Es passiert fast jeden Tag, und das allein in Konstanz und Umgebung. Zum Opfer kann so gut wie jede und jeder werden. Und wer betrogen wurde, hast fast keine Chance, das Ersparte zurückzubekommen. Erneut gehen Trickbetrüger mit immer raffinierteren Methoden vor allem – aber nicht nur – auf ältere Menschen zu und erbeuten hohe Geldbeträge oder Wertsachen.
Stets wird der Kontakt via Telefon oder den Handy-Nachrichtendienst WhatsApp angebahnt. Die Ermittler sind alarmiert und rufen zu größter Vorsicht auf. Nur im Raum Konstanz und nur dieses Jahr liegt der Schaden schon bei über einer Million Euro, hinzu kommt eine Dunkelziffer.
Erst am Mittwoch gegen 13.15 Uhr war es wieder soweit. In der Byk-Gulden-Straße im Konstanzer Industriegebiet steht in der Nähe des Finanzamts ein Mann. Etwa 25 Jahre alt, 1,70 Meter groß, heller Teint, blonde Haare, Hose mit Tarnmuster, spricht gebrochen Deutsch. Eine Frau übergibt ihm Geld und Schmuck. Der Mann geht weg in Richtung Innenstadt. Die Bande, zu der er gehört, hat eine hohe Beute gemacht, die Polizei spricht von einem mittleren fünfstelligen Betrag.
Die Frau hat viel verloren. Zu spät merkte sie, dass sie mit einem perfiden Trick betrogen wurde. Es ist kein Fall, wie er sich zugetragen haben könnte oder wie es typischerweise läuft. Es ist ein echter Fall mit einem echten Opfer, diese Woche, in Konstanz, und das nicht der erste in dieser Woche.
Keiler und Abholer gehören zur kriminellen Bande
Für Männer wie denjenigen, dem die Dame ihre Habseligkeiten übergab, hat die Polizei längst einen eigenen Begriff. Er ist ein „Abholer“, der Kurier im schmutzigen Geschäft. Zuvor war der „Keiler“ aktiv gewesen, das Wort kommt aus der Sprache der Gauner oder auch Studentenverbindungen. Dort bedeutet keilen werben oder anwerben.
Bei den Trickbetrügereien ist der Keiler, der sich das Vertrauen der späteren Opfer erwirbt, oder besser: erschleicht. Mit einer Lügengeschichte und einer extrem gut geschulten Rhetorik. In einem professionell geführten, strukturierten System hat jeder seine Rolle.

In dem Fall mit der Geldübergabe beim Finanzamt war der Keiler eine Frau. Sie ruft das spätere Opfer an, gibt sich als die eigene Tochter aus und erzählt von einem tödlichen Verkehrsunfall und drohender Untersuchungshaft. Nur wenn sie sofort eine hohe Kaution stelle, bleibe sie auf freiem Fuß, und ein Kurier sei auch schon unterwegs, um das Geld abzuholen.
Noch erschütternder ist ein wenige Tage alter Fall, in dem eine 87 Jahre alte Frau aus Konstanz dazu gebracht wurde, sich für die Übergabe eines fünfstelligen Betrags mit dem Taxi bis nach Freiburg fahren zu lassen.
Wer nun mit den Augen rollt und denkt: „Wer glaubt auch so was?“, für den hat Uwe Vincon, Sprecher der Konstanzer Polizeipräsidiums, eine ernüchternde Nachricht. Viele, die mit einem Trick-Anruf betrogen werden, kennen diese Masche. Auch der SÜDKURIER berichtet regelmäßig darüber. Die Opfer sind in der Regel auch nicht senil oder naiv, heißt es aus Ermittlerkreisen, sondern die Täter unfassbar geschickt. Und es sind auch nicht alle alt, wie der Fall eines 22-Jährigen aus dem Kreis Konstanz zeigt.
Ausgenutzt wird oft die Sorge um Kinder oder Enkel
„Da werden Menschen regelrecht manipuliert“, sagt Uwe Vincon – und das oft, indem sie an einem ihrer empfindlichsten Punkte erreicht werden, der Sorge um die eigenen Kinder, Enkel oder andere Angehörigen. Ob sich die Anrufer nun als Polizeibeamte oder als Beschäftigte der Staatsanwaltschaft, bisweilen auch als Bankmitarbeiter, als Ärzte oder Familienangehörige ausgeben, stets missbrauchen sie besondere Vertrauensverhältnisse. Wozu das führt, beschreibt Polizei-Sprecher Vincon so: „Vielen Opfern war die Masche bekannt. Trotzdem sind sie hereingefallen, weil sie die psychische Einwirkungsmöglichkeit der Täter unterschätzt haben.“
Zum finanziellen Verlust kommt daher für viele Opfer die Scham, auf eine bekannte Betrugsmasche hereingefallen zu sein. Die meist älteren Leute sind „gezeichnet“, berichten Ermittler. Trotzdem ist es wichtig, dass Straftaten anzeigen. Nur so kann die Polizei feststellen, dass es sich wie aktuell im Raum Konstanz um eine Welle handelt. Und auch wenn die Chance auf Aufklärung gering ist, ohne Anzeige ist sie null.
Die Polizei hat durchaus Möglichkeiten zu ermitteln
Denn ganz machtlos ist die Polizei nicht. So richtig in die Karten schauen lassen sich die Ermittler nicht. Aber sie haben Möglichkeiten, Telefonnummern zurückzuverfolgen. Und manchmal gelingt es der Kripo sogar, so wie erst vor wenigen Wochen in Überlingen, eine Übergabe zu fingieren und zumindest einen Abholer und in diesem Fall einen mutmaßlichen Komplizen zu schnappen.
Hobby-Kommissar sollten Menschen aber nicht spielen, die einen solchen Schock-Anruf erhalten. Uwe Vincon rät: Kein Gespräch anfangen, sofort auflegen und dann umgehend die Polizei anrufen – und zwar keinesfalls mit der Rückruf-Taste auf dem Telefon, sondern durch aktives Wählen der 110 oder der Nummer (07531) 995-0, die direkt ins Polizeirevier Konstanz führt.
Denn oft rufen die Keiler mehrfach an, und beim zweiten Anruf kann die Polizei vielleicht schon überwachen. Wenn dann alles gut läuft, klicken schon auch mal die Handschellen – doch die Hintermänner bleiben in der Regel im Dunkeln. Die Banden operieren oft vom Ausland aus, immer wieder werden im Zusammenhang mit Schockanrufen Callcenter in der Türkei als Drehscheibe ermittelt.
Das Beste, was die Polizei tun kann, ist laut Uwe Vincon: Aufklären, warnen, beraten. Dazu tragen auch Schulungen von Bank-Mitarbeitern bei, die im jüngsten Konstanzer Fall den Betrug sogar noch zu verhindern suchten. Dazu gehört die dringende Bitte an Betroffene, misstrauisch zu sein und vor allem die Echtheit von Familienangehörigen zu prüfen. Und dazu gehört auch – dieser SÜDKURIER-Artikel.