Sie ist die Frau ohne Nachname. In Konstanz und Umgebung ist sie nur als Tamara bekannt, als leidenschaftliche Wirtin mit sehr flinken Beinen und einem offenen Ohr für ihre Gäste. Dass die 60-Jährige nun nach über 40 Jahren in der Gastronomie und 15 Jahren im Guten Hirten ihre Weinstube verlässt, betrübt nicht nur ihre Gäste. Auch die Wirtin selbst ist ziemlich wehmütig.

Wir treffen Tamara Unterwerner in ihrer Weinstube zum Gespräch. Sitzen möchte sie nicht, sie steht lieber hinter ihrer Theke, obwohl das Lokal leer ist – ein Sinnbild für ihren Erfolg: Für Tamara steht immer der Gast im Vordergrund, sie flitzt und rennt, um jeden zufriedenzustellen. „An den Sommerabenden, an denen wir auch vor der Tür bedienen, laufe ich mindestens 20 Kilometer“, sagt Tamara.

Diesen Anblick gibt es nur noch wenige Tage: Tamara Unterwerner hinter der Theke im Guten Hirten.
Diesen Anblick gibt es nur noch wenige Tage: Tamara Unterwerner hinter der Theke im Guten Hirten. | Bild: Timm Lechler

Zum Jahresende hört sie auf mit der Flitzerei: Sie kündigte den Pachtvertrag für die Weinstube, führt aber das nebenstehende Hotel noch vier Jahre lang weiter. Über die Gründe möchte sie nicht im Detail sprechen, doch klar ist, dass sie sich mit ihren Vermietern nicht über Sanierungen einigen konnte, die aus ihrer Sicht nötig wären. „Jetzt schalte ich halt von 180 auf 100 runter“, sagt Tamara. Dabei liebt die Wirtin es, ihren Gästen ein zweites Wohnzimmer zu bieten.

„Eigentlich haben wir im Hauptraum rund 30 Sitzplätze, aber meistens sind doppelt so viele Leute da“, sagt die 60-Jährige. „Wenn Not am Mann ist, stellen wir noch Tische in den Gang. Bei uns wird niemand abgewiesen.“ Hier werden Menschen an einen Tisch gesetzt, die sich vorher nicht kannten. „Ich finde es toll, dass gerade die jungen Leute so gerne hier sind, in dem alten Gemäuer und ohne Musikbeschallung.“

Vorne das Hotel am Fischmarkt, hinten der Gute Hirte: Hier ist Tamara Unterwerner bislang oft zu finden.
Vorne das Hotel am Fischmarkt, hinten der Gute Hirte: Hier ist Tamara Unterwerner bislang oft zu finden. | Bild: Kirsten Astor

„Schweizer sind natürlich willkommen!“

Alter, Herkunft, Aussehen: Das alles soll im Guten Hirten keine Rolle spielen. „Ohne Vorurteile macht das Leben doch doppelt so viel Spaß!“, findet Tamara. Das bezieht sie ganz bewusst auch auf ihre Schweizer Kunden. „Wenn jemand sich beschwert, dass hier zu viele Schweizer drinsitzen, krieg ich zu viel“, sagt die Wirtin und ergänzt: „Wir sollen alle Migranten willkommen heißen, aber zu den Schweizern eklig sein? Wie viele Deutsche leben denn im Thurgau und bringen ihre Kinder in Konstanz zur Schule? Klar ist die Stadt voll, aber eine leere Stadt wäre doch so tragisch.“

Ihr Handy klingelt, zum wiederholten Mal. Die 60-Jährige kennt sehr viele Leute. Kein Wunder: „Ich bin in Stockach geboren, habe in Allensbach, Radolfzell und auf der Reichenau gearbeitet und teilweise auch gelebt“, sagt sie. „Im Guten Hirten habe ich Gäste, die ich schon 1981 in Allensbach bedient habe. Wenn ich jetzt sterben würde, hätte ich sehr viele Beerdigungsgäste.“

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Dabei war es eher Zufall, dass Tamara zur Wirtin wurde. Eigentlich ist sie gelernte Friseurin und arbeitete in Allensbach in diesem Beruf, als sie gefragt wurde, ob sie nebenbei bedienen könne. „Dabei fand ich meine Berufung“, sagt Tamara und ergänzt lachend: „Wer nichts wird, wird Wirt! Das ist total mein Motto.“ Dass sie in wenigen Tagen aufhört, fühle sich komisch an. „Es ist ein Wechselbad der Gefühle“, so Tamara. „Schön, dass Ruhe einkehrt, denn der Dauerstress ist schon heftig. Aber es ist auch schmerzlich für mich.“

Wenn der letzte Wurstsalat gegessen und die letzte Weinschorle ausgetrunken ist, zieht Tamara sich erstmal zurück und liest Post. „Ich habe alle Geburtstags- und Weihnachtskarten meiner Gäste aus 40 Jahren aufgehoben und werde endlich Zeit haben, sie in Ruhe zu lesen“, erzählt sie. Und dann? „Meine Gäste haben mir zum 60. Geburtstag Geld für ein E-Bike geschenkt, das werde ich mir kaufen und damit nach Barcelona fahren“, verrät sie. Außerdem träumt sie davon, die Schweiz zu durchwandern.

„Wenn ich jetzt sterben würde, hätte ich sehr viele Beerdigungsgäste“, sagt Tamara Unterwerner.
„Wenn ich jetzt sterben würde, hätte ich sehr viele Beerdigungsgäste“, sagt Tamara Unterwerner. | Bild: Kirsten Astor

Auch gastronomisch will sie nicht ganz aufhören. „Ich habe noch nichts Konkretes im Blick. Vielleicht übernehme ich was Kleineres oder arbeite ohne Sechs-Tage-Woche“, sagt sie. Die Wirtin glaubt daran, dass sich was Passendes finden wird: „Mein Leben ist von Glück geprägt und ein Schutzengel hat mir immer im richtigen Moment den richtigen Weg gezeigt. Darauf vertraue ich auch jetzt.“

Ihr Nachfolger tritt in große Fußstapfen

Im Guten Hirten geht der Betrieb im kommenden Jahr mit einem neuen Pächter weiter. Hubertus Reiber, seit über 35 Jahren Betreiber der Villa Barleben in der Seestraße, und sein Sohn Max übernehmen das Lokal. „Tamaras Schuhe sind groß, sie ist die beste Wirtin, die die Stadt je hatte“, sagt Reiber dem SÜDKURIER. Doch er werde sich ebenfalls viel Mühe geben: „Ich kann zwar nicht so schnell laufen wie Tamara, aber ich bin auch ein ganz netter Kerl.“

Hubertus Reiber, Inhaber der Villa Barleben, übernimmt den Guten Hirten ab Januar 2023.
Hubertus Reiber, Inhaber der Villa Barleben, übernimmt den Guten Hirten ab Januar 2023. | Bild: Hubertus Max Reiber

Konzeptionell soll in beiden Betrieben alles bleiben, wie es ist, so Reiber. „Insofern hoffen wir, dass die jetzigen Freunde der Weinstube Zum Guten Hirten sich weiterhin wohlfühlen, auch wenn sie Tamara Unterwerner mit Sicherheit vermissen werden.“ Je nach Renovierungsaufwand möchte er spätestens zur Fasnacht 2023 die Wiedereröffnung feiern.