Radolfzells Fahrschulen sind am Anschlag. Sie können die Nachfrage von Schülern kaum noch bedienen. Die Folge sind Wartezeiten von bis zu einem Jahr – oder sogar Anmeldestopps. Manche weichen bereits nach Stockach aus. Doch das Problem betrifft nicht nur Radolfzell, sondern die gesamte Branche. Und wegen einer Reform könnte es noch schlimmer werden, befürchten hiesiger Fahrlehrer. Sie berichten über eine Branche, die an ihrer Grenze angelangt ist. Mit drastischen Folgen.

„Die Situation ist eine Katastrophe“, sagt Susanne Gallus von der gleichnamigen Fahrschule in der Radolfzeller Kernstadt. Normalerweise hätten sie an ihrer Schule 300 Fahrschüler aufgeteilt auf vier oder fünf Fahrlehrer pro Jahr gehabt. Ohne Anmeldestopp wären es aktuell 500, sagt sie. So viele seien es zuletzt bei der Einführung des Führerscheins mit 17 Jahren gewesen, als zwei Jahrgänge dran waren. „Für ein Jahr geht das, aber nicht dauerhaft“, sagt Mario Gallus, der mit ihr die Schule leitet.

Die Wartezeiten für Schüler lägen inzwischen bei fünf Monaten, früher bei sechs bis sieben Wochen. Die Hälfte des Jahres 2024 nahmen die Beiden daher keine neuen Schüler auf. „Als wir diesen Januar wieder angefangen haben, hatten wir im ersten Monat direkt 90 Anmeldungen. Ein Vollzeitfahrlehrer schafft 80 pro Jahr. Wir haben am 1. Februar daher die Reißleine gezogen: Keine Neuaufnahmen in diesem Jahr“, so Susanne Gallus.

Daniele Angi von der Fahrschule VIP. Er konnte die Schülerwelle nach dem Corona-Lockdown bis heute nicht abbauen.
Daniele Angi von der Fahrschule VIP. Er konnte die Schülerwelle nach dem Corona-Lockdown bis heute nicht abbauen. | Bild: Marinovic, Laura

Auch ihr Kollege Daniele Angi von der Fahrschule VIP spricht von einer „Katastrophe“. Seit Januar ist er alleine, habe aber Anmeldezahlen für die zwei Fahrlehrer nötig machen würden – und daher ebenfalls einen Aufnahmestopp eingelegt. Während Schüler in guten Zeiten vier oder fünf Monate von der Anmeldung bis zur Praxisprüfung brauchten, seien es bei ihm jetzt anderthalb Jahre. Er könne 80 bis 100 Schüler pro Jahr abarbeiten, habe aber aktuell 375.

Warum sind die Fahrschulen überlastet?

Laut Angi wirken noch immer die Folgen der Corona-Zeit nach. Denn aufgrund des Lockdowns mussten die Fahrschulen fünf Monate lang schließen. „Danach waren die Leute am Start, die zwischenzeitlich aussetzen mussten, dazu die Jugendlichen, die eigentlich in den fünf Monaten beginnen wollten, und natürlich die, die regulär anfangen wollten“, so Angi. Dieser Welle sei er bis heute nicht Herr geworden.

Bei Mario und Susanne Gallus ist die Corona-Welle hingegen abgebaut. Sie sprechen von anderen, grundsätzlichen Ursachen. „Wir haben immer weniger Fahrschulen, dafür mehr Menschen und noch mehr Bürokratie“, sagt sie. Die Entwicklung habe sich bereits seit Jahren abgezeichnet. „2014 hatten wir in Radolfzell noch sechs Fahrschulen, jetzt nur noch vier. In der gleichen Zeit ist die Einwohnerzahl deutlich gestiegen. Das ist das Grundproblem“, so Suanne Gallus.

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Zudem würden viele Jugendliche aus dem Umland ihren Führerschein in Radolfzell machen, da sie hier auch zur Schule gehen. Gleichzeitig gebe es immer mehr Auflagen, die weitere Arbeitszeit kosten und den Alltag unflexibler machen würden. Hinzu komme, dass die Anforderungen an die Fahrschüler gestiegen seien. Zum einen wurden 2021 die Prüfzeiten um zehn Minuten erhöht. „Das klingt erstmal wenig, bedeutet aber eine Prüfung weniger pro Prüftag und damit 70 weniger pro Jahr“, macht Susanne Gallus deutlich.

Problem für Feuerwehr und Landwirte?

Zum anderen bräuchten Schüler inzwischen länger, da es mehr Fahrassistenzsysteme gibt, die Theorie komplexer wurde, einige nicht richtig deutsch könnten und fast alle weniger Vorkenntnissen haben, so Susanne Gallus. Daniele Angi erklärt: „Die Kinder sitzen heute eher mit Handy im Auto und lenken sich damit ab, anstatt den Eltern beim Fahren über die Schulter zu schauen. Sie sind weniger eingebunden und kommen daher mit weniger Vorwissen zu uns.“

Die Folgen sind für alle Beteiligten drastisch: Schüler müssen entweder monatelang warten oder auf andere Städte ausweichen und weite Wege in Kauf nehmen. Besonders nach Stockach würden aktuell einige ausweichen, so Angi. Und für den Lastwagen- und Traktorführerschein, den laut Mario Gallus in Singen keiner mehr anbietet, kämen sogar Jugendliche aus dem Hegau zu ihm. „Wenn wir sagen würden, wir schaffen das auch nicht mehr, was ist dann?“, fragt Mario Gallus. Denn besonders Landwirte und die Feuerwehr seien auf den Führerschein angewiesen.

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Fahrschulen reagieren mit Wartezeiten

Damit die Schüler trotzdem bestmöglich das Fahren lernen können, planen die beiden Radolfzeller Fahrschulen bewusst voraus. Daniele Angi lässt die Schüler direkt nach der Anmeldung erstmal etwa elf Monate warten, ehe die rund zweimonatige Theorie stattfindet. Nach einer erneuten Wartezeit von sechs bis zehn Wochen können die Schüler dann die Praxis starten. Denn nach der bestandenen Theorieprüfung ist nur ein Jahr Zeit für die Praxis, bis die Prüfung verfällt.

Das Ehepaar Gallus legt die Wartezeit zwischen Theorie- und Praxisteil, damit die Fahrten möglichst kompakt stattfinden können. „Man muss zweimal pro Woche fahren, damit man es richtig lernt“, erklärt Susanne Gallus. Zudem hätten sie einen Simulator angeschafft, an dem Schüler üben und so besser vorbereitet ins Auto steigen können. „Aber diese Notlösungen ziehen irgendwann nicht mehr“, warnt sie.

Macht eine Reform alles noch schlimmer?

Doch was müsste sich ändern? Für Susanne Gallus ist klar, es bräuchte weniger Bürokratie und mehr Fahrlehrer. Doch beides ist nicht in Sicht. Daniele Angi berichtet, er finde kaum gute Fahrlehrer. Einerseits sei der Beruf gerade im Umgang mit Menschen anspruchsvoll. Andererseits seien die Arbeitszeiten aufgrund der abendlichen Theoriestunden und der Nachtfahrten unattraktiv. Mario Gallus fürchtet, es könnte sogar schlimmer werden. „Viele Fahrlehrer sind über 50 Jahre alt. Wenn die aufhören, stehen keine Nachfolger parat“, warnt er.

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Zudem könnte eine vermeintliche Verbesserung die Lage noch verschlimmern, wie Susanne Gallus glaubt. So plane die Politik für 2026 eine Reform. Laut jetzigem Stand sei vorgesehen, die Theoriestunden in Modulen zu bündeln. Erst wer Modul eins geschafft hat, dürfte dann Stunden aus dem zweiten Modul besuchen – und so weiter. „Jeder Mensch müsste dann nach Schema F funktionieren. Aber was ist mit Leuten, die Schichtdienst, Blockunterricht oder Sport haben? Wer eine Stunde verpasst, hängt erstmal fest. Dadurch staut es sich noch mehr“, fürchtet Gallus.

Am Ende mancher Module stehe zudem bereits eine Fahrstunde verpflichtend an. Die Schüler hätten dann alle Grundfahrstunden vor der Theorieprüfung, alle Sonderfahrten danach. Susanne Gallus fürchtet, dass sich die Praxis so extrem in die Länge zieht. „Das ist nicht gut. Diese mögliche Reform bereitet mir wirklich Bauchschmerzen“, sagt sie.