Wer die ehemalige Kirche St. Johann in der Niederburg betritt, atmet eine besondere Atmosphäre. Säulen, bunte Kirchenfenster und ein schmuckes Gewölbe erwecken den Anschein, als könnte hier gleich ein Pfarrer vor die Gemeinde treten. Doch diese Zeit ist vorbei.
Schreibtische in Glaskästen und auf Galerien, Menschen mit Kopfhörern vor Computern, Pflanzen in Holzpaletten sowie eine Gemeinschaftsküche verraten, dass das einst sakrale Gebäude längst einen anderen Zweck erfüllt.
Seit Anfang 2022 dient die ehemalige Kirche als Co-Working-Space. Das heißt, hier arbeiten Menschen – entweder tageweise, ganz spontan oder mit einem dauerhaft gemieteten Platz. „Wir haben hier einige Freiberufler oder auch Paare, die einen Schreibtisch mieten und ihn abwechselnd nutzen. Aber die meisten sind Angestellte von Firmen, die irgendwo auf der Welt ihren Sitz haben“, erläutert Moritz Meidert, der mit seiner Firma „Gründerschiff“ einer der Gesellschafter ist, die gemeinsam den Co-Working-Space betreiben.

Rund die Hälfte der 60 Arbeitsplätze sei dauerhaft vermietet, der Rest frei buchbar und begehrt. Moritz Meidert deutet bei einem Rundgang auf einen Glaskasten mit kleinem Tisch und Sitzmöbeln darin. „Das ist unser Beichtstuhl“, sagt er und lacht. Diese schallgeschützte Besprechungsecke kann für vertrauliche Gespräche gemietet werden.
Relikte aus kirchlicher Zeit sind viele sichtbar. Zum einen sind da die 80 Zentimeter bis ein Meter dicken Mauern, die dafür sorgen, dass die ehemalige Kirche energetisch hocheffizient ist. Zum anderen deuten auch die bunten Fenster auf die Zeit als Gotteshaus hin.

„Einige der Fenster waren der aufwändigste Posten beim Umbau zur Arbeitsstätte“, so Moritz Meidert. Denn Kirchenfenster sind milchig, doch für eine Büronutzung ist die Sichtbeziehung nach draußen vorgeschrieben. „Wir haben mit dem Denkmalschutz einen Kompromiss gefunden, bei dem das Glas viel Licht hereinlässt, aber weiterhin eine leichte Brechung sichtbar ist“, sagt der 42-Jährige. „Allein die Fenster kosteten uns 30.000 Euro.“
Dieselbe Summe sei für Vorhänge nötig gewesen. „Der Raum hatte vorher sechs Sekunden Nachhall, aber durch die Vorhänge können hier viele Menschen gleichzeitig telefonieren“, so Meidert. Die Akustik sei auch für Konzerte hervorragend, weshalb immer wieder Kulturveranstaltungen in St. Johann stattfinden.

Ein Relikt aus Kirchenzeiten sind auch die eckigen Säulen. „Die sind original, aber später wurden daran runde Säulen angebaut. Sie dienen als Stützen für das Tonnengewölbe, das erst 1889 eingefügt wurde“, erklärt Moritz Meidert. Damals wurde die ehemalige Kirche zu einem katholischen Vereinshaus mit Festsaal umgebaut. Das Gewölbe sollte helfen, Platz für Schlafgelegenheiten zu schaffen. Heute befinden sich unter dem Dach 23 Wohnungen.
Die bewegte Geschichte der Johanneskirche
Der 42-Jährige, der Jura, Betriebs- und Volkswirtschaftslehre sowie Kommunikation in Konstanz und Friedrichshafen studierte, kennt sich bestens mit der Geschichte seiner heutigen Arbeitsstätte aus. „An dieser Stelle gab es eventuell im 5. und 6. Jahrhundert bereits eine Kapelle. Belegt ist die Gründung der Johanneskirche um 940 oder 950 durch Bischof Konrad, der mit vier Kirchenneugründungen Rom und Jerusalem nacheifern wollte“, erläutert er.
Die Johanneskirche wurde zur Pfarrkirche der Niederburg und löste die ältere Stephanskirche ab. Im 13. Jahrhundert ging die Kirche in einer dreischiffigen Basilika auf. Als das nahe Münster für die Gemeinde geöffnet wurde, war die Johanneskirche überflüssig und wurde profaniert, also fortan für weltliche Zwecke genutzt.
„1818 sollte die Kirche abgerissen werden, weil die Stadt den Weg zwischen Rheintorturm und Schnetztor begradigen wollte“, sagt Moritz Meidert und fügt hinzu: „Schon damals hat man alles für Autos getan.“ Verhindert hat den Abbruch ausgerechnet ein Bierbrauer namens Nikolaus Barxel. Er ließ nur den Kirchturm abtragen, um mit den Steinen einen Bierkeller unter dem Fürstenberg zu errichten. Im ehemaligen Stifts-Chor richtete er eine Brauerei ein und im Langhaus kamen Ställe und Scheune unter.
Im Lauf der weiteren Jahrhunderte wurde die Kirche immer wieder baulich verändert. Als Meidert und seine Mitstreiter das Gebäude übernahmen, „befand es sich in einem Top-Zustand“, sagt er. Denn die Kirche war Anfang der 1990er-Jahre generalsaniert worden. Dennoch hatten die Handwerker einiges zu tun, bis ein Bürokomplex daraus wurde. „Wir haben in zwei Wochen 15 Gewerke durchgejagt“, sagt Meidert und lacht.
Vom Gotteshaus zum steinernen Partyzelt
Zuvor hatte die Kirche schon diverse Nutzungen durchlaufen. „Früher war hier ein Hotel drin, außerdem war St. Johann sowas wie das steinerne Partyzelt der Stadt“, sagt Moritz Meidert. „Hier gab es Tanzbälle mit bis zu 2000 Leuten. Unzählige Paare haben sich hier kennengelernt.“ Noch heute komme es vor, dass 90-Jährige zur Tür hereinkommen, sich verzückt anschauen und sagen: „Vor 70 Jahren haben wir uns hier zum ersten Mal gesehen und wir sind immer noch verheiratet.“

Später zog ein Möbelhaus ein, anschließend betrieb der Besitzer die ehemalige Kirche als Galerie. Nachdem die Allensbacher Autorin Gaby Hauptmann dort noch einige Ausgaben einer Fernsehtalkshow gedreht hatte, stand das alte Gebäude zum Verkauf. „Eines Abends erhielt ich um 23 Uhr einen Anruf“, erzählt Moritz Meidert und lacht. „Unser Gesellschafter Hauke Hansen sagte, er habe im Internet unter Kleinanzeigen gesehen, dass eine alte Kirche für knapp drei Millionen Euro zu haben sei.“

Meidert kannte das Gebäude schon von einer früheren Besichtigung und musste nicht lange überlegen. Ein halbes Jahr später ging der Kauf über die Bühne. Besitzer ist Hauke Hansen mit seiner Lakeside Immobilien GmbH, Hauptnutzer sind Moritz Meidert mit „Gründerschiff“ und die Online-Marketingagentur Media Lab, die zuvor schon Coworking am Zähringerplatz angeboten hatte.
Arbeit, Musik und Kunst unter einem Dach – das ist das, was Moritz Meidert an diesem Ort so schätzt. „Es darf aber auch jeder Neugierige einen Blick hineinwerfen“, sagt der 42-Jährige. „Wir sind ein offenes Haus.“ Zumindest dies hat sich während all der Jahrhunderte nicht geändert.