Herr Oberbürgermeister, beim Rückblick auf das vergangene Jahr fällt eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei vielen Vorhaben der Stadt auf...
...ist das so?
Erst jüngst ist der SÜDKURIER eine Liste von Baugebieten durchgegangen, in denen die Stadt im Verzug ist.
Aber nur diese Liste von 2014 zu nehmen ist falsch. Das ist leider nur die halbe Wahrheit, weil das neu hinzugekommene nicht erwähnt wurde.
Worüber wir ebenfalls berichten. Lassen Sie es uns aber noch einmal anders formulieren. Sie selbst haben im Gemeinderat gesagt, dass von den rund 50 Projekten, an denen die Stadtverwaltung arbeitet, nicht einmal 20 eine Chance haben, in absehbarer Zeit realisiert zu werden. Wieso beschränkt man sich nicht auf das, was machbar ist?
Ich habe von Bebauungsplänen gesprochen, das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Mir fehlt bei der Diskussion und der Berichterstattung über die nicht realisierten Baugebiete die Einordnung. Ich bin seit zehn Jahren Oberbürgermeister, und in dieser Zeit haben sich die Ansprüche und die Wirklichkeit doch sehr verändert. Die Wirklichkeit des Jahres 2012 sah erst einmal so aus, dass die Stadt so gut wie keine bebaubaren Grundstücke besaß. Das hat sich geändert – auch deshalb, weil die Erwartungshaltung eine andere ist.
Naja, gewohnt haben die Menschen auch früher...
Ja, aber da hieß es eben, nein, neue Baugebiete brauchen wir nicht, bis hin zu Stimmen, die gesagt haben, die Leute sollen in den Hegau ziehen oder in die Schweiz. Heute sieht man das anders. Die Menschen, die in Konstanz arbeiten, müssen hier leben können – es macht aus heutiger Sicht keinen Sinn, wenn die Leute in die Stadt pendeln. Das ist sozial und ökologisch nicht vertretbar.
Gerade deshalb muss es schmerzen, wenn‘s beim Wohnungsbau nicht vorwärts geht.
Ich verstehe die Ungeduld der Menschen, aber dennoch muss man sehen, von wo aus wir vor zehn Jahren gestartet sind. Da hatten wir gedacht, wir entwickeln das Döbele-Areal mit 300 bis 400 Wohnungen und dann haben wir für viele Jahre Ruhe. Aber es kam anders. Aus den Zahlen zur Stadtentwicklung ging plötzlich hervor, dass wir bis 2030 oder 2035 etwa 7900 zusätzliche Wohnungen brauchen. Das hat uns schier umgehauen.
Parallel zum Döbele haben wir dann das Handlungsprogramm Wohnen entwickelt. Hinzu kam dann aber noch der Zuzug von Flüchtlingen. Das gehört ganz wesentlich in die Einordnung des Themas dazu. 2014 dachten wir alle noch, dass sich mit dem Angebot an den Landkreis zur Unterbringung von 100 Menschen in der Luisenstraße das Thema Flüchtlingsunterbringung für uns erstmal erledigt hat. Kurze Zeit darauf war klar, dass das nicht reicht und wir 1000 und mehr Menschen aufnehmen müssen.
Ist das nicht alles ein Argument, dass beim Wohnungsbau ein Zahn zugelegt werden muss?
Das machen wir ja auch. Wir haben nämlich dann noch etwas gemacht, was für die Einordnung des Themas ganz wichtig ist. Wir haben gesagt, wir suchen für den Bau von Flüchtlingsunterkünften neue Grundstücke, die im Handlungsprogramm Wohnen bisher nicht drin waren. Ich will dem Busfahrer nicht erklären müssen, dass wir seine Wohnung nicht bauen können, weil erst eine Flüchtlingsunterkunft nötig ist. Deshalb haben wir beides gleichzeitig gemacht.
Und es war nicht einfach, hinter der Kirche, hinter irgendeiner Ecke, zwischen den Häusern oder auch im Außenbereich Wohnraum zu schaffen. Aber das haben wir gemacht, weshalb das ein oder andere, was vor 2014 geplant war, zurückgestellt werden musste. Man kann uns das vorhalten, aber dabei wird übersehen, dass wir eben auf die aktuelle Entwicklung reagieren mussten. Diese Einordnung fehlt mir manchmal bei der Kritik...
...die aber dennoch nicht verstummen wird. Die Leute sehen den Bedarf an Wohnraum und dass er nicht schnell genug zur Verfügung steht. Warum geht das nicht schneller? Zumal die Pläne ja vorliegen.
Ja, aber diese mussten schließlich auch erst mal gefertigt werden. Und wir haben die Zahl der Härtefälle bei der WOBAK in diesem Jahr erstmals richtig drastisch abgebaut, dank großer Projekte, die wir gebaut haben. Mein Fazit ist: Ja, wir haben vieles um 2014 Geplante noch nicht umgesetzt, aber dafür haben wir vieles andere umgesetzt, von dem wir um diese Zeit noch gar nicht wussten, dass es auf uns zukommen wird. Wir haben uns vorgenommen, in einem bestimmten Zeitraum eine bestimmte Anzahl von Wohnungen zu bauen, und dieser Zeitraum ist noch nicht rum. Abgerechnet wird am Ende.
Und Sie wissen aus Ihrer Berichterstattung ja auch selbst, wie schwierig das manchmal ist. Nehmen Sie das Beispiel Jungerhalde, eigentlich ein Bilderbuchprojekt. Da könnten wir längst loslegen, aber selbst da gibt es Widerstände und Stimmen, die sagen: Brauchen wir nicht, wollen wir nicht. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Wir sind ja hier nicht in China, da ist einiges einfacher, aber hierzulande gibt es manchmal lange Aushandlungsprozesse. Bei den Baugenehmigungen unterliegen wir der Aufsicht des Regierungspräsidiums, Einsprüche müssen dort bearbeitet werden und das geht dann seinen Weg.
Ist das Problem also keines der Stadt Konstanz, sondern ist Deutschland zu langsam?
Die Diagnose, dass wir in Deutschland langsam sind, kann ich absolut unterschreiben. Aber gleichzeitig möchte ich vor der Klage über zu viel Bürokratie warnen. Bürokratie im negativen Sinne ist für mich, wenn da im Amt viele Ordner rumliegen und lieber morgen als heute etwas abgestempelt wird. Das aber ist nicht der Fall. Es geht um Gesetze und geltendes Recht, und jeder soll zu seinem Recht kommen und jeder hat das Recht zu widersprechen. Das kostet Zeit.
Haben wir diese Zeit? Zum Beispiel beim Klimaschutz?
Nein. Wir werden im Klimaschutz die Ziele der Gesellschaft nicht erreichen, wenn wir in Deutschland in dieser Geschwindigkeit weiterarbeiten. Es gibt mittlerweile viele Kollegen, die wie ich sagen, wir müssen bei einigen Dinge die Genehmigungsverfahren freistellen. Unter bestimmten Bedingungen muss etwa der Bau von Photovoltaik-Anlagen problemlos möglich sein.

Das durchzusetzen wäre eine Herausforderung für einen Klimabürgermeister gewesen, die Stelle ließ sich im Gemeinderat aber nicht durchsetzen. Können Sie damit leben, dass die Aufgabe jetzt beim Oberbürgermeister angesiedelt wird?
Ja, damit kann ich arbeiten. Jeder weiß, dass ich etwas anderes wollte, aber der Gemeinderat ist meiner Sicht sehr knapp nicht gefolgt. Für mich war und bleibt die Aufgabe und die Lösung der Probleme wichtig, und das mache ich nicht einfach an den Lohnkosten für eine Stelle fest. Ich bin der Meinung, dass die Durchschlagskraft eines Klimabürgermeisters wegen der damit verbundenen Autorität größer gewesen wäre.
Das ist zwar auch bei der Ansiedlung des Amts für Klimaschutz beim OB der Fall, nur bin ich sehr eingeschränkt in meinem Zeitbudget. Bei zehn Aufsichtsräten und den ganzen Gemeinderatsgremien kann ich mich nicht voll auf den Klimaschutz konzentrieren, deshalb fand ich die Idee eines Klimabürgermeisters den besseren Vorschlag. Jetzt haben wir die zweitbeste Lösung. Ich kann damit leben. Ich muss allerdings aus meinem Terminkalender die Zeit dafür irgendwie herausschnitzen.
Die Entscheidung im Gemeinderat fiel denkbar knapp aus – wie auch in anderen Fällen. Wie lebt es sich damit?
Diese 20-zu-20-Konstellation im Gemeinderat ist unglücklich. Aber das Wahlergebnis ist wie es ist. Jetzt sieht es immer wieder mal so aus, als ob meine Stimme die ausschlaggebende wäre. Es ist aber nur eine von 41 Stimmen, und ich stimme mal mit der einen, dann mit der anderen Seite ab. Ich hoffe, dass diese Konstellation nach der nächsten Kommunalwahl so nicht mehr existiert. Denn dadurch entsteht der Eindruck, als wäre die Stadt in zwei Hälften gespalten. Das ist sie aber nicht.