Harry Fuchs ist stellvertretender Vorsitzender des Kreisseniorenrates, der 66.000 Menschen im Alter von über 60 Jahren vertritt. Die teilweise leeren Regale und die Hamsterkäufe der letzten Wochen hätten unter vielen Mitgliedern Erinnerungen an vergangen geglaubte Zeiten wachgerufen, erzählt er. „Und wir waren der Meinung, dass man das Bewusstsein dafür ruhig mal wieder schärfen könnte.“

Harry Fuchs vom Kreisseniorenrat.
Harry Fuchs vom Kreisseniorenrat. | Bild: Michael Buchmüller

Dafür, dass eine gewisse Grundversorgung nie verkehrt sei – zumindest, um einige Tage überbrücken zu können. Man wolle aber auch die oft irrationalen Ängste vieler zurechtrücken – Pragmatismus einer Nachkriegsgeneration, der helfen könnte, einen kühlen Kopf zu bewahren.

„Viele junge Leute kennen das ja gar nicht mehr: Dass mal etwas an Lebensmitteln fehlt“, sagt Fuchs. Lange Öffnungszeiten der Supermärkte und 24 Stunden zugängliche Tankstellen vermitteln den Eindruck, alles sei jederzeit verfügbar. „Viele Senioren sind da noch anders geprägt.“

„Wir sind während des Krieges nicht verhungert.“
Elisabeth Bürgermeister, Stockach

Elisabeth Bürgermeister zum Beispiel wohnt in Stockach. Vor Kurzem stand sie an der Supermarktkasse, da fragte eine Frau vor ihr: „Haben Sie kein Sonnenblumenöl und auch kein Mehl mehr?“ Die Kassiererin verneinte. Alles weggehamstert!

Elisabeth Bürgermeister aus Stockach.
Elisabeth Bürgermeister aus Stockach. | Bild: Michael Buchmüller

Leere Regale, das erinnert die Dame, Jahrgang 1937, an die Kuba-Krise mit dem drohenden Atomkrieg im Jahr 1962. „Da hat eine meiner Kolleginnen Vorräte gebunkert.“ Sie habe das nie gemacht. „Wir sind während des Krieges nicht verhungert, also werden wir es auch dieses Mal nicht“, habe sie geantwortet, mit dem ihr eigenen Gottvertrauen.

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Vorratshaltung kennt sie nur von Weckgläsern, in denen man Birnen, Kirschen und Ringlotten einmachte. Und sogenannte Ständele-Bohnen; die kamen mit Salz und Wasser in einen Tontopf, Zellophan drüber, ab in den Keller. „Dann nahm man immer zwei Handvoll raus, wusch sie und kochte sie ab.“

Oder das Haltbarmachen von Eiern, die man im Eiwohl-Wasserglas, auch im Tontopf, einlegte und dann bis zu einem halben Jahr aufbewahren konnte. Aber das war vor allem in den 1950er-Jahren. „Als es uns dann besser ging, wurde das auch weniger.“

„Ohne einkaufen vier Wochen über die Runden kommen.“
Claudia Brackmeyer, Bodman-Ludwigshafen

Lebensmittelknappheit hat Claudia Brackmeyer aus Bodman-Ludwigshafen in der Ölkrise 1973/1974 erlebt. Weil die Lastwagen nicht mehr fuhren, waren im Supermarkt plötzlich die Regale leer. „Das war schon ein Schock“, gesteht sie heute.

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„Und in Norddeutschland gab es 1978/79 einen eisigen Winter, da waren Regionen über eine Woche von der Umwelt abgeschnitten.“ Minus 47 Grad Celsius, 67 Tage eine geschlossene Schneedecke. Erinnerungen, die haften geblieben sind und bei manchen zusätzlich noch auf einen traumatischen Hintergrund trafen.

„Mein Mann war 1944 neun Jahre alt und musste miterleben, wie Frankfurt brannte. Er hat Hunger erlebt, wurde evakuiert und hat mich immer ermahnt, man müsse mindestens Vorräte für drei Monate im Haus haben.“ Das habe sie natürlich nie so konsequent gehandhabt, aber Spuren hinterließ diese Vor-Sorge auch bei ihr. „Ich würde ohne einkaufen schon vier Wochen über die Runden kommen.“

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Inzwischen ist ihr Mann verstorben, die Kinder sind aus dem Haus. Da sei es schwieriger abzuschätzen, was man wirklich braucht. Wenn sie ein Waschmittel aufmache, stehe aber das nächste schon parat. „So bin ich einfach gestrickt.“

Und als sie bei der Schwiegermutter nach deren Tod den Keller aufräumte, fand sie dort einen Riesenkarton voll mit Kernseife. „Unsere Generation und die unserer Eltern sorgte lieber vor.“ Das Regale-Leerkaufen empfindet sie dagegen als „ein Hamstern ohne Verstand“.

„In Quarantäne trotzdem für eine Familie verantwortlich.“
Susanne Högemann, Konstanz

Auch bei jüngeren Semestern kann das Anlegen einer Notration Thema sein. Susanne Högemann ist 50 und lebt mit zwei Kindern und Hund im Konstanzer Stadtteil Paradies.

Unter ihrer Treppe befindet sich eine Kammer, in der sie Vorräte aufbewahrt, die etwa für zwei Wochen reichen. Wasser sei immer genug da, Dosen mit Proteinen wie Kichererbsen oder Bohnen. Mehl, Reis, Nudeln, Milch. „Was die Kinder und ich halt so essen.“

Susanne Högemann aus Konstanz.
Susanne Högemann aus Konstanz. | Bild: Michael Buchmüller

Trigger waren die Corona-Krise und die Berichterstattung darüber. „Man konnte ja 14 Tage in Quarantäne müssen und trotzdem für eine Familie verantwortlich sein.“ Da wollte sie vorgesorgt haben.

Die Vorräte werden regelmäßig verbraucht und dann „intuitiv und unstrukturiert“ wieder aufgefüllt: Beim Einkauf immer wieder eines mehr als benötigt mitnehmen, so gehe sie vor. Hamsterkäufe findet sie dagegen „egoistisch, unbedacht und unfair“. Vor allem älteren Menschen gegenüber, die täglich zu Fuß ihre Einkäufe erledigen müssten.

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