Manchmal hilft wohl nur noch Ironie. Gabriel Venzago, der junge Chefdirigent der Südwestdeutschen Philharmonie, stimmt die Besucher auf das Konzert ein, das sie bald hören werden. Zuerst führen dann die Musiker das Cello-Konzert von Antonin Dvorak auf.

Ungewöhnlich an diesem Werk: Der Solist spielt dabei die ersten fünf Minuten gar nicht. Man habe dem Cello-Virtuosen Emanuel Graf deshalb im Zuge der aktuellen Spardebatte 20 Prozent der Gage abgezogen, sagt Venzago. Es klingt mehr nach Sarkasmus als nach Humor, und auch seinen klassik-interessierten Zuhörern ist nicht nach Lachen zumute.

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Denn die Südwestdeutsche Philharmonie steht unverändert vor schweren Zeiten. Eine Intendanz gibt es nach der Trennung von Insa Pijanka nicht, und die Stelle wird auch nicht so schnell neu besetzt werden. Also ruht auf den Schultern von Gabriel Venzago eine noch größere Verantwortung als die, für die er eigentlich nach Konstanz kam: Der Chefdirigent ist Teil des vorübergehenden Führungs-Trios.

Gabriel Venzago, der junge Chefdirigent der Südwestdeutschen Philharmonie, muss derzeit viel mehr leisten, als er sich bei seiner ...
Gabriel Venzago, der junge Chefdirigent der Südwestdeutschen Philharmonie, muss derzeit viel mehr leisten, als er sich bei seiner Verpflichtung wohl hätte träumen lassen. | Bild: Corinna Raupach

Ein Trio muss die Intendanz-Arbeit schultern

Denn im Moment machen drei Männer zusätzlich jene Arbeit, die bisher Insa Pijanka geleistet hat – oder zumindest sollen sie das tun. Neben Gabriel Venzago ist es auch Rouven Schöll, der bisher stellvertretende Betriebsleiter der Philharmonie, und Dieter Dörrenbächer, der Chef der mit der Philharmonie jüngst verschmolzenen Musikschule Konstanz. Sie müssen nun einem Betrieb mit über 100 Mitarbeitern und einem Millionenetat führen, ein künstlerisches Programm entwerfen und Ruhe in die noch lange nicht befriedete Debatte bringen.

(Archivbild) Er hat die Geschäfte der Philharmonie 2018 schon einmal interimistisch geleitet: Rouven Schöll, Betriebsleiter des ...
(Archivbild) Er hat die Geschäfte der Philharmonie 2018 schon einmal interimistisch geleitet: Rouven Schöll, Betriebsleiter des Konstanzer Profi-Orchesters. | Bild: Scherrer, Aurelia

Selbst im Rathaus, wo der Rückhalt für die Intendantin zuletzt nicht uneingeschränkt war, weiß man: So kann das nicht auf Dauer gehen. Es sei unstrittig, dass „schnellstmöglich (noch in diesem Herbst) neu ausgeschrieben werden muss“, lässt das zuständige Dezernat II von Bürgermeister Andreas Osner auf SÜDKURIER-Anfrage mitteilen.

Wie lange dann aber das Bewerbungs- und Auswahlverfahren dauert, und wann eine neue Führungskraft tatsächlich mit ihrer Arbeit loslegen kann, bleibt dabei offen. Kaum vor den Sommerferien 2024, sagen Insider dazu.

(Archivbild) Dieter Dörrenbächer, der Leiter der Musikschule Konstanz, hat aktuell wohl noch weniger Zeit, sein Akkordeon zu spielen. Im ...
(Archivbild) Dieter Dörrenbächer, der Leiter der Musikschule Konstanz, hat aktuell wohl noch weniger Zeit, sein Akkordeon zu spielen. Im Moment ist er im Dreier-Führungsgremium des neuen Betriebs Orchester- und Musikkultur Konstanz, das Ergebnis der Fusion aus Philharmonie und Musikschule, gefordert. | Bild: Scherrer, Aurelia

Wird es künftig auch nur eine Geschäftsführung geben?

Denn Bürgermeister Osner bestätigt auch, dass noch nicht einmal klar ist, was die Stadt eigentlich sucht: Wieder eine Intendantin oder einen Intendanten mit weitreichenden wirtschaftlichen und künstlerischen Befugnissen? Oder eine Geschäftsführerin, einen Geschäftsführer als Manager ohne Programmverantwortung? Als Option werde das geprüft, bestätigt die Stadtverwaltung; die Entscheidung liege aber dann im Herbst beim Gemeinderat.

Bei der Vorstellung im Gemeinderat im Juli 2022 schien die Welt noch in Ordnung: Kulturbürgermeister Andreas Osner, der neue ...
Bei der Vorstellung im Gemeinderat im Juli 2022 schien die Welt noch in Ordnung: Kulturbürgermeister Andreas Osner, der neue Chefdirigent der Südwestdeutschen Philharmonie Gabriel Venzago, Intendantin Insa Pijanka und Oberbürgermeister Uli Burchardt (von links). | Bild: Rau, Jörg-Peter

Denn nun kommen wieder die 20 Prozent ins Spiel: Die Philharmonie hat wie alle Teile der Stadtverwaltung den Auftrag, einen Vorschlag zu machen, wie sie eine Zuschusskürzung in dieser Höhe – immerhin über eine halbe Million Euro jährlich – hinbekommen könnte. Falls der unter massivem Sparzwang stehende Gemeinderat einer solchen Kürzung zustimmen sollte, hätte das auch Auswirkungen auf die Leitung des, somit in seinen Grundfesten erschütterten, Betriebs. Das geht aus einer öffentlichen Gemeinderatsvorlage (2023-3164) hervor.

Von all dem bekommen die Konzertbesucher freilich wenig mit. Die Mitarbeiter der Philharmonie, die nach Aussage der Stadtverwaltung in den Prozess transparent eingebunden sind, machen engagiert ihre Arbeit. Und das als sei nie etwas vorgefallen, und führen das Orchester von Erfolg zu Erfolg. Erst vor wenigen Tagen spielte das Ensemble zum letzten Mal sein bejubeltes Programm mit Werken von Dvorak und Brahms, am Freitag, 5. Mai, bringt es im Konstanzer Münster mit der Symphonie Nr. 7 von Anton Bruckner erneut ein monumentales Werk zu Gehör.

Die Sinfonie aus der Neuen Welt

Für die Spielzeit 2023/24, die nach den Sommerferien beginnt, seien die Planungen der Abo-Konzerte „mittlerweile abgeschlossen“, erklärt die Stadtverwaltung. Erklärtes Ziel ist es dabei, den Schwund an Abonnenten zumindest abzubremsen.

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Chefdirigent Gabriel Venzago hat dafür sicher viele Ideen. Eine davon hat er nach seinem bitteren Witz über die 20 Prozent aber schon mal durchblicken lassen. Auf Dvoraks Evergreen, die 9. Symphonie „Aus der Neuen Welt“ könnten sich die Konzertgänger in der neuen Spielzeit möglicherweise freuen. Wie sich die neue Welt im Konstanzer Konzertbetrieb für ihn selbst so anfühlt, bleibt dagegen offen.