Schon als kleiner Junge war Jürgen Maus fasziniert vom kleinen, roten Haus. „Als auf dem Gelände hinter der Wollmatinger Straße noch Gewächshäuser standen, diente das Häuschen als Umkleide und Essensraum für die Gärtner“, erzählt der 66-Jährige, gebürtiger Konstanzer, der einst ganz in der Nähe wohnte.
Viele Jahre später wird für ihn ein Traum wahr: Er zieht mit seinem Kollegen Horst Werner ins rote Haus ein. Die beiden Immobilienexperten verlegen ihr Büro von der gegenüberliegenden Straßenseite in das kleine Gebäude, das gerade mal 22 Quadratmeter Fläche bietet. „Der Platz reicht uns, und wir finden das Haus schnuckelig“, sagt Jürgen Maus.

Als er die Tür aufschließt, öffnet sich für ihn ein kleines Paradies. „Ich kenne in Konstanz kein kleineres freistehendes Haus“, sagt der 66-Jährige. Mehr als zwei Räume, die durch einen offenen Durchgang miteinander verbunden sind, sind im Erdgeschoss nicht zu finden. Im Keller wird die neue Heizung eingebaut, im winzigen Speicher der Server für die Computer.
Nicht einmal eine Toilette hat das rote Haus – dafür müssen Jürgen Maus und Horst Werner später ins blaue Nachbargebäude hinübergehen, das ebenfalls ihrem Immobilienbüro gehört. „Wir hatten einige Anfragen von Leuten, die hier einen Pizza- oder Dönerladen eröffnen wollten“, erzählt Maus. Außerdem hätten sie eine Interessentin enttäuschen müssen, die ihren Traum vom Tiny-Haus an der Wollmatinger Straße verwirklichen wollte.

Doch die beiden Männer möchten das Gebäude mit seinen rund vier mal 5,5 Metern Grundfläche nicht hergeben. „Wir gehen beide bald in Rente“, sagt Jürgen Maus. „Was danach mit dem roten Haus passiert, ist unklar. Vielleicht mache ich selbst einen Hähnchengrill oder eine Fischbraterei rein“, ergänzt der 66-Jährige und lacht.
Auch das hellblaue Gebäude nebenan trägt derzeit ein Gerüst. „Dieses Gebäude wurde 1961 errichtet“, berichtet Jürgen Maus. Dort lebten Familien und Studierende, doch seit rund drei Jahren steht es leer. „Die Substanz ist zwar gut, aber hier haben wir einen riesigen Sanierungsstau.“
Wer kann ab Spätsommer 2025 dort einziehen?
So wurde das Haus entkernt und wird derzeit von Grund auf saniert: Laut Jürgen Maus bekommt es neue Böden, Fenster und Dach, sanitäre Anlagen, Heizung und Elektrik, auch Fassaden und Balkone werden aufgehübscht. „Das verschlingt enorme Kosten, wir investieren dort rund eine halbe Million Euro“, sagt der 66-Jährige. Im August 2025 soll alles fertig sein. Wer kann dort einziehen?
„Es entstehen 14 Zimmer, jeweils vier Bewohner teilen sich eine Küche und ein Bad. Im Keller wird es einen gemeinsamen Waschmaschinenraum geben“, so Maus. Über die vorhandenen Etagenbäder und -küchen hinaus weitere sanitäre Anlagen einzubauen, damit mehrere abgeschlossene Wohnungen entstehen, sei finanziell „nicht darstellbar“.

„Aber ich denke, Studierende, Azubis oder Leute aus der Gastronomie und dem Handwerk freuen sich über frisch sanierte Zimmer“, sagt Jürgen Maus. Einige von ihnen verfügen sogar über einen Balkon. Er und sein Kollege Horst Werner möchten das rote und das blaue Haus gern an einen Investor verkaufen und das rote Häuschen anschließend mieten.
„Sollte das nicht zeitnah klappen, suchen wir einen Hauptpächter, der alles weitervermietet“, sagt Jürgen Maus. Ihren ursprünglichen Plan, beide Gebäude abzureißen und das Gelände mit zehn Wohnungen neu zu bebauen, mussten sie aufgeben. „Das Grundstück gehört der Konstanzer Spitalstiftung. Wir wollten es abkaufen, aber die Spitalstiftung ging nicht darauf ein.“

Die beiden Häuser stehen auf einem Erbbaurecht-Grundstück – hier ist der Haken für Jürgen Maus und Horst Werner. Bei einem Neubau würde sich der Erbpachtvertrag verteuern, die Immobilienexperten sprechen von 33.000 Euro im Jahr bei 60 Jahren Laufzeit. Potenzielle Käufer müssten zusätzlich zur Finanzierung ihrer Wohnung mehrere hundert Euro im Monat für die Erbpacht aufbringen. „Ein Interessent nach dem anderen sprang ab“, so Maus.
Tobias Bücklein erinnert sich an musikalische Abende
Einen Vorteil hat das Ganze: Bei einem Neubau wäre auch das rote Haus unwiederbringlich verschwunden. Das hätte auch jemand bedauert, der den 22 Quadratmetern „die bislang erfolgreichste Zeit als Künstler in Konstanz“ verdankt: Tobias Bücklein. Der Musiker, Moderator und Coach nutzte das Gebäude zwischen 2007 und 2022 – bis die Vermieter den Verkauf der Häuser ankündigten.
Das W52, wie er das Kleinod in Anlehnung an die Hausnummer an der Wollmatinger Straße nannte, ist ihm aber unvergessen. „Ich habe dort mein damaliges Programm ‚Testosteron‘ entwickelt und 27-mal aufgeführt“, erzählt Bücklein dem SÜDKURIER. Auch sein Programm ‚Halbweisheiten‘ sei dort entstanden.

„Ich hatte für die Werkstattabende Rituale, zum Beispiel bekam einer der Gäste die Fernbedienung für das Licht und musste es selbstständig bedienen, je nachdem, ob ich am Klavier saß, daneben stand oder andere Angaben machte“, erinnert sich Bücklein. „Das Prinzip war, dass die Gäste keinen Eintritt bezahlen mussten, dafür durfte ich machen, was ich will.“
Aus Platzmangel verfolgten seine Kinder die Abende häufiger unter dem Flügel. Teile des Programms überließ Tobias Bücklein dem Zufall, indem er Stichworte auf Zettel schrieb, die jemand aus dem Publikum zog. Darauf fanden sich Rubriken wie „Die Klavierimpro“, „Platztausch“ oder „Der ungeübte Text“.
In späteren Jahren dienten die 22 Quadratmeter als Stellfläche für Bückleins Flügel. „Außerdem schloss ich mich dort an Silvester ein, um das neue Jahr mit Musik zu begrüßen“, berichtet er. Gelegentlich habe der Raum seinem Sohn als Kulisse für YouTube-Videos gedient.
Und mit seinem Bruder Andreas Bücklein sowie seinem Kabarettistenfreund Martin Sommerhoff habe er im roten Haus mehrere CDs produziert. 2016 zog noch die Jazz- und Rockschule Konstanz als Untermieterin ein, deren Leitung Bücklein damals übernahm.

Dass das rote Haus nun doch nicht plattgemacht wird, freut inzwischen auch Jürgen Maus. Er zeigt stolz einen Grundriss, deutet auf eine Ecke des Plans und sagt: „Hier kommt mein Schreibtisch hin.“ Bis er dort eines Tages vielleicht Hähnchen oder Fisch verkauft.