Judith Borowski sitzt auf ihrem Balkon in der Sonne, hinter ihr der Münsterturm, und blickt auf die Hinterhöfe und Dachterrassen um sie herum. „Ich wusste gar nicht, wie toll es ist, in der Niederburg zu leben“, sagt sie und meint damit ihre Nachbarn, aber auch das Idyll im Zentrum des ältesten Stadtteils. „Die Niederburg ist ein Dorf in der Stadt“, sagt Judith Borowski und weiß diese Ruhe sehr zu schätzen.
Denn sie und ihr Mann haben sich dieses Idyll ganz bewusst erschaffen. Sie zogen nach 25 Jahren aus dem trubeligen Berlin zurück in die Heimat der 56-Jährigen, verliebten sich in ein altes Häuser-Ensemble in der Tulengasse und sanierten es denkmalgerecht und preiswürdig. Jetzt genießen die beiden das erholsame Leben in Konstanz.

Gekämpft und sich gegen politische Strömungen gestellt hatte Judith Borowski schließlich lange genug: Sie war ein Vierteljahrhundert lang eine von drei Geschäftsführern der Uhrenmanufaktur Nomos in Glashütte, einer Kleinstadt im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge in Sachsen. In Glashütte werden seit 1845 mechanische Uhren hergestellt, seit 1990 auch bei Nomos.
Dass das Unternehmen sich nach dem Fall der Mauer in Ostdeutschland ansiedelte und somit den traditionellen Uhrmacherstandort stärkte, war das erste Verdienst der Firma. Dass die Geschäftsführung sich zudem seit vielen Jahren gegen Rechtspopulismus stellt und für Demokratie kämpft, brachte ihr im Oktober 2024 das Bundesverdienstkreuz ein.
Dort, wo Menschen wegziehen, viele keine Perspektive mehr sehen und sich die AfD immer weiter ausbreitet, bietet Nomos seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Workshops in der Arbeitszeit an, bei denen sie Fakten von Fake News unterscheiden lernen, populistische Behauptungen hinterfragen und Argumentationshilfen an die Hand bekommen.
„Es war anstrengend, immer wieder für die Demokratie zu kämpfen“, sagt Judith Borowski heute. „Wir saßen damals in einer Art Zeitmaschine, denn die rechtsgerichtete und demokratiefeindliche Entwicklung, die wir jetzt weltweit beobachten, begann im ländlichen Raum Sachsens schon zehn Jahre früher.“ Deshalb sah sie es als ihre Pflicht an, Haltung zu zeigen und sich für Werte einzusetzen.
„Demokratiearbeit zahlt sich aus“
„Die Demokratie wurde ursprünglich in Sachsen erkämpft, als die Leute in Leipzig im Herbst 1989 auf die Straße gingen“, sagt die 56-Jährige. „Ohne den Mauerfall, ohne Demokratie und Freiheit gäbe es auch unsere Uhrenmanufaktur nicht.“
Deshalb möchte Judith Borowski auch anderen Unternehmerinnen und Unternehmern zurufen, dass sich Demokratiearbeit auszahlt – unter anderem durch die Bewerbung junger, intelligenter Menschen. Das Bundesverdienstkreuz sei ihr Lohn nach „vielen Jahren Klappe aufreißen“.

Auf die Auszeichnung selbst bildet sie sich aber nichts ein. „Ich bin vielmehr dankbar dafür, dass ich das Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten miterleben und erst als Journalistin, später als Unternehmerin, begleiten durfte und darf“, sagt Judith Borowski.
Doch nach einem Vierteljahrhundert brauchte sie einen Tapetenwechsel und wollte ihren „Kopf durchpusten lassen“. Sie und ihr Mann wollten aus Berlin wegziehen, raus aus der Großstadt, raus aufs Land. „Wir haben uns viele Orte in Brandenburg angeschaut, aber mit Reichsbürgerflaggen im Nachbargarten komme ich nicht klar“, sagt die 56-Jährige.
In Dingelsdorf aufgewachsen
Über eine Anzeige im SÜDKURIER stieß ihre Mutter auf das Haus in der Tulengasse. „Da mein Mann ursprünglich aus Bayern kommt und in Kanada aufgewachsen ist, braucht er viel Grün und immer einen Berg zum Hochsteigen“, sagt sie und lacht. „Und ich das Wasser.“ So kam es zur Rückkehr in die Heimat, in der sie in Dingelsdorf „die tollste Kindheit erlebte“.
Auch heute schätzt sie die hohe Lebensqualität mit vielen kleinen Geschäften, der Nähe zu Zürich und der Ausrichtung nach Süden. „Es wäre schön, wenn Konstanz noch mehr mit Kreuzlingen zusammenwachsen und sich stärker als Teil eines größeren Kosmos sehen würde, dann könnte dieser Ort mit Kleinstadtcharakter noch weltoffener werden“, findet Judith Borowski.
„Ich wünsche mir, dass hier ein Fenster geöffnet und noch ein bisschen mehr frischer Wind hereingelassen wird“, ergänzt sie. „Das wäre gut für die Stadt.“ Neben Philharmonie und Theater würde sie neue Veranstaltungsformate und mehr moderne Kunst begrüßen. Auch deshalb ist sie im Kuratorium der Popup-Kunsthalle, die bald im Stadlerhaus entsteht.
„Es wäre toll, wenn Kultur nicht nur als Kostenfaktor gesehen würde, denn sie kann auch magnetisch wirken – für Unternehmen, Tourismus, die Hochschulen in Konstanz“, sagt Borowski.

Deshalb hat sie für ihre Heimatstadt, in der sie wieder Wurzeln schlagen will, einen weiteren Wunsch. „Schön wäre es, wenn die Menschen hier mehr zu schätzen wüssten, wie irre privilegiert sie leben. Aus Mangel an großen Problemen regen sich viele über Kleinkram auf, etwa über zu viele Schweizer“, sagt Judith Borowski. „Dabei helfen gerade die dabei, unsere Innenstadt lebendig zu halten. Andere Städte dieser Größe sind nach 18 Uhr oft mausetot.“
Vor zehn Jahren wäre sie noch nicht zurück nach Konstanz gezogen, aber jetzt war für sie die Zeit reif. „Ich finde, es ist ein Privileg, nochmal neu anfangen zu dürfen“, sagt Borowski. Ihr persönliches Fenster hat sie geöffnet, frischen Wind hereingelassen und den Kopf durchgepustet. Sie ist gekommen, um zu bleiben. Und ab und zu wieder in die weite Welt zu reisen.