„Eigentum verpflichtet!“ Auf diesen Satz aus dem Grundgesetz kommt Herbert Weber immer wieder zurück, wenn er über leerstehende Wohnungen in Konstanz spricht. Seit 1975 ist er Vorsitzender des Deutschen Mieterbunds Bodensee. Nachdem er die bisherigen Folgen der Serie #Wohnreport2030 gelesen hatte, lud er den SÜDKURIER zu einer Radtour durch Konstanz ein. „Schauen wir uns mal an, wo überall leere Wohnungen stehen, in die schon morgen jemand einziehen könnte.“
Auf dem Rad durch Konstanz
Los geht es am Zähringerplatz, wo der Mieterbund seinen Konstanzer Sitz hat. Doch nicht nur deshalb startet Weber dort: „Direkt über uns ist eine leerstehende Wohnung“, erklärt er, während er sich seinen roten Fahrradhelm aufsetzt. „Der Wohnungseigentümer scheint damit überfordert zu sein.“

„Leute kommen verzweifelt zu uns, weil sie einfach nichts finden“, sagt Weber. „Gleichzeitig weiß ich, dass eine Wohnung über uns theoretisch morgen bezogen werden könnte. Mir tut das weh.“
Es gibt verschiedene Gründe für den Leerstand von Wohnungen. Das will Herbert Weber an Gebäuden zeigen, die bisher noch nicht als Beispiel für Wohnungsleerstand bei öffentlichen Diskussionen, Demonstrationen und Berichterstattungen hergenommen wurden. Weber setzt sich auf sein E-Bike. „Wenn ich zu schnell bin, sagen Sie es!“, ruft der 84-Jährige und tritt in die Pedale.
Mainaustraße
Direkt an der Mainaustraße steht hinter einem weißen Lattenzaun ein Haus mit blauen Holzfensterläden. Die Besitzer wohnen laut Weber nicht am Bodensee und seien nur zwei oder dreimal im Jahr in Konstanz. „Das ist ihr Ferienhaus, damit hat sich das“, sagt Weber.

Eigentlich darf eine Wohnung nach dem Verbot von Zweckentfremdung, das seit 2015 in der Stadt angewandt wird, nicht länger als sechs Monate unbewohnt sein. Allerdings: Angemeldete Zweitwohnungen gelten nicht als zweckentfremdet, dürfen also auch über längere Zeit hinweg leerstehen.
Weber betont, er sei nicht gegen den privaten Besitz von Ferienhäusern. „Aber in der derzeitigen Situation kann es einfach nicht sein, dass ein komplettes Haus das ganze Jahr leersteht“, sagt er und wiederholt: „Eigentum verpflichtet doch!“ Man könne zumindest einen Teil davon in der Zwischenzeit vermieten.

Leere Wohnungen führen laut Weber dazu, dass die komplette Infrastruktur, an die ein Haus angeschlossen ist – der Abwasserkanal, Strom – nicht genutzt werde. „Die Stadtwerke verdienen nichts, weil kein Wasser und Strom verbraucht wird.“ Die Kosten für diese Infrastruktur müssten dann die anderen Bürger tragen. „Deshalb ist ein leeres Haus gegen alle Interessen des Gemeinwohls.“
Christopher Pape, Pressesprecher der Stadtwerke, beschwichtigt aber auf SÜDKURIER-Anfrage: „Grundsätzlich bereiten uns die Leerstände aus Sicht des Netzbetriebes kein Problem.“ Wesentlich werde sich der Leerstand auf den bestimmungsgemäßen Betrieb der Trinkwasserinstallation im Haus auswirken. Für die regelmäßige Nutzung des Wassers ist nämlich der Hauseigentümer verantwortlich – und muss ansonsten auch entsprechende Kosten tragen. Das Trinkwassernetz selbst spülen die Stadtwerke selbst durch, es nimmt also laut Pape keinen Schaden.
Buhlenweg
Als Nächstes stellt Weber sein rotes Fahrrad am Buhlenweg ab, gegenüber vom Schwaketensportplatz. Vor einem mehrstöckigen Haus deutet er auf ein Fenster nach oben. „Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung, mit Küche, mit allem drum und dran.“ Diese Wohnung gehöre ebenfalls dem Mann, der seine Räume über den Mieterbund-Büros leerstehen lässt.

Als Vorsitzender des Mieterbundes bekommt er häufig Tipps und Informationen über leere Wohnungen. Und auch bei der Stadt können Bürger per E-Mail Leerstände melden oder Vorschläge machen, wo man bestehenden Wohnraum besser nutzen könnte. „Dieses Anprangern macht mir keinen Spaß“, sagt Weber, bevor er weiterradelt. „Aber ich sehe leider die Notwendigkeit dazu.“
Fürstenbergstraße
Wenig später ist Weber in Wollmatingen. An der Fürstenbergstraße will er gleich mehrere Häuser zeigen. Das Erste war früher zu einer Hälfte ein Laden, zur anderen eine Wohnung. „Hier hat ein Vorbesitzer mutwillig Löcher ins Dach und die Erdgeschossdecke gerissen, damit es reinregnet“, beschreibt Weber. Durch das ehemalige Ladenfenster sind Schuttberge zu erkennen.

Als Grund für die Zerstörung des Hauses sieht Weber Spekulation: „Vermutlich würde man gerne abreißen und etwas Neues hinbauen.“ Damit es die Genehmigung dafür gebe, lasse man es so herunterkommen, bis nichts mehr zu retten ist. „Für mich ist das unglaublich. Das ist der Hammer.“
Doch Leerstand ist nicht zwangsläufig die Folge von Spekulation. Das Baurechts- und Denkmalamt der Stadt nennt auf Anfrage gleich eine Auswahl von Gründen für leere Wohnungen: unter anderem schlechter baulicher Zustand des Gebäudes, laufende Planung und Abklärung von Finanzierungsmöglichkeiten, Eigentumswechsel oder Übergang an Erben sowie ungeklärte Eigentumsverhältnisse.
Das nächste unbewohnte Haus ist nur ein kleines Stück weiter. Es soll seit mindestens einem Jahr leerstehen. Darin erkennt Weber eine „übliche Masche“: Bei einem Gebäude finde man Mängel, deren Reparatur eine größere Investition wäre. Dann stecke man kein Geld mehr hinein und warte so lange, bis man die Genehmigung für einen Neubau bekomme.
„Wenn wir genug Wohnraum hätten, wäre mir das egal. Aber wenn man hört, dass Menschen zum Wohnen in Konstanzer Turnhallen untergebracht werden, dann interessiert mich nicht das Geschäft eines Immobilienhais“, sagt Weber.

Er fährt die Fürstenbergstraße weiter entlang und hält vor einem Haus, das verwittert, fast schon verwunschen aussieht. Dieses Haus gehört der Wobak, erzählt Weber. Die Wohnungsbaugesellschaft wolle dort ein neues Gebäude errichten. Vorher hatte sie der Stadt angeboten, bis dahin Flüchtlinge in dem leerstehenden Haus unterzubringen. Die Stadt hätte dafür nichts bezahlen müssen – ausgenommen die Kosten der Instandsetzung.

Das bestätigt auch die Stadt gegenüber dem SÜDKURIER. Aus dem Rathaus heißt es hierzu: „Das städtische Hochbauamt hat das Haus dann besichtigt und aufgrund der sehr hohen Kosten für die Instandsetzung und einer lediglich temporär möglichen Nutzung das Angebot dann nicht weiter verfolgt.“ Deshalb läuft jetzt wieder der Abbruchantrag.
Das findet Herbert Weber schade: „Sicher, das sieht ziemlich runtergekommen aus. Ich weiß auch nicht, wie der Zustand drinnen ist. Aber vor einem guten Jahr hat dort noch wer gewohnt.“
Kindlebildstraße
Am Rand von Wollmatingen zeigt Weber noch ein letztes derzeit unbewohntes Einfamilienhaus. „Das war jetzt nur ein kleiner Teil der Stadt, man könnte sich noch so viel anschauen.“ Diese Tatsache beschäftige den Mieterbund-Vorsitzenden nicht nur angesichts der hohen Nachfrage nach Wohnungen.

Auch aus ökologischer Sicht gebe der Leerstand Grund zur Empörung: „Überall meckert man rum, wenn die Stadt neue Baugebiete ausweist“, sagt Weber. „Wenn allein die Wohnungen, die wir uns gerade angeschaut haben, genutzt würden, dann könnte man sich vielleicht zehn neue Wohnungen sparen.“ Am Ende dieser Radtour ist sich Weber wohl sicherer denn je: Eigentum verpflichtet.