
Frau Schlobinski-Duscher, muss ich Angst haben, wenn mein Kind kifft?
Nein. Angst nicht. Wenn mein Kind einmal kifft, würde ich mit meinem Kind darüber sprechen, aber es auch nicht dafür verurteilen. Wenn mein Kind regelmäßig kifft, würde ich mir Sorgen machen. Das ist bedenklich.
Warum konsumieren Jugendliche Rauschmittel?
Neugier und Risikoverhalten sind grundsätzliche Charakterzüge von Jugendlichen auf dem Weg ins Erwachsenwerden. Das ist natürlich. Viele Jugendliche sind risikobereit und möchten das ausprobieren.
Also ist das normal?
Ja.
Auch illegale Rauschmittel?
Ja. Was man nicht darf, ist auch interessant.
Was konsumieren Jugendliche denn?
Alkohol und Cannabis. Aber auch Amphetamine.
Können Eltern verhindern, dass ihre Kinder konsumieren?
Nein. Wenn ein Kind neugierig ist und sich die Konsumwelt anschauen will, dann können Eltern das nicht verhindern. Konsum ist eine Realität im Jugendalter, die man nicht wegdenken kann.
Wie können Eltern mit ihren Kindern über Konsum sprechen?
Sie müssen mit den Kindern darüber reden, welche gesundheitlichen Folgen das hat. Aber sie sollten dem Kind nicht drohen, es nicht bestrafen oder seine Taschen durchsuchen. Das zerstört das Vertrauensverhältnis. Aber genauso schwierig ist es, wenn man den Konsum ignoriert und einfach laufen lässt. Eltern sollten Verständnis für das Kind haben und versuchen zu verstehen, was es motiviert. Aber Eltern dürfen das Ruder nicht aus der Hand geben und müssen Regeln aufstellen.
Das klingt nach einem schwierigen Gespräch.
Ja. Man kann sein Kind fragen: ‘Mir fällt in letzter Zeit auf, dass du anders bist. Was ist denn los?‘ Mein Sohn hat einmal in seinem Zimmer Zigaretten geraucht und das habe ich natürlich gerochen. Wir haben uns dann zusammengesetzt und über die Folgen gesprochen. Aber ich habe ihn auch gefragt, was ihm daran gefällt und ob seine Freunde auch rauchen.
Fiel Ihnen das leicht? Als Suchtberaterin?
Das war noch vor meiner Zeit in der Suchtberatung. Aber ich habe mich sicher gefühlt, weil ich wusste, was ich erreichen wollte.
Und was?
Ich wollte es meinem Sohn erschweren, zu konsumieren. Wir haben Regeln aufgestellt. Ich wollte keine Zigaretten sehen und er durfte im Haus nicht rauchen. Er hat dann noch eine Weile geraucht, aber irgendwann wurde der Konsum uninteressant. Bis heute ist er Nichtraucher. Wenn es Anzeichen gibt, dann sollten Eltern das ansprechen.
Was sind denn Anzeichen, auf die Eltern achten können?
Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Leistungsabfall in der Schule, Konzentrationsprobleme, Unausgeglichenheit, Stimmungsschwankungen, Veränderungen des Freundeskreises. All das kann aber natürlich auch ganz andere Hintergründe haben. Aber es ist natürlich ein Anlass, das Gespräch zu suchen. Das Wesentliche ist, dass sich Eltern für ihr Kind interessieren und wissen, was mit dem Kind los ist.
Einmal kiffen – ist das schon eine Sucht?
Niemand wird von heute auf morgen süchtig, sondern es ist erstmal ein Probierkonsum. Bis zur Sucht ist es eine Spirale. Zum Beispiel probieren Jugendliche Rauschmittel auf Partys, um sich am Genuss oder am Rausch zu erfreuen. Dann gewöhnen sie sich daran. Dann konsumieren sie verstärkt. Und konsumieren letztendlich abhängig.
Was bedeutet denn diese Abhängigkeit?
Neurologisch gesehen ist das eine Anpassung des Gehirns an eine ständige Substanz-Zufuhr. Und dafür gibt es klare Kriterien: Kontrollverlust, Toleranzentwicklung, Wunsch und Zwang zu konsumieren, Vernachlässigung bisheriger Interessen, Weiter-Konsumieren trotz sozialer Folgen in Schule und Beruf, Entzugssymptome. Wenn drei davon in den letzten zwölf Monaten erfüllt sind, dann spricht man von einer Abhängigkeit.
Welchen Einfluss hat das Rauschmittel darauf, ob man eine Abhängigkeit entwickelt?
Es gibt Substanzen, die schnell körperlich abhängig machen, Nikotin und Crystal Meth zum Beispiel. Und es gibt Substanzen, die nicht so schnell körperlich abhängig machen. Cannabis zum Beispiel. Aber hinter dem Konsum von Rauschmitteln stecken ja auch Bedürfnisse, die mit dem Konsum gestillt werden sollen.
Manche finden die beruhigende Wirkung von Cannabis gut. Andere die berauschende von Alkohol. Das sind sehr persönliche Wirkerfahrungen, die Menschen machen, und die unter bestimmten Umständen zu einer Abhängigkeit führen können. Das ist dann nicht mehr nur eine körperliche, sondern auch eine psychische Abhängigkeit.
Was für Umstände sind das?
Wir sprechen da vom bio-psycho-sozialen Modell. Erstens die Substanz selbst. Zweitens psychische Bedingungen, also die Veranlagung zu einer Depression, eine schwache Impulskontrolle, Ängste, und so weiter. Das kann dazu führen, dass ein Mensch von seiner Persönlichkeit her gefährdet ist. Und drittens das Umfeld. Wenn das Kind unter ungünstigen Bedingungen aufwächst, die in die persönliche Entwicklung reinspielen. Wenn ein Elternteil suchtkrank ist oder die Eltern sich trennen, zum Beispiel.
Aber nur weil sich die Eltern scheiden lassen, wird ein Kind doch nicht drogenabhängig?
Nein, nein. Aber es hilft Jugendlichen, wenn getrennt lebende Eltern gemeinsam Regeln aufstellen und den Jugendlichen Orientierung geben, damit sie gut durch das Nadelöhr Pubertät kommen.
Ist Sucht eine Krankheit?
Ja.
Also auch heilbar?
Nein. Aber man kann die Sucht stilllegen.
Was bedeutet das?
Abstinent werden. Probierkonsum kann man jederzeit abstellen, aber Abhängigkeit kann man nur stilllegen, denn die neurologischen Bahnen der Gewohnheit sind schon vorhanden.
Also wie Bahngleise, die gebaut sind, aber nicht mehr befahren werden.
Genau. Und jemand, der eine Abhängigkeit hat, muss sozusagen neue Gleise bauen, damit ein anderer Weg befahrbar ist.
Wie?
Durch das Aufbauen einer Tagesstruktur: aufstehen, normale Mahlzeiten zu sich nehmen, in die Schule gehen und Hausaufgaben machen. Jugendliche in der Sucht rutschen oft auf dem schulischen Weg ab. Aber auch die Freizeit zu gestalten, also eine Freizeit ohne Konsum, ist sehr wichtig.
Kann das gelingen?
Ja. Ich habe schon sehr schöne Verläufe bei Jugendlichen miterlebt, die in einer Phase zu viel konsumiert haben und dann für sich entschieden haben: Das ist doch nichts für mich. Das ist dann auch eine Erfahrung, in der Jugendliche Verständnis für andere Menschen entwickeln, denen es nicht gut geht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Süchtige oft sehr sensible Menschen sind.
Was können Eltern tun, wenn sie Sorgen haben, dass ihr Kind abhängig ist?
Wenn das Kind in der Sucht ist, muss es unbedingt in Behandlung. Das heißt, in Beratungsstellen gehen, um ein Konzept zu entwickeln, wie ihm am besten geholfen werden kann. Bei härteren Drogen sollte sofort Kontakt zu einer Beratungsstelle aufgenommen werden.
Kann man einfach so zu einer Beratungsstelle?
Ja, das ist jederzeit möglich. Und man sollte sich Hilfe holen, bevor es kompliziert wird. Viele Erkrankte, die ich erlebe, leiden unter ihrer Sucht, versuchen verzweifelt einen Ausweg zu finden, und schaffen das nicht immer.
Chillen, Party, Sucht – die Serie
Dieser Text ist Teil von „Chillen, Party, Sucht: Vom Erwachsenwerden mit Drogen“, einem Themenschwerpunkt des SÜDKURIER. In den nächsten beiden Folgen lesen Sie auf SÜDKURIER Online: Wie ist es, süchtig zu sein? Zwei junge Menschen erzählen von ihrer Abhängigkeit von Drogen und Alkohol.