarraum wieder an der Wand angebracht. | Bild: Manuel Lauble

Aber auch hier ist der Turm noch nicht zu Ende. Über eine sehr schmale Treppe geht es aufwärts in die Kuppel. „Sie wurde während der Sanierung heruntergehoben, das war eine spannende Phase“, erinnert sich der 39-Jährige.

„Anschließend wurde unnötiges Material aus dem Turm entfernt und unsere Möbel im Gegenzug hineingehievt.“ Ganz oben, unter einer Deckenkonstruktion aus Holz, befindet sich eine Lounge mit Teppichboden und bunten Sitzmöbeln, etwa für Workshops oder Teambuilding-Maßnahmen.

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Auch wenn die dichten Hecken nun weggeschnitten und die Fenster nicht mehr vertäfelt sind – ein inspirierender Ort ist der Wasserturm von Stromeyersdorf immer noch. Gegründet ist er auf Eichenpfählen, die anscheinend noch viele weitere Jahre tragen. Denn die Laubles ließen das Gebäude vermessen und sagen stolz: „Der Turm hat sich in über 100 Jahren keinen Millimeter bewegt.“