Stefan Niethammer reicht‘s. Am Dienstag, 18. Januar, versendet er um 14.54 Uhr eine E-Mail, in der er sich mit einem Schwergewicht des Konstanzer Handels anlegt. Es geht um Peter Kolb, den Seniorchef des Konstanzer Traditionsunternehmens Sport Gruner, der sich in einem offenen Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann über die Corona-Bestimmungen für die Geschäftsleute beklagt.

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„Natürlich hat Peter Kolb in der Sache recht, diese ganzen Bestimmungen passen hinten und vorne nicht zusammen“, schreibt Stefan Niethammer. Aber darum geht es dem 47-Jährigen nicht. Was ihn stört sind alte Männer, die meckernd die Welt erklären – und das Alter bezieht er dabei nicht auf die Lebensjahre, sondern auf die Haltung. Dieses Klagen als vermeintlich oberste Pflicht des Kaufmanns ist Stefan Niethammer ein Graus.

Die Pandemie beziehungsweise die Verordnungen zum Schutz vor Ansteckung sind nur ein Beispiel in einer Reihe ständiger Jammerei: Mal seien es die ausbleibenden Schweizer, dann der Online-Handel, das nächste Mal der Mangel an Parkplätzen, dann werde über Medien geschimpft oder die Stadtverwaltung. Der gemeinsame Nenner des Dauer-Lamentos ist für ihn die Schuldzuweisung für eine angeblich schlechte Lage.

Wer ist dieser Stefan Niethammer? Nun, zunächst ist ihm wichtig, dass er nicht allein ist. Sein Unternehmen firmiert nicht umsonst unter dem Namen 3FREUNDE. Das Trio startete 2006 mit dem Ziel, das beste T-Shirt der Welt zu entwickeln. Bald kristallisierte sich heraus, was dieses Beste ist: Nachhaltigkeit zum Beispiel oder faire Arbeitsbedingungen in der firmeneigenen indischen Fabrik beziehungsweise eine auf zertifizierte Fairtrade-Biobaumwolle spezifizierte Produktion. Sie ist durchdacht, verzichtet beispielsweise auf tierische Produkte in der Weiterverarbeitung, und reicht bis hin zur Kooperation mit einer Färberei, die nach Angaben des Unternehmens über ein geschlossenes Wasseraufbereitungssystem verfügt.

Eine Frage der Währung: Geld oder Lächeln der Kunden?

Vielleicht aber nähert man sich dem Mann doch besser über die Gerichtsgasse in der Niederburg. Dort befindet sich das Blässhuhn – ein Geschäft mit allerlei liebenswertem Krimskrams, zu dem Stefan Niethammer eher zufällig gekommen ist und der einen heutzutage eher ungewöhnlichen Zweck verfolgt. Viel Platz ist in dem Laden nicht, aber genau deswegen fühlt sich der Besucher hier schnell wohl.

Man kommt ins Gespräch, tauscht sich aus, fühlt sich wie beim Kaufmannsladen aus Kindertagen. Das große Geld lässt sich hier gewiss nicht verdienen, aber darum geht‘s auch nicht. „Das Lächeln des Kunden ist im Zweifel mehr wert als der Umsatz“, sagt der studierte Betriebswirt und Wirtschaftspsychologe.

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Eben deshalb versendet Stefan Niethammer seine E-Mail-Grüße auch schon mal mit der Aufforderung zum „holistischen Blick“ auf die Chancen von Konstanz. Es ist der Versuch eines gesamtheitlichen Blicks, der die Lebensqualität, das Miteinander, den Austausch der Menschen ins Zentrum des wirtschaftlichen Handels stellt.

„Es geht um die Frage, wie wir leben wollen“ – wobei Stefan Niethammer überzeugt ist, dass kaum etwas so bleiben wird wie es ist. Und deshalb dürfe es in der Debatte um die Zukunft der Stadt in ihrer Gesamtheit wie des Handels im Besonderen nicht um eine Bewahrung des Status Quo gehen, sondern um die Nutzung von Potenzialen.

Zaghaft bis ängstlich – so sei die Stadtgesellschaft

Davon gibt es nach Ansicht des Unternehmers jede Menge. Die Schweizer zum Beispiel: Sie kommen nach Konstanz – aber die Klage über die dadurch belegten Parkplätze müsse durch lösungsorientierte Vorschläge für die Erreichbarkeit der Stadt ersetzt werden. Oder der Denkmalschutz: Anstelle der bewahrenden Intention sollte die Freude an der Kombination mit Innovationen etwa im Zusammenhang mit der Energiewende im Vordergrund stehen.

Wie zaghaft bis hin zur Ängstlichkeit die Stadtgesellschaft unterwegs ist, zeigt sich für Stefan Niethammer am Vorschlag von Oberbürgermeister Uli Burchardt zum Bau einer Seilbahn zwecks Ergänzung des öffentlichen Nahverkehrs. Für diese Idee habe der OB zu Unrecht Prügel bezogen – seither gehe er bei Visionen vorsichtig vor.

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Schade, meint Stefan Niethammer. Die Stadt habe riesige Möglichkeiten allein durch die beiden Hochschulen und ihre Funktion als Oberzentrum. „Tatsache aber ist doch, dass die Stadt gar nicht so richtig wahrnimmt, dass wir zum Beispiel eine Exzellenz-Uni haben“, meint er. Dass dem so ist, führt Stefan Niethammer auf die Tonalität der Verhinderung zurück, die für ihn beispielhaft im offenen Brief von Peter Kolb an Winfried Kretschmann zum Ausdruck kommt.

Sollte also die Konstanzer Geldaristokratie einfach mal den Mund halten? Stefan Niethammer antwortet darauf nicht direkt, er schmunzelt – und findet ein weiteres Beispiel für die Neigung zur Betonierung bestehender Verhältnisse. Die Diskussion um die Jungerhalde/West in Allmannsdorf verdeutliche für ihn die Veränderungssperre in den Köpfen von Stadträten, die den Bedarf an Wohnungen nicht zu realisieren bereit seien. Im schlimmsten Fall entwickle sich die Stadt zu einer eigenen Welt voller Artefakte. „Wow, hier waren die Römer“, heiße es dann – die Zukunft aber werde damit verspielt.

Vielleicht mischt er demnächst auch im Treffpunkt mit

Bei seinem Zwischenruf als Antwort auf allfällige Klagelieder in der Stadt bewahrt der Mann mit dem Laden in der Gerichtsgasse übrigens seinerseits einen Sinn für Ironie. Im Treffpunkt, der Werbegemeinschaft der Konstanzer Händler, hat er bislang noch nicht seine Stimme erhoben. Aus einfachen Grund: Bislang ist er kein Vereinsmitglied. Er will sich die Mitgliedschaft durch den Kopf gehen lassen. „Man sollte ja nicht immer nur meckern“, meint er und schmunzelt ein weiteres Mal.