Wer anderen stets zu Diensten ist, sollte selbst sorglos leben können – könnte man meinen. Denn die Mädchen und Frauen, die auch den bürgerlichen Familien in Konstanz rund um die Uhr Wünsche erfüllten, waren zeitweise nicht gut abgesichert. Während Dienstboten in der Zeit vor der Industrialisierung meist in die Familien integriert waren, in denen sie arbeiteten, änderte sich dies in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Aus einem Abhängigkeits- wurde ein Arbeitsverhältnis. Doch die Familien garantierten nur teilweise genügend Absicherung für ihre Angestellten. Und wer seine Stelle verlor oder zu alt wurde, war aufgeschmissen.
Kirchliche Vereine füllten diese Lücke aus, indem sie die Hausdienerinnen sozial auffingen. Eine dieser Einrichtungen steht noch heute an der Ecke Wallgut-/Brauneggerstraße: die ehemalige Dienstbotenanstalt St. Marienhaus.

Die Geschichte begann im Jahr 1866, als der Konstanzer katholische Dienstbotenverein die Gründung einer Anstalt für stellenlose und arbeitsunfähige Dienstboten beschloss. Dies geht aus einem Artikel von Heinz Sproll mit dem Titel „Das Marienhaus Konstanz 1866 bis 1966: Die karitative Tätigkeit einer Dienstbotenanstalt“ in den „Miszellen“ des Hegau-Geschichtsvereins hervor.

Zunächst kamen aber nur wenige bedürftige Dienstboten in den engen Räumen des Konradihauses unter, bevor die neu gegründete Aktiengesellschaft Räume in der Sigismundstraße bezog. Als die auch zu klein waren, wurde der Neubau des Marienhauses beschlossen.
Laut Theodor Humpert („Chorherrenstift, Pfarrei und Kirche St. Stephan“ von 1957) wurde das älteste Gebäude 1891/92 errichtet und ein Jahr später bezogen. 1901 folgte das Annahaus.
„Lebendiger Treffpunkt der Generationen“
Mitte des 20. Jahrhunderts wurde aus der Anstalt eine GmbH, da die finanzielle Lage schwierig war. Die neue Gesellschaft eröffnete ein Altenheim, „das insbesondere der minderbemittelten und bedürften Bevölkerung dient“, so Heinz Sproll. Außerdem kamen dort berufstätige weibliche Jugendliche unter.

An diese soziale Tradition knüpfte der Konstanzer Caritasverband an, als er 1994 das Marienhaus übernahm und dort bis September 2023 ein Pflegeheim betrieb, ehe die Bewohner ins neue Haus Zoffingen umzogen. Doch die alten Gebäude, die 1984 durch einen Zwischenbau ergänzt wurden, wollte die Caritas nicht aufgeben.
„Wir möchten das Marienhaus weiter zu einem lebendigen Treffpunkt der Generationen machen“, sagt die Konstanzer Caritas-Vorständin Bärbel Sackmann. Deshalb werden die Häuser im Paradies seit Januar 2025 aufwändig saniert und umgebaut. Wenn alles nach Plan im November 2026 fertig ist, ziehen dort unterschiedliche Nutzer ein.

Das sind ein Schülerhort für rund 60 Grundschulkinder (in Trägerschaft der Stadt Konstanz), eine Tagespflege für 18 Seniorinnen und Senioren mit und ohne Behinderung, 17 Einheiten für seniorengerechtes Wohnen, bezahlbare Wohnungen und Wohngemeinschaften (WGs) für 41 Mitarbeitende der Caritas sowie drei WGs für 14 Menschen mit Behinderung.
„Aufgrund einer Förderung im Landeswohnraumprogramm können wir die Mieten etwa ein gutes Drittel unter der ortsüblichen Miete anbieten“, sagt Bärbel Sackmann erfreut. Wer günstige Wohnungen für seine Angestellten anbieten kann, ist klar im Vorteil.
Handwerker statt Senioren im Haus
Als Bärbel Sackmann bei einem Rundgang über die Baustelle das Gebäude betritt, sagt sie fast andächtig: „Wahnsinn, wie viel Leben hier früher war.“ Seit 1999 arbeitete sie selbst im Marienhaus, unter anderem als Heimleiterin. Jetzt ist das Leben ausgezogen, letzte Reste von Basteleien an den Fenstern zeugen von der Beschäftigung der ehemaligen Bewohner.

Dafür sind nun auf allen Stockwerken Handwerker zugange. Teilweise sind Böden freigelegt und enthalten Löcher zur Etage darunter, die einst abgehängten Decken liegen frei und ermöglichen den Blick auf altes Holz. „Aus Brandschutzgründen kann das leider nicht so bleiben“, sagt Bärbel Sackmann.

Der Brandschutz ist wie überall ein großes Thema. „Der wird ordentlich aufgerüstet“, so Sackmann – in Absprache mit dem Denkmalschutz. „Zwischendurch guckt die ganz alte Geschichte des Hauses durch“, sagt Bärbel Sackmann und deutet auf Schilf, das aus der Decke hervorschaut. „Wenn das Marienhaus sprechen könnte, hätte es viel zu erzählen.“

Sie wendet sich nach rechts. „Hier waren Büros, die Kapelle, die Sakristei“, zählt sie auf. Auch in ihrem ehemaligen Büro bleibt sie kurz stehen. Erinnerungen kommen hoch, genauso wie ein paar Schritte weiter im großen Saal, den viele Konstanzer kennen.

„Der Raum war auch in der Bevölkerung beliebt, er konnte gemietet werden“, sagt die Vorständin. Dann steigt sie die Treppe ins erste Obergeschoss hoch, wo der Flur verbreitert wurde. „Hier waren auch Bewohnerzimmer mit Doppelbädern. Aus zwei Zimmern wird ein Apartment“, so Sackmann.

Als sie im dritten Stock ankommt, fallen zwei Dinge auf: Die Temperatur ist merklich höher, die Decken dafür niedriger. „Der Dachstuhl stammt aus der Bauzeit des Hauses“, sagt Thomas Völkle, Technischer Leiter der Caritas Konstanz und für den Brandschutz zuständig. Er schaut auf die Balken und ergänzt: „So viele verschiedene Baustoffe im Dachgeschoss, das würde man heute nicht mehr machen.“
Es sei eine große Herausforderung, ein historisches Gebäude in ein modernes Wohnhaus zu verwandeln. Alte Balken werden mit Trockenbau ummantelt, um den heutigen Brandschutzanforderungen gerecht zu werden – und wo früher einfache Holzböden verlegt wurden, braucht es heute unter anderem Trittschallelemente.

Die Caritas Konstanz investiert in den Umbau laut Bärbel Sackmann rund 14 Millionen Euro. Die Baustelle liege im Zeit- und Kostenplan, sagt sie und ergänzt lachend: „Obwohl Umbauten im Bestand immer wie ein Überraschungsei sind.“ Wie sie freut sich auch Thomas Völkle über das neue vielfältige Leben, das hier einziehen soll.

Aber eines stimmt ihn nachdenklich: „Schon erschreckend, dass das Bürgertum früher die Dienstbotinnen rausgeschmissen hat, wenn sie zu alt wurden. Gut, dass es schon damals das Marienhaus gab.“ Wenn das alte Haus tatsächlich sprechen könnte, würde es bestimmt vom Kummer und Glück der Bewohner berichten – und davon, dass es sich selbst nach neuem Trubel sehnt.