Herr Venzago, Sie haben zu Jahresbeginn Ihre Stelle als Chefdirigent der Südwestdeutschen Philharmonie angetreten. Wenig später ging es rund mit hitzigen Debatten um Gelder und Plagiate, gipfelnd in der Trennung von der Intendantin Insa Pijanka. Jetzt führen Sie mit Rouven Schöll und Dieter Dörrenbächer interimsmäßig den Betrieb. Die Brocken einfach hinzuwerfen war für Sie keine Option?
Gabriel Venzago: Nein, wenn ich eine Aufgabe übernehme, tue ich das voll und ganz. Es kristallisierte sich zudem schnell heraus, dass auch wir drei ein gutes Team sind. Aber klar, die Herausforderungen gingen an die Nieren. Keiner von uns hat mit diesem Arbeitsaufwand und diesem Aufgabenfeld gerechnet. Dieses birgt aber auch einen Vorteil. Wir können aktiv gestalten, mit Authentizität und Qualität überzeugen. Und genau das gelingt uns offenbar: Die Zahl der Abonnenten ist zur neuen Saison um zehn Prozent gestiegen.
Da sprechen Sie ein großes Wort gelassen aus. Seit Ende 2018, lange vor Corona, befindet sich diese Zahl konstant im Sinkflug, rund 1000 von einst mehr als 3000 Abonnenten haben gekündigt. Jetzt geht es also endlich bergauf?
Rouven Schöll: Wir haben jedenfalls netto deutlich mehr als 200 Abonnenten gewonnen.
Venzago: Mir war wichtig, dass im Programm fürs kommende Jahr für jeden etwas dabei ist. Ein klassisches Konzert bietet ja immer eine gewisse Hemmschwelle. Umso wichtiger ist es, dass man bekannte Namen und breitere Formate wie Matinee-Konzerte mit Kinderbetreuung anbietet …
Nach fünf Jahren voller Streit um Dirigentenverabschiedungen, Kommunikationsmängel und vieles mehr wird es am Ende doch nicht am Fehlen eines Matinee-Konzerts gelegen haben! Sprechen wir nicht vielmehr von enttäuschten Ex-Abonnenten, die der Philharmonie eine zweite Chance geben?
Dieter Dörrenbächer: Tatsächlich besteht ein großer Anteil aus Personen, die wieder zu uns zurückkehren. Das ist aber trotzdem ein Verdienst von Gabriel: Wie er das Orchester repräsentiert, kommt bei den Menschen ganz offensichtlich gut an. Und abgesehen davon konnten wir darüber hinaus viele neue Abonnenten, unter anderem bei unserer Veranstaltung „Klassik am See“, gewinnen.
Schöll: Wir hatten einmal im Jahr 2014 die Abonnements sämtlicher Orchester in Deutschland untersucht. Da entpuppte sich Konstanz im Verhältnis der Abonnements zur Einwohnerzahl als deutscher Vizemeister. Und selbst mit unserer jetzigen, deutlich niedrigeren Zahl dürften wir zumindest noch in der ersten Bundesliga mitspielen. Das zeigt: Es gibt noch immer einen großen Markt für uns.
Im Fußball haben Bundesligisten aber nicht nur Ticket-Einnahmen, sondern auch Sponsoringverträge. Wie viele Sponsoren sind geblieben?
Schöll: Das sieht leider mau aus, es gibt gerade keine wirkliche Sponsorenpartnerschaft.
Warum nicht?
Schöll: Es wurde halt nicht gepflegt. Das ist eine der Aufgaben, der wir uns widmen müssen.
Die Interimsintendanz
Es gibt in der Stadt Menschen, die sagen: Die Intendantin hätte im eigenen Betrieb mehr Unterstützung benötigt. Jede Führungskraft braucht doch Mitarbeiter, die ihr in den Arm fallen, wenn sie im Begriff ist, einen Fehler zu begehen. Fühlen Sie sich davon so gar nicht angesprochen?
Dörrenbächer: Da möchte ich als Co-Betriebsleiter sprechen, diese Rolle hatte ich ja auch schon während Frau Pijankas Amtszeit inne. Wir waren alle immer sehr unterstützend und haben immer wieder Hinweise gegeben, was zu tun ist. Wir haben auch stets Vorschläge gemacht, wie Situationen zu verbessern sind. Wer die Protokolle des Orchesterausschusses studiert, wird das bestätigt finden. Wie solche Hinweise aufgenommen und umgesetzt werden, ist natürlich eine andere Frage.
Wie groß war eigentlich der Scherbenhaufen, den Sie vorfanden?
Schöll: Ich tue mich mit dem Bild eines Scherbenhaufens schwer, unter anderem weil sich auch die Corona-Krise auf die Situation auswirkte. Aber klar ist: Was wir vorfanden, waren enorme Herausforderungen. Dabei war das Thema Abonnentenrückgang ein ganz zentrales. Ein weiterer Punkt bestand darin, die öffentliche Diskussion um die Philharmonie zu beruhigen. Dann gab es die interne Unruhe, die Herausforderung einer Saisonplanung. Und schließlich den Prüfauftrag mit der Forderung nach Einsparungen in Höhe von 20 Prozent – was an die Substanz des Orchesters gehen würde.
Eine Stadt hat ja nur einen ganz kleinen Spielraum für eigene Entscheidungen über ihre Ausgaben. Überproportional viel Geld, nämlich 20 Millionen Euro im Jahr, erhält in Konstanz die Kultur. Haben Sie kein Verständnis für Leute, die sagen: Vielleicht haben wir eine große Kulturinstitution zu viel in dieser Stadt?
Venzago: Natürlich habe ich das. Es geht auch nicht darum zu meckern, dass wir zu wenig Geld bekommen. Sondern darum, Konstanz als ein kulturelles Zentrum zu haben, in dem alle voneinander profitieren können. Ein kulturell fruchtbarer Boden mit allen Institutionen. Und da sehen wir uns selbst in der Bringschuld: Ja, wir müssen der Stadt etwas zurückgeben!
Schöll: Ich hätte dafür Verständnis, wenn die Diskussion ehrlich geführt wird. Sie erwähnen zum Beispiel die 20 Millionen Euro. Wenn Sie sich den Haushaltsplan genau anschauen, werden Sie feststellen, dass darunter auch die Musikschule und die Volkshochschule fallen. Ist das Kultur? Oder nicht vielmehr Bildung? Die aktuelle Diskussion um den Haushalt ist für uns eine Verpflichtung, uns mit der Frage nach der Legitimation des Orchesters zu befassen und offen zu sein für neue Formate oder Kooperationen.
Die Theaterintendantin Karin Becker reagiert auf die Einsparforderungen mit einer Verkleinerung ihres Ensembles: Das Vertragswerk für Schauspieler macht es möglich. Orchestermusiker dagegen haben Verträge unterzeichnet, die Ihnen kaum Handlungsspielraum erlauben. Warum soll ein Stadtrat davon ausgehen, dass unter solchen Voraussetzungen künftig innovative Konzepte entstehen?
Schöll: Weil diese Vernetzung in Konstanz schon einmal gelebt worden ist. Und weil es damals zu einer Rekordzahl an Abonnenten führte. Diese Erfolge in der Ära Beat Fehlmann resultierten ja nicht aus der Verpflichtung irgendwelcher toller Solisten, sondern weil die Philharmonie einfach in aller Munde war.
Venzago: Verträge dienen dem Schutz der Musikerinnen und Musiker. Und wir in Deutschland können stolz darauf sein, diesen zu haben! Das heißt aber noch lange nicht, dass wir damit nicht kreativ arbeiten können. Ganz im Gegenteil! Wir wollen auf die Suche gehen, wir wollen rausgehen und Ideen kreieren, mit denen wir trotz und wegen der Verträge eines der innovativsten Orchester Deutschlands werden.
Können Sie zusagen, dass die Musiker hinter diesen versprochenen Innovationen stehen? Wird die Geigerin bereit sein, ihr Instrument auch in einer Therme auszupacken – trotz feuchter Luft?
Venzago: Auf jeden Fall!
Am Mittwoch, 13. September 2023 um 19 Uhr, findet im Konstanzer Konzil eine Podiumsdiskussion zum Thema „Zukunft der Orchester in Deutschland – Impulse für Konstanz“ statt. Veranstalter ist der Freundeskreis der Philharmonie, zu Gast ist unter anderem der langjährige SWP-Intendant Beat Fehlmann.