Anmerkung der Redaktion: Dies ist der zweite Teil des großen SÜDKURIER-Interviews mit Oberbürgermeister Uli Burchardt. Der erste Teil ist bereits hier auf SÜDKURIER Online erschienen.

Viele Debatten verlaufen so, als wollten Stadtverwaltung und Gemeinderat mit ihren Konzepten zur Rettung der Welt beitragen, aber bei der Umsetzung hapert es dann – eben so wie beim Klimabürgermeister. Was wird denn dabei am Ende herauskommen? Und wäre Konstanz nicht besser beraten, wenn es sich um originär lokale Dinge kümmern würde?

Das kann ich so nicht stehen lassen – also, dass wir beim Konzeptionieren gut sind, aber nichts umsetzen. Wir haben zum Beispiel gerade das größte klimaneutrale Schiff ganz Süddeutschlands auf den See gebracht. Und wir räumen Bauherren-Preise ab, wir sind mit dem Bauprojekt „Am Horn“ mit einem national beachteten Projekt am Start. Gleichzeitig haben wir hier eben eine der besten jungen Universitäten der Welt.

Es ist von daher durchaus richtig, auch mal über den südbadischen Tellerrand hinauszuschauen und zu fragen, was da zum Beispiel in Berlin oder Kopenhagen passiert – etwa beim Radverkehr. Dass das dann beim ein oder anderen den Reflex auslöst, wir seien größenwahnsinnig geworden, nehme ich in Kauf. Konstanz hat sich da auch einen gewissen Ruf erarbeitet, und dass wir aus Berlin elf Millionen Euro für das Projekt Smart City bekommen, ist kein Zufall.

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Die Konstanzer interessieren sich im Zweifel eher für die Folgen der geplanten Erhöhung der Grundsteuer. Passt diese Belastung der Haushalte in die Zeit?

Das ist auch so ein Thema, bei der es sehr viele unterschiedliche Realitäten gibt. Und ich finde, auch hier bedarf es der Einordnung. Meine Wahrnehmung sieht so aus: In zehn Jahren hat mir noch nie jemand geschrieben, dass er oder sie die Miete nicht bezahlen kann. Mir haben gefühlt aber 1000 Leute geschrieben, dass sie keine Wohnung finden – und das gilt vor allem für junge Familien, die eine Drei- oder Vier-Zimmer-Wohnung suchen. Natürlich gibt es immer auch ein paar Wohnungen, die zu Mondpreisen auf dem Markt sind. Aber im Großen und Ganzen sind die Vermieter mit Augenmaß unterwegs. Es ist wichtig, das in diesem Zusammenhang auch mal zu erwähnen.

Was die Frage nicht beantwortet: Da ist die Inflation, die steigenden Energiepreise – wie verträgt sich das mit einer Erhöhung der Grundsteuer?

Schauen wir mal wieder über den Tellerrand hinaus. Wir haben im Vergleich zu anderen Städten weder eine hohe Gewerbe- noch eine hohe Grundsteuer. Und wir haben sie lange nicht erhöht, weil es nicht nötig war. Und bei dem jetzigen Vorschlag geht es nicht darum, dass wir im Rathaus die Wasserhähne vergolden, sondern wir geben das Geld für Leistungen aus, die den Menschen wichtig sind.

Die Kinderbetreuung zum Beispiel. Die Quartiersarbeit. Die Musikschulen und der gesamte Kulturbereich, ebenso wie die Schulsozialarbeit – bis hin zu kostenlosen Schwimmbädern. Das ist wichtig, weil es dem Zusammenhalt dient. Und wenn man sich die Wahlergebnisse in Konstanz anschaut, dann zeigt sich, dass wir in Konstanz anders als in vielen anderen großen Städten von Baden-Württemberg sehr stark beieinander sind.

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Man könnte auch sagen, dass die Ausgaben zu hoch sind.

Das Problem lässt sich mit Sparen allein nicht lösen. Dafür ist es zu groß, und das muss die Bevölkerung wissen. Für mich ist es ein Akt der Ehrlichkeit, zu sagen, dass wir in den vergangenen zehn Jahren gut gewirtschaftet und auch noch Reserven haben. Wir können noch ein paar Jahre so weiter machen, aber wir können nicht endlos am Knochen nagen. Das läuft sonst auf die Schließung von Einrichtungen hinaus. Um das zu vermeiden, müssen wir zweierlei tun: Sparen und gleichzeitig die Einnahmen erhöhen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Nehmen Sie die Kinderbetreuung. Die ist in Konstanz vergleichsweise günstig, weil uns das wichtig ist. Aber wir müssen uns das leisten können. Ich halte den Zeitpunkt für gekommen, dass wir den Realitäten ins Auge blicken müssen. Die Kinderbetreuung ist in Konstanz viel billiger als in unserer Nachbarschaft, das können wir uns nicht mehr leisten. Und bei der Grundsteuer reden wir im Schnitt von einer Mehrbelastung von zehn Euro im Monat. Allerdings stimmt es schon, dass die Frage nach der Erhöhung zu einem ausgesprochen unglücklichen Zeitpunkt kommt.

Politik lebt von der Perspektive: OB Burchardt (Mitte) während der Diskussion mit den SÜDKURIER-Redakteuren Aurelia Scherrer und Torsten ...
Politik lebt von der Perspektive: OB Burchardt (Mitte) während der Diskussion mit den SÜDKURIER-Redakteuren Aurelia Scherrer und Torsten Lucht. | Bild: Hanser, Oliver

Die Anspruchshaltung gibt es auch beim Bahnhofsplatz. Klappt das mit Sanierung im nächsten Jahr?

Sie wissen, was auf dem Baumarkt los ist. Die Preise gehen durch die Decke, es fehlt an Handwerkern...

...das ist alles bekannt. Und wenn sich das Projekt wieder verzögert, dann können Sie im nächsten Jahr die Erklärung dazu abgeben. Wir würden von Ihnen bei einigen Fragen einfach nur mal ein klares Ja oder Nein hören.

Dann sage ich jetzt mal Ja.

Haben Sie sich eigentlich sehr geärgert über den Vergleich mit Singen, wo die Sanierung des Bahnhofplatzes von der Beratung bis zur Fertigstellung innerhalb von nicht einmal vier Jahren über die Bühne ging?

Ich habe geschmunzelt. Der Vergleich ist natürlich naheliegend, aber der Unterschied ergibt sich aus dem Detail. In Singen ging es im Prinzip um einen Neubau mit viel Platz außen herum, in Konstanz haben wir eine Verkehrsachse mit einer denkmalgeschützten Altbau-Umgebung. Das wird uns alles noch viele Jahre nerven, weil die Sanierung aus vielen einzelnen Schritten besteht. Aber ich räume gerne ein, dass ich auch gerne früher mit dem Bahnhofsplatz fertig geworden wäre.

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Andere Dinge gehen fixer – zum Beispiel die Einrichtung von Chill-Oasen auf bisherigen Parkplätzen in Stadelhofen. Das wurde und wird sicherlich auch künftig noch ausgiebig diskutiert. Das Thema, das dahinter steckt, ist die Frage nach der Bürgernähe der Stadtverwaltung und des Oberbürgermeisters. Nehmen Sie das wahr?

Ja, und ich nehme mir das zu Herzen. Corona hat da einiges platt gemacht, und ich versuche das wettzumachen. In den vergangenen Monaten bin ich überall hingegangen, wenn es irgendwie zeitlich ging. Wir machen gerade einen Terminplan für die nächste Zeit, und dazu gehört, dass ich einmal im Monat während des Markts auf dem Stephansplatz direkt ansprechbar bin. Zugleich ist es so, dass man immer an drei Stellen gleichzeitig sein sollte. Das geht aber nicht.

Ihr Hauptkonkurrent Luigi Pantisano hat im OB-Wahlkampf vor zwei Jahren nicht zuletzt wegen seiner Bürgernähe punkten können...

...was nicht so sehr verwundert, weil es in der Natur der Sache liegt. Erstens wurde der Wahlkampf in Konstanz infolge von Corona um drei Monate verlängert, zweitens muss ein Amtsinhaber nebenher auch arbeiten. Ich konnte mich ja nicht für ein halbes Jahr freistellen lassen. Wenn ich also um 16.30 Uhr in den Wahlkampf eingestiegen bin, war Luigi Pantisano schon sechs Stunden unterwegs.

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Andere Oberbürgermeister beherrschen das ganz gut – zum Beispiel Boris Palmer in Tübingen. Der knöpft sich auch schon mal in seiner Funktion als erster Polizist seiner Stadt einen seiner Ansicht nach rüpelhaften Radfahrer vor.

Naja, ich mache so etwas in dieser Richtung gelegentlich auch schon mal. Aber ich zücke nicht meinen Dienstausweis. Aber es ist tatsächlich so, dass das Amt des Bürgermeisters mit klaren Arbeitsanforderungen verbunden ist. Da geht es viel um Handwerk, was gar nichts mit Politik zu tun hat. Es ist aufschlussreich, dass das manche Menschen ganz anders wahrnehmen. Das meiste, was wir in der Verwaltung machen, geht im Gemeinderat einfach so durch, und das ist dann das Ergebnis gemachter Arbeit.

Wir haben viel über die Ansprüche an die Stadtverwaltung und den Oberbürgermeister gesprochen. Welche Erwartungen haben Sie selbst an das Amt?

Je länger ich den Job mache, umso mehr glaube ich, dass das Allerwichtigste darin besteht, die Schwächsten in der Gesellschaft im Auge zu behalten und dafür zu sorgen, dass sie nicht hinten runter fallen. Das ist leichter gesagt als getan. Aber ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das wichtig und richtig ist. Vor zehn Jahren hätte ich vielleicht gesagt, dass ich mich nicht um jeden Kleinkram kümmern kann.

Heute sehe ich das genau umgekehrt. Wenn jemand wirklich Hilfe braucht, dann muss er sich bei mir melden können. Und ich sehe dann meine Aufgabe darin, das Problem zu lösen oder es zumindest zu versuchen. Wenn ich meiner Arbeit für die nächsten Jahre eine Überschrift geben würde, dann wäre es genau diese.

Herr Burchardt, wir danken für das Gespräch.

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