Wenn die Bewohner des Hauses an der Reichenaustraße 36 etwas einkaufen müssen, genügt es, mit dem Aufzug ins Erdgeschoss zu fahren. Die Wohnungen, fast ein eigenes kleines Dörfchen, befinden sich auf dem Dach über einer großen Filiale von Edeka Baur. Außerdem sind Büroräume und ein Parkdeck in dem Gebäude untergebracht.

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Was vielleicht banal klingen mag, fasst ein wichtiges Konzept im Städtebau zusammen: Die mehrfache Nutzung einer Fläche. Wolfgang Borgards, einer der Architekten des Gebäudes, sieht in dieser Vorgehensweise die Zukunft des Bauens. Fünf Argumente für die gemischte Nutzung lassen sich am Gebäude an der Reichenaustraße erklären:

1. Gemischte Nutzung spart Flächen

Es klingt einfach und ist doch so wirkungsvoll: „Die gemischte Nutzung hat den sehr großen Vorteil, dass man ein Grundstück unglaublich gut ausnutzen kann“, sagt Borgards. „Also wenn ich einen großen, einstöckigen Markt mit einem Parkplatz daneben baue, dann habe ich unglaublich viel Fläche nur einmal genutzt und einen hohen Bodenverbrauch.“

Wolfgang Borgards ist einer der Architekten, die den Edeka Baur an der Reichenaustraße entworfen haben. Der Freiburger sieht Gebäude mit ...
Wolfgang Borgards ist einer der Architekten, die den Edeka Baur an der Reichenaustraße entworfen haben. Der Freiburger sieht Gebäude mit gemischter Nutzung als die Zukunft des Städtebaus. | Bild: privat

Wer Einkaufen und Parken stapelt und ein Stockwerk fürs Wohnen einplant, hat am Ende die Fläche besser genutzt. Baugrund ist gerade in Konstanz rar und endsprechend teuer. Vor allem in bereits bebauten Gebieten, wie etwa an der Reichenaustraße, ist es deshalb wichtig, die verfügbaren Flächen effizient zu nutzen.

2. Gemischte Nutzung erfordert Zusammenarbeit

Als „sehr spannend, aber herausfordernd“ hat Borgards das Projekt in Erinnerung. Sein Freiburger Architekturbüro K9 hat das Gebäude gemeinsam mit dem Büro MBPK, den Investoren Doser und Partner sowie Edeka Baur geplant. „Das ist natürlich dann so ein Gemenge, bei dem jeder seine eigenen Ziele verfolgt.“

Durch die gemischte Nutzung wird wertvolle Fläche effizient ausgenutzt. Doch bei der Planung entstehen dabei Herausforderungen, die beim ...
Durch die gemischte Nutzung wird wertvolle Fläche effizient ausgenutzt. Doch bei der Planung entstehen dabei Herausforderungen, die beim Bau eines herkömmlichen Supermarktes oder Wohnhauses nicht bedacht werden müssen. | Bild: Julius Bretzel

Doch die Vorgabe der Stadt war, alle Ziele unter ein Dach zu bringen und zusätzlich zum großen Einzelhandel eben auch Wohnraum zu schaffen. „Damit steht man vor einer komplexen, aber spannenden Aufgabe“, erklärt der Architekt. Denn schon die einzelnen Nutzungsaspekte seien mit Schwierigkeiten verbunden: Der große Markt mit Anlieferung und Besucherströmen, Parkplätze für die Kunden, Parkplätze für die Bewohner, die Wohnungen selbst. Um all das in ein Gebäude zu packen, das sich zusätzlich gut ins Stadtbild einfügt, ist bei der Entwicklung Zusammenarbeit und Abstimmung gefragt.

3. Gemischte Nutzung belebt die Stadt

Dass eine gemischte Nutzung eine Stadt belebt, gilt schon seit einigen Jahren als von der Forschung belegt. Ein reines Gewerbegebiet ist zum Beispiel am Wochenende wie ausgestorben. Bei einem gemischten Gebiet ist das anders: „Das ist belebt und sozial eingebunden“, sagt Borgards. Außerdem entstehe so die Stadt der kurzen Wege. „Ich kann meine Einkäufe dort erledigen, wo ich auch wohne.“ Wenn sich auf diese Weise Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Versorgung verschränken lassen, kann das die Lebensqualität in einer Stadt deutlich erhöhen.

(Archivbild) Auf dem Dach des Edeka-Marktes lebt es sich in dörflicher Atmosphäre. Sogar ein Spielplatz mit Bäumen ist dort oben.
(Archivbild) Auf dem Dach des Edeka-Marktes lebt es sich in dörflicher Atmosphäre. Sogar ein Spielplatz mit Bäumen ist dort oben. | Bild: SK-Archiv/Michael Buchmüller

Trifft das an der Reichenaustraße auch zu? „Ich finde, das ist uns schon geglückt“, so Borgards. Vergangenes Jahr hat der SÜDKURIER mit Bewohnern des Dorfes auf dem Edeka gesprochen. Diese zeigten sich begeistert von ihrem Zuhause. Von der Schneeballschlacht im Winter bis zum Bobbycar-Rennen um einen Spielplatz im Sommer herrscht eine Atmosphäre auf dem Dach des Supermarkts, die eher an eine Spielstraße erinnert.

4. Gemischte Nutzung fördert Innovation

Gemischte Nutzung heißt auch unterschiedliche Anforderungen. „Das Wohnen hat andere Anforderungen an ein Gebäude als ein Edeka-Markt, ein Parkhaus oder ein Büro-Komplex“, sagt Borgards. Wenn morgens ein Lastwagen den Supermarkt beliefert, sollte sein Lärm dabei nicht diejenigen stören, die in den Wohnungen darüber schlafen. „Es so zu planen, dass alles am selben Ort sein kann, ohne dass es sich gegenseitig stört: Das ist die Kunst.“ Das sorgt dafür, dass die Planer innovative Lösungen finden müssen. Die Anlieferung über den Laster, zum Beispiel, wurde „eingehaust“, findet also nicht einfach auf dem Hof vor dem Haus statt.

5. Gemischte Nutzung ist zukunftsgerichtet

Die ursprüngliche Idee, dass Wohnen, Freizeit und Gewerbe in eigenen Teilen der Stadt voneinander getrennt sind, kam in der Moderne auf, also in den 1930er- bis 1960er Jahren, erklärt der Architekt. In Zeiten von Verkehrswende und klimafreundlicher Stadtplanung ist diese Teilung heute aber nicht mehr zeitgemäß.

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„Das produziert mehr Verkehr, weil alle immer ewig reisen müssen, um zum Arbeiten und zum Einkaufen zu kommen,“ sagt er. Wer in einem gemischt genutzten Gebiet lebt, kann unter Umständen auf kürzester Distanz wohnen, arbeiten, seine Freizeit verbringen und einkaufen, ganz ohne Auto – und wenn es gut läuft sogar in einem einzigen Haus in Konstanz.