Der vom Bund verfügte Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kleinkinder kommt die Stadt Konstanz außergewöhnlich teuer zu stehen. Schon jetzt muss sie damit rechnen, mehrere hunderttausend Euro im Jahr an Familien erstatten zu müssen, die sie nicht versorgen kann. Und das könnte erst der Anfang sein, warnen Fachleute: Eltern könnten künftig nicht nur Geld für einen privat und zu hohen Kosten organisierten Kitaplatz einfordern, sondern auch Verdienstausfall, falls sie selbst zu Hause bleiben müssen.
In der Schweiz gibt es freie Kita-Plätze – für viel Geld
Im Detail ist es eine Geschichte, wie es sie wohl nur in Konstanz oder in anderen Städten geben kann, die die Schweiz vor der Haustür haben. Findige Eltern haben entdeckt, dass es jenseits der Grenze in Kreuzlingen durchaus privat getragene und finanzierte Krippen und Kindergärten gibt, die auch Kinder aus Deutschland aufnehmen. Kostenpunkt: Bis zu 2100 Euro. Im Monat. Die Stadtverwaltung ließ die Rechtslage prüfen, wie es in einem Gemeinderatsdokument (2023-3376) heißt.
Das Ergebnis lautet: Der Rechtsanspruch auf den Kita-Platz besteht und hängt nicht davon ab, wo eine Familie ihn umsetzt. Dass die Kita im Ausland oder in diesem Fall sogar außerhalb der EU ist, spielt dafür keine Rolle. Für Bund und Land, die die Kommunen finanziell bei den Kitas unterstützen, dagegen schon. Alfred Kaufmann, der Leiter des Sozial- und Jugendamts, betont, dass für selbst organisierte Kita-Plätze von Konstanzer Familien in Allensbach oder Reichenau Zuschüsse fließen – für Kita-Plätze in Kreuzlingen dagegen nicht.
Nur für 2023 braucht die Stadt fast eine Viertelmillion
Für die Stadt bedeutet das hohe Kosten. Elf Konstanzer Kinder sind derzeit in Kitas in der Schweiz untergebracht. Im Schnitt kostet das laut Stadt rund 1200 Euro pro Monat und Kind. 2021 musste die Stadt für diese Kita-Plätze rund 17.600 Euro an die betreffenden Familien überweisen, 2022 waren es schon etwa 60.700 Euro.
Im Jahr 2023 waren bis Juni schon 61.200 Euro erreicht, das bereitstehende Geld im Mai aufgebraucht. Von Juni bis Jahresende, rechnet die Stadtverwaltung, benötigt sie weitere rund 156.000 Euro. Damit liegen die Kosten für 2023 bei über 216.00 Euro.
Und die Kosten könnten weiter steigen, wie es in der Ratsvorlage heißt „Aufgrund mehrerer bereits jetzt eingegangener neuer Anträge und der bisherigen Entwicklung, ist davon auszugehen, dass die Stadt Konstanz bis Jahresende für ca. 20-25 Plätze Aufwendungsersatz leisten muss.“
Was das bedeutet, hat CDU-Fraktionschef Roger Tscheulin schon einmal überschlagen: 25 Plätze zu 1200 Euro wären 360.000 Euro im Jahr. Ist der Anteil an den besonders teuren Ganztags- und Kleinkindplätzen höher, könnte es auch eine halbe Million Euro sein. Geld, das an vergleichsweise wenige Familien fließt – weil Konstanz nicht einlösen kann, was der Bund Familien versprochen hat.
Angesichts solcher Kosten für die ohnehin klamme Stadt Konstanz ist die Aufregung erheblich. Ein „riesengroßes Dilemma“, sagt Sozialbürgermeister Andreas Osner (SPD). Amtsleiter Kaufmann verweist darauf, dass die Stadt alles in ihrer Macht stehende tue, um neue Kita-Plätze zu schaffen. „Mehr können wir nicht“, so sein Fazit. Weil aber Familien auf ihren Anspruch bestehen und einfallsreich in die Schweizer Nachbarstadt schauen, komme Konstanz um die Zahlungen nicht herum. „Der Rechtsanspruch“, so Kaufmann, „ist unumstößlich.“
Und Kaufmann weiß auch: Selbst 2100 Euro für einen Krippenplatz in Kreuzlingen sind im Zweifelsfall noch günstig, wenn sich Eltern nicht für eine Variante entscheiden, die die Stadt Konstanz und damit die Konstanzer Steuerzahler noch teurer zu stehen kommt. Sollten sie mangels Kita-Platz ihre Berufstätigkeit aufgeben, könnte die Stadt verpflichtet werden, den Verdienstausfall zu finanzieren. Oder alle Kita-Kinder und ihre Familien genau unter die Lupe nehmen und diejenigen kurzfristig aus den Einrichtungen werfen, bei denen die Ansprüche auf einen Platz nicht gegeben sind, für die aber die Kita vielleicht aus sozialen Gründen enorm wichtig ist.
Luxus oder Basisversorgung in Schweizer Kitas?
Ob die Kinder in der Schweiz ähnlich gut betreut werden wie in einer Konstanzer Einrichtung – eine Frage, die sich die beruflich fachkundige Stadträtin Soteria Fuchs von der Freien Grünen Liste stellt –, spielt dabei keine Rolle. Und auch ob Kosten von 100 Euro am Tag angemessen sind nicht. Alfred Kaufmann verweist ohnehin darauf, dass die Vollkosten für einen Kita-Platz in Konstanz ähnlich sein können, nur dass hier eben die Eltern nur einen kleinen Teil bezahlen, öffentliche Kassen dagegen den deutlich überwiegenden.
Was auf die Stadt Konstanz finanziell zukommt, weil sie nicht genügend Krippen- und Kindergartenplätze zur Verfügung stellt, ist laut Experten schwer abzusehen. Was diese Fachleute aber auch alle wissen: Es kommt noch etwas viel Größeres auf Konstanz und auch alle anderen Kommunen zu.
Denn ab 2026 greift der Rechtanspruch auf Grundschulbetreuung. Vor zwei Jahren schon hat der Bundestag die schrittweise Einführung beschlossen. Erst- bis Viertklässler haben dann einen Anspruch auf eine Betreuung über acht Stunden an fünf Tagen die Woche bei maximal vier Wochen Schließzeit pro Jahr.