Das Bodensee-Stadion wurde plötzlich nach dem Campus-Festival, zu dem 25.000 junge Besucher kamen, gesperrt. Es ist der zentrale Veranstaltungsort, an welchem bislang noch Großveranstaltungen möglich waren, die bei einer jüngeren Zielgruppe hoch im Kurs steht. Werden junge Menschen ausgeschlossen?
Jörg-Peter Rau, Leiter der SÜDKURIER-Lokalredaktion Konstanz, brach vor Kurzem in seinem Kommentar eine Lanze für die kulturellen Bedürfnisse der Jugend und bekam viel Rückhalt aller Generationen. Auch zur Podiumsdiskussion kamen mehr als 160 Menschen unterschiedlicher Altersklassen. Ein Zeichen, dass Kultur – in welcher Form auch immer – in der Bevölkerung einen Stellenwert hat und dass die junge Generation um Hilfe ruft, wie die vielen Wortmeldungen zeigten.
Denn eines machte der Abend schon früh deutlich: In Zeiten schwindender Einnahmen und steigender Kosten wird der Verteilungskampf um die städtische Kulturförderung härter. Soll sich die Stadt daran orientieren, wie die Veranstaltungsbesucher mit den Füßen abstimmen? Oder gezielt jene Formate fördern, die ohne Zuschuss keine Chance hätten? Und wie viele Konstanzer kommen eigentlich in den Genuss von Kulturförderung – und wie viele nicht?
All das stand zur Diskussion, nicht alles ließ sich in zwei Stunden beantworten. Doch die Debatte, das zeigte der Abend, wird weitergehen.
Unstrittig ist die Kulturvielfalt
Unstrittig ist an diesem Abend, dass Kultur in ihrer Vielfalt eine Daseinsberechtigung hat. „Das Kostbare einer Stadt sind die vielen Formate“, stellt beispielsweise Theater-Intendantin Karin Becker fest. Den Schuh der Hochkultur, welche lediglich wenige Menschen anspreche, lässt sie sich nicht anziehen.
Dabei kommt die sie auch auf die Südwestdeutsche Philharmonie zu sprechen. Beide Institutionen hätten viele Angebote für Kinder und Jugendliche – auch zum Mitmachen. Mehr als 10.000 Menschen unter 30 Jahren hätten bis Mai 2023 das Theater besucht.

Welche Rolle spielt das populäre Musikangebot?, will Jörg-Peter Rau von Konzertveranstalter Xhavit Hyseni wissen. „Pop- und Rockkultur spielt qualitativ und quantitativ eine große Rolle“, antwortet er und fügt an, dies gelänge nur, „weil wir uns den Bedürfnissen der Gesellschaft anpassen“.
Strittig ist: Wer bekommt eine Förderung?
Dann kommt Hyseni auf das Kernthema zu sprechen und kritisiert die Verteilung der Fördergelder der Stadt Konstanz. Er sieht ein „Ungleichgewicht, das millionenschwer ist“, wobei er auf die Subventionierung der städtischen Kultureinrichtungen anspielt, während die Freie Kultur nur wenig Geld bekomme. „Es sollte der Ansatz der Politik sein, die Fördergelder entsprechend zu verteilen“, fordert er.

Michael Auer, hat das kleine Format „Konzert am Sonntagabend“ jahrelang als Nonprofit-Reihe veranstaltet. Er findet: Die Stadt solle vor allem jene fördern, die als Kinder und Jugendliche aktiv an Angeboten – auch über Chor, Orchester und Co. hinaus – teilnehmen, statt nur Konsumenten zu sein. Es gelte sie zu befähigen, dass aus ihnen einmal Kulturschaffende werden.

Gerechte Verteilung: Was ist das?
Was darf denn als gerecht gelten? Das kann auch Kulturbürgermeister Andreas Osner nicht sagen. Einen pauschalen Fördersatz hält er nicht für zielführend. Die Verwaltung erarbeite Vorschläge, wer unterstützt werden sollte, und der Gemeinderat entscheide.
Warum würden Karten der Philharmonie mit je 50 Euro, jene des Campus-Festivals mit null Euro subventioniert, hakt Jörg-Peter Rau nach. Osners klare Antwort: Bei den Veranstaltern des Festivals handle es sich um „ein privates, hochprofitables Geschäft“, zumindest mache es Umsatz. Gemäß den Förderrichtlinien bekämen nur gemeinnützige Organisationen Geld.

Die Aussage bringt Xhavit Hyseni in Rage. Er bedauert, dass aufgrund der zusätzlichen Ausgaben für die bröckelnde Infrastruktur des Bodensee-Stadions die Kosten für die Festivalkarten auf 130 Euro gesetzt werden mussten. Damit sei das Campus-Festival „eine exklusive Veranstaltung, weil sich nicht alle Menschen das leisten können“.
Geld weckt Begehrlichkeiten
Hyseni weist darauf hin, dass Veranstalter ein hohes Risiko allein trügen, wenn sie große Ereignisse ermöglichten. „Es ist übertrieben, von hohem Profit zu reden“, so Hyseni. Er fragt sich: „Wie kann man ein Stück vom Kuchen für uns generieren? Wir bekommen gerade einmal 10.000 Euro bei einem drei Millionen-Projekt.“
Auch beim Konstanzer Chorfestival als Nonprofit-Veranstaltung gebe es ein finanzielles Problem, bestätigt Michael Auer. Aktuell werde es mit 15.000 Euro unterstützt, doch dieses Budget werde um 10 Prozent gekürzt. Doch findet er: „Konsum sollte nicht durch Zuschüsse ermöglicht werden.“ Tickets zu subventionieren, findet Auer allerdings nicht zielführend.
Gerade würde über Etatkürzungen diskutiert, berichtet Karin Becker. Das bereite ihr schlaflose Nächte, schließlich trage sie die Verantwortung für ihre Mitarbeiter. Klar ist für sie: Man dürfe nicht anderen Geld wegnehmen, sondern müsse das Ganze so regeln, dass auch der freien Kultur mehr zur Verfügung stehe.
Xhavit Hyseni wendet sich Richtung Politik und fragt: „Wo gibt es ein Gremium, das die gesamte Kultur im Blick hat, um Unterstützung zu ermöglichen?“ Der Verteilungskampf hat bei der Diskussion schon begonnen. Die Frage, wer mehr Zuschüsse verdient hat, bleibt auch an diesem Abend ungelöst.
Was wollen junge Menschen?
Bemerkenswert sind die Besucher, die sich zu Wort melden und auf der Bühne mitdiskutieren dürfen. Denn da geht es um die Bedürfnisse der jungen Generation und die Frage, was ein Kulturstandort bieten muss. Christoph Seibel, HTWG-Student, hat früher selbst Theater gespielt und klassische Musik gemacht. An Wochenenden besuche er jetzt Clubs, aber nur jedes zweite Wochenende, mangels Geld. „Auch Clubs sind Teil der Kultur“, findet er.

„Wir sind überhaupt nicht auf dem Schirm“, meldet sich Osman Cöl, Betriebsleiter der Diskothek Berry‘s, zu Wort. In Berlin seien Opern, Theater und Clubs gleichgestellt, in Konstanz rangierten sie neben Bordellen und Casinos, dabei „leisten wir auch einen kulturellen Beitrag mit Afterpartys, Musical-Aufführungen und Livebands“.

Junge Leute fühlen sich ungewollt
Viele junge Menschen drückt der Schuh: Samira Jani vom Mahagoni Kollektiv, einem Verein mit 60 Mitgliedern, der aktiv ein musikorientiertes Kulturangebot auf die Beine stelle, berichtet von Hürden und Verboten. „Veranstaltungsorte für die Subkultur fehlen. Da wird Raum weggenommen“, sagt sie. „Wir brauchen Orte und finanzielle Unterstützung.“ Beides kann sie nicht finden.

Die Konzertmuschel zum Beispiel stelle die Stadt nicht zu Verfügung – weil dort elektronisch verstärkte Musik nicht erwünscht ist. „Junge Menschen haben gefühlt keinen Platz und werden aus der Stadt gedrängt“, sagt sie. Sie wünscht sich eine Plattform für Austausch – und, dass junge Menschen nicht vergessen, sondern gehört werden.
Tamara Schäfer wünscht sich eine kompetente Befragung der Bevölkerung, nicht nur der Jugend. Es sollte herausgefunden werden, welche Angebote sich die Bürger wünschten. Denn nicht nur die Kulturschaffenden wollen ein Stück vom Kultur-Kuchen – dieser soll auch den Konstanzern schmecken.

Anmerkung der Redaktion
Bürgermeister Andreas Osner weist darauf hin, dass das Campus-Festival bekomme laut Akten der Stadt 25.000 Euro als Zuschuss bekomme: 10.000 Euro zur Deckung städtischer Gebühren und 15000 Euro, die das Festival heranziehen kann, wenn es Nachwuchsbands aus Konstanz auf die Bühne bringt.
In der Debatte wurde unter anderem angesprochen, dass es sich auch um Kulturförderung handle, wenn die Stadt die Infrastruktur zur Verfügung stelle. Dies laufe zwar in der Regel nicht über den Kulturetat, aber es handle sich auch um Kulturförderung. Die Trennlinie für eine Förderung sei nicht die Frage, in welche Sparte Kultur falle, sondern ob sie kommerziell oder nicht kommerziell sei. Grundsätzlich sei auch die kommerzielle Kultur begrüßenswert. Sarah Müssig: „Es ist gut, dass es sie gibt.“ Das Kulturamt könne diese aber nicht finanzieren.
Sarah Müssig machte darauf aufmerksam, dass die Richtlinien zur Kulturförderung gerade überarbeitet werden. „Wir wollen neue Akzente setzen“. Geplant seien unter anderem die Förderung von Ateliers und Bandräumen auch, wenn sie sich in Kreuzlingen befinden, die erneute Förderung für die Wiederaufnahme erfolgreicher Projekte sowie die Etablierung eines Kulturbeirats, der die Akteure der freien Kulturszene vereinen soll. Es seien zwei Mal im Jahr Gespräche vorgesehen. Dieser Kulturbeirat solle als Interessensvertretung ähnliche Funktionen einnehmen wie der Stadtsportverband..