Es ist die Stunde des Passivs. „Es wurden niedrigere Ausgaben angesetzt, als zu erwarten waren.“ Oder „Es wurden Einnahmen eingeplant, die nicht realistisch sind.“ Am Ende ist es dann an Kulturbürgermeister Andreas Osner, Klartext zu sprechen.

110.000 Euro mehr Geld als eingeplant braucht die Südwestdeutsche Philharmonie 2023, wenn die aktuellen Prognosen eintreten – und zwar durch Fehlannahmen im Kerngeschäft: den Konzerten. Annahmen, die – so Osner – „die frühere Intendantin gemacht hat“ mit Bezug auf Die-deren-Name-nicht-genannt-werden darf. Nicht einmal fällt der Name Insa Pijanka.

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Doch nicht nur sind die Kosten höher, auch die Einnahmen werden wohl nicht wie geplant fließen, was das Problem noch verschärft. Die Mitglieder des gemeinderätlichen Orchesterausschusses, der immerhin die politische Kontrolle über die Philharmonie zu übernehmen hat, scheinen derlei gewohnt zu sein. Die meisten, so wirkt es, nehmen die Zahlen des jüngsten Quartalsbericht geradezu gleichmütig hin.

Offene Stellen retten die Zahlen noch halbwegs

Nur weil Stellen mangels Fachkräften nicht besetzt werden können und die Philharmonie dadurch einspart, wirkt das neuerliche Finanzloch nicht ganz so bedrohlich. Rouven Schöll, Teil es Interims-Führungs-Trios, sagt es freilich sehr deutlich: Man werde „in diesem Jahr besonders Obacht geben müssen.“

Woher kommen die in roten Zahlen vermerkten 110.000 Euro? Nach Darstellung von Rouven Schöll und Andreas Osner wurden zwangsläufig eintretende Kosten einfach nicht eingeplant. Vieles davon stehe schon im Moment der Programmplanung fest.

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Für ein Stück mit Harfe braucht‘s einen Harfenisten – und das Geld dafür

Wenn zum Beispiel ein Stück gespielt wird, für das eine Harfe gebraucht wird, muss Honorar für einen Aushilfs-Musiker an der Harfe eingeplant werden. Denn die Südwestdeutsche Philharmonie beschäftigt selbst keine Harfenistin oder Harfenisten.

Gleiches gelte, so Schöll, für absehbare Ausgaben bei der Technik. Auch bei den Posten Solisten, Konzeption/Regie/Veranstaltungsdurchführung, Verstärkungen, Aushilfen, Miete Veranstaltungsräume, Technik und in weiteren Bereichen stehen vier- und fünfstellige rote Zahlen im Quartalsbericht. Bei den Einnahmen zeichnet sich ein Minus von rund 30.000 Euro im Bereich Sonderkonzerte ab.

Große Freude über den „Venzago-Effekt“

Diese Lücke allerdings machen Mehreinnahmen bei den Philharmonischen Konzerten mehr als wett: „Der Venzago-Effekt“, wie Bürgermeister Osner mit Bezug auf den jungen, talentierten und charismatischen Chefdirigenten Gabriel Venzago sagt. Die Menschen gehen gerne in Konzerte, bei denen er am Pult steht.

Er gibt den Ton an: Gabriel Venzago, Chefdirigent der Südwestdeutschen Philharmonie, hängt sich in der neuen Spielzeit so richtig rein.
Er gibt den Ton an: Gabriel Venzago, Chefdirigent der Südwestdeutschen Philharmonie, hängt sich in der neuen Spielzeit so richtig rein. | Bild: SWP/Nikolaj Lund

Heike Rawitzer, CDU-Stadträtin und beruflich Marketing-Expertin an einer Hochschule in der Schweiz, legt dann auch den Finger in die Wunde. Während Osner von „Licht und Schatten“ spricht, sagte sie, das sei „im Kerngeschäft wirklich grottig“ – und macht gleich noch auf ein nächstes Problem aufmerksam.

Bei den Erlösen aus Sponsoring rechnet die Philharmonie laut dem jüngsten Bericht mit gerade mal 3000 Euro – fürs ganze Jahr, und auch die sind nicht sicher. In Schnitt der letzten 16 Jahre nahm die Philharmonie hier 67.000 Euro ein. Pro Jahr, wie Rouven Schöll auf Rawitzers Frage hin erklärt. Warum die Aufgabe, Geld von Partnern einzuwerben, liegen bleib, sagt er nicht.

„Wir brauchen jemanden mit Management-Fähigkeiten, damit uns das nicht nicht nochmal passiert“, sagt Heike Rawitzer, CDU.
„Wir brauchen jemanden mit Management-Fähigkeiten, damit uns das nicht nicht nochmal passiert“, sagt Heike Rawitzer, CDU. | Bild: SK

Und noch eine kritische Stimme kommt aus dem bürgerlichen Lager, das lange die Schutzmacht für die Philharmonie war. „So geht es nicht weiter“, sagt Susanne Heiß von den Freien Wählern. Seit 2017 habe das Orchester fast 1000 Abonnenten verloren. Sie fordert: Alle, denen die Philharmonie wichtig ist, sollten einfach ins Konzert gehen und auch die Bereitschaft zeigen, deutlich höhere Preise zu bezahlen, „das wäre solidarisch“.

„Die, die ins Konzert gehen wollen, sollten nun solidarisch sein. Die Preise sind viel zu niedrig in den vorderen Reihen“, ...
„Die, die ins Konzert gehen wollen, sollten nun solidarisch sein. Die Preise sind viel zu niedrig in den vorderen Reihen“, meint Susanne Heiß, Freie Wähler. | Bild: Optik Photo Hepp

Gisela Kusche fordert, endlich flexiblere Abo-Modelle zu entwickeln, um neue Stammgäste zu gewinnen. Ab diesem Jahr gebe es immerhin keine Tauschgebühr mehr, wenn Abonnenten den Vorstellungstag wechseln wollten, sagt Rouven Schöll dazu – das Theater handhabt dies schon lange so großzügig und unkompliziert.

„Wir fordern es seit Jahren, und seit Jahren werden wir vertröstet: Die Philharmonie braucht neue Abo-Modelle“, so Giesla ...
„Wir fordern es seit Jahren, und seit Jahren werden wir vertröstet: Die Philharmonie braucht neue Abo-Modelle“, so Giesla Kusche, Freie Grüne Liste. | Bild: SK

So bleibt das Bild: Die Philharmonie ächzt unter Kosten, die eigentlich absehbar waren, ringt um Einnahmen, die unrealistisch hoch kalkuliert waren, sie hat ihre Sponsoren verloren – und kann sich glücklich schätzen über ihre engagierten Musiker und ihren überzeugenden Chefdirigenten. An schlechten Konzerten, das zeigen die Zahlen auch, liegt es nämlich nicht. Offen ist die Frage, wie die künftige Leitung aufgestellt wird – wieder mit einer Intendanz oder eher mit einer Geschäftsführung?

Wem vertraut die Stadt einen Betrieb mit fast zehn Millionen Euro Umsatz an?

Heike Rawitzer ist voller Wertschätzung für das Trio aus Dieter Dörrenbächer, Rouven Schöll und Gabriel Venzago, die die Aufgabe als Interims-Chefs stemmen und mit ausgezeichneten Konzerten die Philharmonie in die Herzen der Menschen zurückbringen. Aber für sie ist auch klar, wenn es um die Zukunft eines Betriebs mit einem Budget von 7,2 Millionen Euro pro Jahr (Philharmonie) plus 2,4 Millionen Euro (Musikschule) geht: „Wir brauchen jemanden mit Management-Fähigkeiten.“

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