Eltern, deren Kinder in städtischen Kitas betreut werden, schlagen Alarm. Immer wieder komme es vor, dass sie selbst auf ihren Nachwuchs aufpassen müssen, obwohl sie einen Kitaplatz haben. In einem Brief an Oberbürgermeister Uli Burchardt, Sozialbürgermeister Andreas Osner und Alfred Kaufmann, Leiter des Sozial- und Jugendamts, beklagen sich acht Mütter.
„Während es im letzten Kalenderjahr nur ab und an dazu kam, dass Kinder zu Hause betreut werden müssen, ist es seit einigen Wochen im Jahr 2025 eher die Regel als die Ausnahme: Für einige Familien gab es seit Beginn des Jahres schon vier zusätzliche Schließtage, hinzu kamen noch zwei Streiktage, an denen die Kita komplett geschlossen war. Dies stellt eine immense Belastung für die Familien dar“, schreiben sie.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei so nicht gegeben. Und wie kann es sein, dass Eltern eine bestimmte Wochenarbeitszeit vorweisen müssen, um einen Ganztagsplatz zu bekommen, wenn sie gleichzeitig ihre Kinder immer wieder betreuen müssen? Das widerspreche sich, finden die Mütter.
Sie erkennen, dass das System an seine Grenzen gerät und alle Beteiligten einem Dauerstress ausgesetzt sind: „Die Qualität der Betreuung leidet und für die Erzieherinnen und Erzieher werden ihre sowieso schon herausfordernden Arbeitsbedingungen noch unattraktiver, das Stresslevel steigt, die Gesundheit leidet.“ Noch mehr Personal fällt aus, ein Teufelskreis.
Eltern müssen Notfalltage angeben
Dabei ist das Dilemma schon lange bekannt. Die Stadt schafft immer mehr Kitaplätze, dennoch gehen Jahr für Jahr Hunderte Familien bei der Kinderbetreuung leer aus. Das liegt nicht nur an fehlenden Räumen, sondern vor allem am akuten Personalmangel.
Das bedeutet auch: Selbst wer einen Platz ergattert hat, kann sich nicht entspannt der Arbeit widmen. Immer wieder müssen Öffnungszeiten reduziert werden, auch sogenannte Notfalltage sind ein Mittel der Einrichtungen, um mit der Situation umzugehen. Dabei müssen Familien angeben, an welchem Wochentag sie ihr Kind betreuen können, wenn es personell eng wird – etwa weil Homeoffice möglich ist oder die Oma das Kind übernimmt.
Die Stadtverwaltung ist um Lösungen bemüht. „Wir kochen auf allen Töpfen“, sagt Sozial- und Jugendamtsleiter Alfred Kaufmann im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Die Stadt versucht seit Jahren, mit verschiedenen Maßnahmen gegenzusteuern.
So wurden zehn Erzieherinnen und Erzieher aus Spanien nach Deutschland geholt, neun davon sind noch immer da. Auch zwölf Ukraine-Flüchtlinge wurden als Fachkräfte ausgebildet. Außerdem dürfen inzwischen laut Landesrecht Baden-Württemberg Berufsgruppen wie Hebammen, Kinderpfleger, Grundschullehrer oder Sozialpädagogen in den Kitas arbeiten.
„Wir sind beim Personal nicht sehr wählerisch“
„Wir führen jede Woche Bewerbungsgespräche“, sagt Elena Moser von der Abteilung Tagesbetreuung für Kinder. Dennoch seien derzeit zehn Vollzeitstellen in städtischen Kitas unbesetzt, bei insgesamt etwa 180 Mitarbeitenden. „Diese Zahl ändert sich durch Kündigungen und Schwangerschaften aber täglich“, ergänzt sie.

Bei der Auswahl der Mitarbeitenden „sind wir nicht so wählerisch, wie wir es früher mal waren“, sagt Alfred Kaufmann. „Jede zusätzliche Person in einer Kita hilft, und die Mischung aus verschiedenen Berufsgruppen ist wertvoll.“ Dennoch ist ihm bewusst, dass dies für die gelernten Erzieherinnen und Erzieher auch schwierig ist, denn Zusatzkräfte dürfen beispielsweise nicht allein mit den Kindern sein.
Genau dies stelle die Leitungen bei Personalmangel vor große Probleme. „Manchmal fragen Eltern mich, warum die Öffnungszeiten reduziert werden, obwohl in der Kita so viele Leute herumlaufen“, berichtet Elena Moser und erklärt: „Es kommt nicht darauf an, wie viele Köpfe da sind, sondern welche.“

Jeden Morgen sei in jeder Einrichtung die Frage, wie die Lage aussieht. Die Leitungen melden die Krankenstände an die Abteilung Tagesbetreuung und gemeinsam wird geschaut, wie Lösungen gefunden werden können. Alfred Kaufmann betont, dass aber nicht wahllos Personal hin und her geschoben werden kann: „Wir betreuen keine Automaten, sondern Kinder.“
Das alles wäre noch viel dramatischer, „wenn das Personal sich nicht weit über das geforderte Maß hinaus engagieren würde“, lobt Kaufmann und ergänzt: „Ich sehe durchaus einen Zusammenhang zwischen Langzeiterkrankungen und Überlastung.“
Damit die verbliebenen Fachkräfte nicht auch noch entnervt kündigen, müsse die Stadt ab und zu die Eltern um Hilfe bitten. Dabei seien die Notfalltage eine erste Stufe, um die Situation für alle erwartbarer zu gestalten. Aber soll das nun immer so weitergehen?
Der Amtsleiter sieht eine Lösung auf zwei Ebenen. „Erstens müsste die Erwartungshaltung heruntergeschraubt werden“, sagt Kaufmann. „Wir sind leider nicht mehr der verlässliche Partner, der wir einst waren und gern sein wollen.“

Zweitens denkt sein Amt darüber nach, die Öffnungszeiten bei den städtischen Kitas strukturell zu verkürzen – was bislang vermieden wurde. Eine Idee ist, den Ganztag in allen städtischen Einrichtungen zu streichen und nur noch eine Betreuung mit verlängerter Öffnungszeit anzubieten, also bis nach dem Mittagessen.
„Am Nachmittag stehen die Räume dann zur Verfügung und es können andere Leute auf die Kinder aufpassen, wie es Radolfzell und Offenburg anbieten“, so Kaufmann. In Offenburg übernehmen dies die Malteser, in Radolfzell Eltern. „Diese Menschen erfüllen keinen Bildungsauftrag, sondern es wäre eine reine Betreuung“, so Kaufmann. Bei einem Kita-Gipfel am Mittwoch, 14. Mai, werde diese Idee besprochen.

Immerhin eine gute Nachricht kann Alfred Kaufmann verkünden: Bei der Platzvergabe fürs Kitajahr ab September 2025 konnten viel mehr Familien versorgt werden als bislang. Eltern bekommen ab Montag, 5. Mai, Bescheid. „Der Mangel an Plätzen ist auf etwa die Hälfte der vergangenen Jahre gesunken“, sagt er.
Das liege vermutlich an den Geburtenzahlen und daran, dass größere Jahrgänge in die Schule wechseln. „Es ist eine Momentaufnahme, aber darüber sind wir erstmal froh“, so Kaufmann.