Jasmin Schneider ist Härten inzwischen gewohnt. Sie füllt einen Antrag aus, schickt ihn ab – und wartet. Sie ruft beim Jobcenter an, erreicht niemanden, schreibt eine Mail – und wartet.

So geht das seit Mitte März. Am 16. März beginnt der Lockdown, der das öffentliche Leben in Konstanz und Deutschland fast zum Stillstand bringt. Am 16. März geht auch Jasmin Schneiders Probezeit in einer Praxis für Ernährungsberatung zu Ende. „An dem Tag rief meine Chefin an und teilte mir unter Bedauern mit, dass sie mich entlassen müsse, weil die Perspektiven wegen Corona schlecht seien. Damit hatte ich so gar nicht gerechnet“, berichtet die 35-Jährige.

Verständnis für die Chefin

Seither ist das Leben schwierig geworden. Jasmin Schneider versteht ihre Chefin, sie habe keine Chance gehabt, als sie zu entlassen. Am selben Tag wandte sie sich ans Arbeitsamt. Nach vielen Telefonaten und ebenso vielen Tagen stellt sich heraus, dass sie kein Arbeitslosengeld beziehen kann, weil sie zuvor selbstständig als Tagesmutter gearbeitet hatte.

Ein Leben zwischen Bürokratie und Bangen

In den kommenden Wochen und Monaten beginnt das Leben zwischen Antrag, Bürokratie und Bangen. Jasmin Schneider lebt allein mit ihren zwei Kindern in einer Wohnung am Königsbau, von ihrem Mann hat sie sich getrennt, pflegt aber ein gutes Verhältnis zu ihm. Sie braucht dringend Geld, um ihre Lebenshaltungskosten zu bezahlen – und die Miete. Beim Jobcenter füllt sie einen verkürzten Online-Antrag aus, danach einen weiteren auf Papier. Erreichbar ist die Behörde nicht. Jasmin Schneider wartet auf ihr Geld.

Bild 1: Job verloren und noch kein Geld vom Jobcenter: Eine Konstanzerin berichtet, wie es ihr in der Corona-Krise ergangen ist
Bild: Wagner, Claudia

Dann folgt die Geschichte mit der Wobak. Die Miete ist der größte Ausgabeblock, Jasmin Schneider beschließt, sich frühzeitig an ihren Vermieter zu wenden. Zunächst habe die Sachbearbeiterin ihr Verständnis entgegengebracht. Trotzdem heißt es: Sie muss die Miete zahlen. Ein Gesetz des Bundestags schützt in den drei Corona-Monaten März bis Mai Mieter davor, eine Kündigung zu erhalten, wenn sie aufgrund von Corona-Folgen nicht zahlungsfähig sind. Das bestätigt die Wobak.

Mieterin und Vermieter vereinbaren Ratenzahlung

Es kommt zu mehreren Telefonaten; die Wobak und Jasmin Schneider vereinbaren eine Ratenzahlung. „Es fiel mir schwer, auch nur Teile des Geldes aufzubringen“, sagt sie. Dann kommt Ende Juni unvermittelt ein Brief der Wobak mit der Forderung, 1500 Euro zu zahlen – sonst werde ihr gekündigt.

Warum dieser Druck?

Jasmin Schneider versteht das Vorgehen nicht. Es gibt ein Gesetz, das sie schützen soll, und die städtische Wohnungsbaugesellschaft gilt als sozial orientiertes Unternehmen. Warum dann dieser Druck? Mithilfe ihres Mannes bringt sie das Geld auf – es ist aber ein Kraftakt. „Auch mein Mann ist in Kurzarbeit, unterstützt nun mit seinem Gehalt uns drei und musste noch für meine Mietschulden aufkommen“, sagt Schneider.

Noch ein Brief

Wenig später ein neuer Brief: eine Zahlungsaufforderung für weitere 600 Euro Mietschulden. Zu zahlen bis Montag. Das Schreiben erreicht sie an einem Freitag. „Ich hätte bei einer Überweisung nicht sicher gehen können, dass das Geld bis Montag ankommt.“ Jasmin Schneider setzt alle Hebel in Bewegung, leiht sich das Geld und will es am Montag bar einzahlen – doch die Geschäftsstelle der Wobak ist geschlossen. Schließlich nimmt sie eine Blitzüberweisung in Anspruch.

Der Wobak fehlt ein Nachweis – sagt sie

Die Wobak bestätigt, dass sich Jasmin Schneider auf das Gesetz beruft, das Mieter mit Finanzschwierigkeiten aufgrund von Corona schützt. Man habe deshalb eine Ratenzahlung für die Miete mit ihr vereinbart. „Allerdings fehlt uns bis heute der Nachweis, dass sie berechtigt ist, die Miete laut Gesetz zu stunden“, sagt Joachim Lehmann, Referent der Geschäftsführung. Schneider habe keinen Nachweis ihrer Kündigung vorgelegt. Zudem sei sie einen gewissen Zeitraum für ihren Vermieter nicht erreichbar gewesen.

Jasmin Schneider widerspricht

Dem widerspricht Jasmin Schneider ausdrücklich. Sie habe die Kündigung abfotografiert und gleich per Mail an die Wobak geschickt. Niemand habe sie aufgefordert, die Kündigung kopiert in Papierform abzugeben. Auch der Darstellung, sie sei nicht erreichbar gewesen, widerspricht Schneider. Ab einem bestimmten Zeitpunkt habe es keine Anrufe von der Wobak mehr gegeben.

In der Zwischenzeit hofft Schneider auf Nachricht vom Jobcenter. Sie lässt auf sich warten. Zu Beginn gibt es noch Rückfragen, dann nichts mehr. Jasmin Schneider weiß nicht, wann sie ihre Schulden wieder zurückzahlen kann, wenn sie keine Unterstützung bekommt.

Schließlich meldet sich das Jobcenter doch noch

Nach vier Monaten – der SÜDKURIER hat inzwischen beim Jobcenter anfragt, weshalb die Bearbeitung des Falls so lang dauert – erhält die 35-Jährige einen Anruf. In wenigen Tagen werde der Bescheid schriftlich vorliegen, ihr stünden 170 Euro monatlich zu. Dem SÜDKURIER schreibt das Jobcenter, dass aus Datenschutzgründen keine Auskunft möglich sei. Der Vorgang werde jedoch bereits geprüft.

Schnell und unbürokratisch?

Jasmin Schneider versteht es nicht. Wie oft hieß es in der Corona-Krise von Regierungsseite, es solle schnell und unbürokratisch geholfen werden? Wie oft wurden die Werte Zusammenhalt, Hilfsbereitschaft und Solidarität betont? Mit den 170 Euro monatlich werde sie nicht weit kommen, sagt sie, davon könne sie Essen und täglichen Bedarf für sich und die Kinder sowie die Miete kaum zahlen.

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Jasmin Schneider wird sich hinsetzen und rechnen, sobald der Jobcenter-Bescheid ankommt. Die gelernte Fitnesskauffrau wird sich bewerben und hoffen, dass die Jobsuche trotz Krise bald erfolgreich ist. Auf Floskeln, Versprechungen und Ankündigungen will sie sich in Zukunft nicht mehr verlassen.