Am Freitag, 22. September geht es richtig los. Dann hebt Gabriel Venzago zum ersten Mal in dieser Saison im Konstanzer Konzil den Taktstock, und die Südwestdeutsche Philharmonie startet in die neue Spielzeit. Das Orchester hat keine leichte Phase hinter sich: Wirbel um die inzwischen ausgeschiedene Intendantin Insa Pijanka, Fragen zum Umgang mit Steuermitteln, eine drohende Kürzung der städtischen Zuschüsse.
Und zu allem Unglück nahm dann auch noch die Zahl der Konzertbesucher ab, während sich weite Teile des Kultur- und Unterhaltungslebens wieder aus dem Corona-Tief befreit hatten. Ist es aber wirklich so, dass immer weniger Menschen klassische Musik hören wollen? Oder gibt es nicht auch gute Gründe, jetzt Konzertkarten zu kaufen, sei es im praktischen Abonnement oder als Einzelkarte?
Das Programm jedenfalls sollte kaum einen Grund darstellen, der Südwestdeutschen Philharmonie die Chance zu verweigern. Im Spielzeitprogramm 2023/2024 steckt für fast jede oder fast jeden etwas. Hier kommen ein paar Gründe, mal wieder ins Konzert zu gehen und dem Orchester damit auch den Rücken zu stärken.
So viele zeitlose Lieblingsstücke waren selten auf dem Programm
Auch in der Klassik gibt es Hits. Stücke, die viele kennen und mögen, weil sie als besonders schön oder vertraut erscheinen. Manche Klassik-Experten gefallen sich darin, über solche Stücke die Nase zu rümpfen. Im Konzertsaal kommen sie aber doch immer bestens an. Und hier legt die Philharmonie so richtig auf. Fast jedes Konzertprogramm enthält mindestens einen Kracher, zum Beispiel Robert Schumanns 2. Symphonie (ab 22. September), Beethovens Fünfte („Schicksalssinfonie“, ab 19. Oktober), Edvard Griegs Peer-Gynt-Suite (ab 10. November) oder „Vier letzte Lieder“ von Richard Strauss (ab 8. Dezember) sind nur einige davon, und das alles allein in der Zeit bis Weihnachten.
Zugabe gefällig? Brahms‘ Variationen über ein Thema von Haydn, Rimski-Korsakows „Scheherazade“, Schuberts „Unvollendete“, Dvoraks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“, Tschaikowskis Symphonie Nr. 5 sowie Musik aus der „West Side Story“ von Leonard Bernstein und Gershwins „Rhapsody in Blue“ sind bei den zehn Philharmonischen Konzerten der Spielzeit auch im Angebot. Dazu kommen noch einige unbekanntere Werke und Komponisten, aber in Summe ist klar: Dieses Programm ist ein Angebot an eine breite Mehrheit von Zuhörern.
Wer nicht zwei Stunden im Konzil sitzen will, findet unkomplizierte Angebote.
Die Philharmonischen Konzerte, die auch im Abonnement gebucht werden können, mögen das Aushängeschild der Philharmonie sein. Aber es gibt unter anderem auch eine sehr schön angelegte Mozart-Reihe, in der sich ganz junge Dirigenten beweisen können. Auch hier stehen unsterbliche Klassiker auf dem Programm (17. Februar, 27. April, 8. Juni). Oder drei Sonntagvormittag-Konzerte, die nur eine Stunde dauern, Unterhaltung und ein bisschen Wissensvermittlung bieten. Als Clou können Eltern ihre Kinder unter zehn Jahren von Profis der Musikschule betreuen lassen (24. September, 10. Dezember, 17. März).
Die Philharmonie zeigt aber auch, dass sie auf die Menschen zugeht. Zum Beispiel tritt sie mal wieder in der Schänzlehalle auf, beim gemeinsam mit der Altstadtpfarrei und der HSG ausgerichteten Weihnachtssingen (22.Dezember). Nach dem großen Erfolg 2023 hält sie auch am Gratis-Open-Air-Konzert zum Sommerferienbeginn im Stadtgarten fest (28. Juli). Es gibt Spezialitäten von Bruckner im Münster (17. Mai) und von Händel im Inselhotel, das – vielen unbekannt – den wohl schönsten Kammermusiksaal der weiten Region zu bieten hat (6. April). Und auch das ist geplant: Die Südwestdeutsche Philharmonie ist in Konstanz zusammen mit dem Sänger Tim Bendzko (27. Juli) auf der Bühne.
Chefdirigent Gabriel Venzago gibt alles.
Vorbei sind die Zeiten, als ein Chefdirigent eher wirkte wie ein Gast in Konstanz, aber kaum als Teil der Stadt. Gabriel Venzago, der seinen Posten vor noch nicht einmal einem Jahr angetreten hat, übernimmt einen großen Teil des Dirigierens selbst. So können ihn die Konzertbesucher in ganz unterschiedlichen Programmen und in einem jeweils ganz unterschiedlichen Rahmen erleben. Er hat selbst angekündigt, dass er „der Stadt etwas zurückgeben“ will.

Diesen Worten lässt er Taten folgen und steht so oft am Pult, dass man respektvoll den Hut ziehen muss. Zugleich bietet er zu jedem der Philharmonischen Konzerte eine Einführung an. Wer jemals eine besucht hat, weiß, dass dies ein Erlebnis ist, welches das anschließende Konzert noch mehr zum Genuss macht. Ach ja, ein neues Orchester mit talentierten Schülerinnen und Schülern stellt er ebenfalls auf die Beine und leitet es dann auch selbst. So füllt er das Spielzeitmotto „Wir für Euch“ mit Leben.
Eine der talentiertesten Dirigentinnen der Welt kommt nach Konstanz.
Wer genau hinsieht, kann auch den Sparwillen im aktuellen Programm sehen. Die Stücke sind so ausgewählt, dass das Orchester nicht so viele Aushilfen auf Honorarbasis beschäftigen muss. Auch kommen ganze Programme ohne Solisten aus. Dirigenten von auswärts sind nur im Ausnahmefall engagiert. Aber dann lassen sie aufmerken. Nicht nur Marcus Bosch als Erster Gastdirigent ist mal wieder in der Stadt. Die Philharmonischen Konzerte im November dirigiert Anu Tali, eine der bekanntesten Dirigentinnen der Welt.
Noch immer sind Frauen am Pult leider eine Ausnahme. Anu Tali, geboren 1972 in Estland, gilt als Meisterin ihres Fachs. Interessierte können sie auch unmittelbar bei der Arbeit erleben: Ihr Programm ist eines derer, zu denen auch eine öffentliche Generalprobe am Freitagvormittag für zehn Euro Eintritt angeboten wird.
Es gibt zahlreiche Einsteiger- und Mitmach-Angebote.
„Ich hab‘ doch keine Ahnung“, das sagen leider immer noch viel zu viele Menschen aller Altersstufen, wenn es um klassische Musik geht. Das ist Quatsch. Jeder Mensch kann Musik erleben und fühlen, was sie mit uns anstellt. Minderwertigkeitskomplexe aus einem verkorksten Musikunterricht vor langer Zeit sollte wirklich niemand haben. Die Matineen, Weihnachts-, Neujahrs- und Sommerkonzerte, Werkeinführungen, die Gastkonzerte mit Chören aus der Region: All das ist so angelegt, dass man einfach kommen und zuhören kann. Und übrigens gibt es auch im Klassik-Konzert weder Kleiderordnung noch Klug-Mitreden-Zwang.