Herr Burchardt, von Ihrer zweiten Amtszeit ist das dritte Jahr bald vorbei. Macht Ihnen Ihr Amt eigentlich noch Spaß?

Ich sage immer: Ich habe einen der tollsten Jobs der Welt. Also ja, allermeistens schon. Es gab und gibt, wie wohl bei jedem, auch die Tage, wo man denkt: Warum tue ich mir das an? Also ja, es macht Spaß und mir ist bewusst, dass es ein Amt ist, das das große Privileg mit sich bringt, sehr große Gestaltungsspielräume zu haben. Noch mehr denn je will ich geben, was ich kann, um meinen Job im Sinne unserer Stadt und für die Konstanzerinnen und Konstanzer möglichst gut zu machen.

Es gibt immer Menschen, die erleben Sie als ungeduldig, gestresst, genervt. Ist das deren Wahrnehmung, oder ist es manchmal einfach auch nervig und stressig?

Ich kann nicht von mir weisen, dass auch ich manchmal ungeduldig bin. Ganz bestimmt. Ich bin auch manchmal gestresst, wir haben auch sehr, sehr stressige Zeiten. Ich gehe damit sehr offen um und lasse mir so etwas auch anmerken. Sollte ich mal den falschen Ton treffen, bin ich aber auch derjenige, der am nächsten Tag anruft und sagt: Entschuldigung, das ist ein bisschen unpassend gewesen.

Von all dem, was seit 2020 über Sie hereingebrochen ist, was hat Sie davon am meisten belastet? Hatten Sie das Gefühl, nicht mehr steuern, sondern nur noch reagieren zu können?

Bei der letzten Wahl waren wir schon in Corona drin – das war sicher das Heftigste, was wir alle seit Jahrzehnten erlebt haben. Betrachtet man hier das kommunale Umfeld, wurden in dieser Zeit alle Rahmenbedingungen verändert und verschoben. Danach kam der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der auch viel verändert hat – die Stimmung, die Einschätzung des eigenen Sicherheitsempfindens, den Blick auf Europa und unsere Zukunft.

Dadurch entstanden ganz praktische Herausforderungen mit Inflation und Lieferengpässen. Die Stadt hat vor ein, zwei Jahren zum Beispiel ein Gebäude eröffnet, bei dem die Dachrinnen noch fehlten. Das wäre vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen! Pandemie und Krieg, das waren die beiden – mit weitem Abstand – überragenden Veränderungen, mit denen wir auch noch lange nicht durch sind.

Gab es auch positive Momente in der zweiten Amtszeit?

Für und in Konstanz? Viele! Schauen wir uns nur mal das Jahr 2023 an: Die Fasnacht, die ganzen Veranstaltungen, die Stadtteilfeste oder auch kleine Events wie das „Dîner en blanc“ in der Zollernstraße oder die Gassenfreitage. Ich erlebe Konstanz als eine Gesellschaft, die sehr zusammenhält – das ist eine sehr gute Nachricht in diesen Zeiten! – und die auch ziemlich guter Dinge ist. Man freut sich, sich zu sehen und Zeit miteinander zu verbringen. Man feiert sich und das Leben und die Stadt. Gleichzeitig konnten wir als Verwaltung auch viele zukunftsweisende, wirklich gute Dinge für Konstanz auf den Weg bringen.

Was ist denn besser, die Stimmung oder die Lage?

(überlegt) Die Lage ist schwierig, wobei man da unterscheiden muss zwischen der Lage in Konstanz und der Lage in Deutschland und Europa. Ich glaube, im Vergleich zu Deutschland und Europa, ist die Lage in Konstanz nach wie vor ausgesprochen gut. Weil wir diesen Zusammenhalt haben, weil es uns gut geht. Aber die Lage in Deutschland und Europa, die Veränderung von Politik, bereitet mir schon Sorgen. Auch die Veränderung von Demokratie.

Demokratie beginnt vor Ort, hier in der Stadt. Und ein Gemeinwesen will auch finanziert sein. In wenigen Jahren unter Ihrer Ägide hat Konstanz mehr Schulden gemacht, als die Stadt in den 25 Jahren zuvor abbauen konnte. Wo bleibt da die Nachhaltigkeit?

Ich stimme der Zusammenfassung nicht ganz zu: In den elf Jahren, die ich im Amt bin, haben wir zehn Jahre lang immer Schulden abgebaut – von einem ohnehin nicht hohen Niveau kommend, wir waren zuletzt unter 20 Millionen Euro Verschuldung im Kernhaushalt, was wirklich sehr wenig ist. Infolge von Corona haben wir dann angefangen, wieder Schulden aufzubauen. Wir waren uns einig und haben das sehr offensiv im Gemeinderat beschlossen, auch in Abstimmung mit der Jugendvertretung: Wir wollen auch mit Schulden unsere Klimaschutzinvestitionen finanzieren, weil wir sonst zu langsam wären.

Und zu den Zahlen, die kürzlich im Gemeinderat präsentiert und auch hier im Südkurier aufgegriffen wurden: Das ist ein Was-wäre-wenn-Szenario. Wir haben keinen Haushalt gemacht, sondern einen Finanzbericht dazu, was passiert, wenn wir nicht eingreifen. Ich bin nach wie vor zuversichtlich, dass wir das dort aufgezeigte Verschuldungsniveau nicht erreichen werden – wir werden da natürlich im kommenden Haushalt im Dezember gegensteuern.

Im Rathaus: Oberbürgermeister Uli Burchardt im Gespräch mit den SÜDKURIER-Redakteuren Timm Lechler (links) und Jörg-Peter Rau.
Im Rathaus: Oberbürgermeister Uli Burchardt im Gespräch mit den SÜDKURIER-Redakteuren Timm Lechler (links) und Jörg-Peter Rau. | Bild: Hanser, Oliver

Die Kommentierung zum Haushaltserlass des Regierungspräsidiums kann man auch so interpretieren, dass hier der Stadt Konstanz unmissverständlich erklärt wird: Ihr lebt über Eure Verhältnisse. Ist das so?

Ich sage es immer so: Wir haben ein Thema vor allem auf dem Girokonto, aber nicht auf dem Sparbuch. Die Stadt hat viel Vermögen, viel Substanz, auf die sie sich verlassen kann. Und in den letzten 10 Jahren haben wir sehr viel in diese Substanz hinein gewirtschaftet. Aber wir sind keine steuer- oder industriestarke Stadt. Deshalb müssen wir überlegen: Was leisten wir uns? Vergleicht man uns mit anderen Städten in der Größenordnung 90.000 Einwohner/-innen in Baden-Württemberg oder Deutschland, dann fällt auf: Wir haben zwei große Kulturinstitutionen, die aus dem städtischen Haushalt finanziert werden, und wir haben als einzige kreisangehörige Stadt in Baden-Württemberg ein eigenes Sozial- und Jugendamt.

Alle drei dieser Besonderheiten wollen und brauchen wir, die sind wichtig. Sie haben die Stadt geprägt. Das Regierungspräsidium macht transparent, dass wir gemeinsam als Stadtgesellschaft in der ganzen Breite auf Einnahmen und Ausgaben schauen müssen. Ja, auch auf die Einnahmen – Kita-Gebühren und Steuern zum Beispiel hatten wir viele Jahre lang nicht erhöht.

Ihr Sozial- und Kulturbürgermeister hat sich schon mal aus dem Fenster gelehnt und in öffentlicher Veranstaltung erklärt, das 20-Prozent-Kürzung Einsparziel bei der Philharmonie nicht mittragen zu wollen. Sehen Sie das genauso?

Die 20 Prozent Einsparung sind genau genommen ein Prüfauftrag des Gemeinderats. Im Sinne von: Prüft das, zeigt uns das Ergebnis und dann reden wir darüber. Die Beratungen sind noch nicht zu Ende. Im Moment zeichnen sich für beide der Kulturinstitutionen Mehrheiten ab für Einsparungen, aber nicht in der Größenordnung von 20 Prozent. Ich gehe davon aus, dass es Kompromisse geben wird, aber das letzte Wort hat der Gemeinderat. Ich finde richtig, dass auch diese beiden Institutionen sich beteiligen an den Einsparbemühungen – und bin überzeugt, dass ihnen das gelingt, ohne dass man die Substanz gefährdet.

Für Sie sind sowohl das Theater als auch die Philharmonie in städtischer Trägerschaft gesetzt? Sie haben also keine Pläne, eine der Einrichtungen mittelfristig zu schließen, oder einen anderen Träger dafür zu suchen?

Ich will, dass wir beide erhalten. Das Stadttheater hat in den vergangenen Jahren deutlich zugelegt an Zuschüssen, wie aber beispielsweise auch an tollen Premieren. Da muss es auch möglich sein, wieder ein paar Schritte rückwärts zu machen. Aber die älteste bespielte Bühne Deutschlands in städtischer Hand zu behalten, das finde ich richtig.

Die Philharmonie ist ein leistungsfähiges Orchester, aber wir haben keine Spielstätte dafür, und es kommen viele Menschen von außerhalb in die Konzerte. Wir sind Oberzentrum, aber da darf man auch mal die Frage stellen, wer mitfinanziert. Es gibt nun die Idee und den Fraktionsantrag, die umliegenden Städte und Regionen zu befragen, inwieweit man da in eine gemeinsame Trägerschaft gehen könnte. Das befürworte ich absolut.

Als es neulich um einen 0,3-Stellenanteil bei der Schulsozialarbeit ging, hat Ihr Kämmerer ungefragt das Thema Steuererhöhungen in die öffentliche Debatte geworfen. Wie eng ist es wirklich?

In meiner Erinnerung hat der Kämmerer dem Gemeinderat grundsätzlich erklärt, dass der Gemeinderat auch die Hebel auf der Einnahmenseite hat. Und wie eng ist es? Es war bisher noch in jedem Haushalt eng. Wir werden es auch dieses Mal hinbekommen. Aber wir werden uns nicht alles leisten können, was wir uns wünschen. Wenn wir im Klimaschutz unsere Ziele erreichen wollen, werden wir an anderer Stelle noch Abstriche machen müssen. Wir werden schwierige Entscheidungen treffen müssen, aber es nicht das Thema, das mir die größten Sorgen bereitet. Wir bekommen das gemeinsam mit dem Gemeinderat hin.

Was bereitet Ihnen die größten Sorgen?

Für die Zukunft und für das Funktionieren der Stadt ist es entscheidend, dass wir Fachkräfte bekommen, für die Stadtverwaltung und die Wirtschaft. Das hängt in Konstanz direkt an der Versorgung mit Wohnraum. Es macht mir große Sorgen, dass der Wohnungsbau quasi zum Stillstand kommt, in Konstanz und in ganz Deutschland. Ich erwarte, von der Bundes- und Landesregierung, dass kurzfristig, noch in diesem Jahr grundlegende Entscheidungen getroffen werden, die das ändern. Ich habe manchmal das Gefühl, die hochbrisante Situation ist dort noch nicht angekommen.

IHK-Hauptgeschäftsführer Claudius Marx sagte eben: Wenn wir alle so wohnen würden, wie unsere Eltern in diesem Alter, gäbe es keine Wohnungsnot.

Wir haben heute pro Kopf fast den Platzbedarf, den in den 50-er Jahren eine vierköpfige Familie hatte, knapp 50 Quadratmeter. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass ich dahin zurück kann. Unsere Gesellschaftsstruktur hat sich stark verändert. Der Anteil der Single-Haushalte ist Treiber Nummer eins.

Braucht es da mehr Fantasie à la Boris Palmer? Ein Konstanzer Vorstoß zur Reform der Grundsteuer, der die Wohnfläche per Person mit betrachtet?

Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Ich wüsste auch nicht, ob es gehen würde. Gegen ungewöhnliche Ansätze habe ich aber nichts.

Boris Palmer hat nicht so lange nachgedacht, ob es gehen würde, Pappbecher zu besteuern.

(lacht) Das sind allerdings auch zwei unterschiedliche Größenordnungen. Aber ganz im Ernst: Im Baugebiet Horn, früher Christiani-Wiesen, verfolgen wir das Prinzip „Qualität statt Quadratmeter“. Wir wollen herausfinden: Was müssen wir tun, damit Leute gerne in eine kleinere Wohnung ziehen? Im Moment gibt es gerade für Menschen, bei denen die Kinder längst ausgezogen sind, dafür keinen echten Anreiz. Wenn die kleinere, barrierefreie Wohnung fast so teuer ist, wie die aktuelle, lässt sich das noch nicht ganz auflösen. Aber es lohnt sich, daran zu arbeiten.

Die Menschen, die mit ihrer Familie auf die Christiani-Wiesen ziehen wollen, können sich jetzt bald für das betreute Seniorenwohnen anmelden.

(lacht)

Das Verfahren läuft seit über zehn Jahren. Es steht nicht mal ein Bagger da.

(sehr ernst) Wir sind in Deutschland mit solchen Verfahren viel zu langsam. 17 Jahre für ein Pflegeheim in der Jungerhalde. Grundschule Wollmatingen, die Unterkunft in der Leipziger Straße, Fahrradwege: Die Verfahren sind extrem aufwendig, und eine einzelne Person kann jahrelang verhindern, dass irgendwo etwas gebaut wird – selbst wenn es dem Gemeinwohl dienen würde. Das ist ein großes Problem. Beim Horn muss man aber dazu sagen: Das ist ein sogenanntes nationales Projekt des Städtebaus. Wir haben nahezu alle Fachbereiche unserer Hochschulen beteiligt, weil wir daraus lernen wollen. Das war nie als eine schnelle Lösung gedacht. Sondern als ein relativ kleines Projekt, an dem wir Dinge lernen wollen, die wir dann am Hafner in die Fläche bringen.