Das Rock am See-Festival ist tot – es lebe der Rock am See! Wie groß der Hunger nach Live-Musik nach zwei Jahren Corona-Krise mit all den damit verbundenen Lockdowns ist, zeigt der Umstand, dass das diesjährige Gastspiel von Campino & Co. schon Wochen vor dem Konzerttermin ausverkauft war.
Rund 25.000 Fans waren schließlich vor Ort. Und für die Deutschpunker aus Düsseldorf war es fraglos ein Heimspiel: Zum siebten Mal in 33 Jahren gastierten sie hier, sechsmal davon als Headliner des 2016 zum letzten Mal über die Bühne gegangenen Rock am See-Festivals.
Auch wenn es das nun (leider) nicht mehr gibt, fühlte es sich an diesem Abend dennoch ganz so an wie damals, trotz der Beschränkung auf einen Haupt-Act und zwei Gruppen im Vorprogramm – und wenn man den Programm-Machern von Kokon Entertainment, dem Veranstalter, glauben darf, wird wohl intensiv über eine Festival-Neuauflage, in welcher Form auch immer, nachgedacht.
Campino bringt das Publikum zum Kochen
Es waren also nur drei Bands, die an diesem Tag auftraten: die Leoniden aus Kiel, Royal Republic aus Schweden und die Toten Hosen. Und die Begeisterung, die Letzterer von der ersten Minute an entgegenschlug, zeigte schon mal gleich eines: Zwischen den fünf Düsseldorfern und dem Konstanzer Publikum besteht tatsächlich eine ungewöhnlich innige Verbindung.
Immer wieder kam auch Campino bei seinen Statements zwischen den Songs darauf zurück, und in der Tat hatte man den Eindruck, dass das nicht nur einfach so dahingesagt war. Die Rockfans in der Region lieben die Hosen und diese wiederum ihre Fans – es gibt nicht viele Bands, die bei ihren Konzerten so direkt mit ihrem Publikum kommunizieren, und Campino, zweifellos ein begnadeter Animateur, schaffte es mühelos immer wieder, Tausende zum Mitsingen zu bewegen.
Von einem ersten Auftritt in einem Lokal in Konstanz im Jahre 1981 erzählte er, damals noch mit der Hosen-Vorgängerband ZK, und tatsächlich meldete sich in den ersten Reihen im Stadion ein Fan der ersten Stunde, der seinerzeit mit dabei war. Geboten wurde natürlich der im Vorfeld angekündigte Hitreigen aus vier Jahrzehnten Hosen-History, und Klassiker auf Klassiker wechselte sich ab: „Paradies“, „Liebeslied“, „Niemals einer Meinung“ und und und.
Besonders erwähnenswert: eine außerordentlich knackige Version von „Hier kommt Alex“, demjenigen Song, der in den späten 1980ern den Ruhm der Band begründet hatte, und „Freunde“, schon im Zugabenteil, ein Lied, das textlich die Haltung von Campino und der Band zu Gott und der Welt und dem Leben an sich ziemlich gut repräsentiert.
Erst ein Cover, dann ein kleiner Seitenhieb
Natürlich erklang auch „Tage wie diese“, ein Stück, das in die politische Geschichte der Republik einging: Als nämlich nach der Bundestagswahl 2013 der damalige Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Volker Kauder, diesen Song – in einer ästhetisch ziemlich fragwürdigen Version – trunken vor Glück über den Wahlerfolg seiner Partei in die Mikrophone der Hauptstadtjournalisten schmetterte.
Beim Song „The Passenger“, einer Referenz an Alt-Punker Iggy Pop, kam Sammy Amara, Frontmann der gleichfalls aus Düsseldorf stammenden Broilers mit auf die Bühne, mit einer Coverversion von „Schrei nach Liebe“ machten die Hosen quasi Werbung für das Konstanzer Konzert der Ärzte am kommenden Wochenende – auf ihre Weise natürlich. Campino: „Wir helfen ja immer kleinen Bands bekannt zu werden, wenn wir glauben, dass sie es verdient haben“...
Und nun die Frage aller Fragen: Ist das immer noch Punk, was die Toten Hosen da machen? Oder starb der Punk in Chemnitz, wie es im Spätsommer 2018 nach dem dortigen Solidaritätskonzert anlässlich ausländerfeindlicher Demonstrationen WELT-Chefredakteur Ulf Poschardt provokant formulierte? Als „Regierungspunk“ ist damals die Musik von Campino und seiner Truppe höhnisch bezeichnet worden – hat die Band wirklich ihren Frieden mit dem Establishment gemacht?
Relativ wenig Politisches flocht Campino an diesem Abend im Bodenseestadion in seine Statements zwischen den Songs ein, aber dass er und seine Band im Deutschland des Jahres 2022 noch jede Mange gesellschaftliche Missstände ausmachen, schimmert immer wieder hervor...
Natürlich sind die Toten Hosen (auch, aber eben nicht nur) eine außerordentlich effiziente Partyband – Tausende Konstanzer Fans tanzten und sangen mit, als sie ihre unverwüstlichen krachledernen Klassiker anstimmten, „Zehn kleine Jägermeister“ etwa, oder „Eisgekühlter Bommerlunder“. Aber wo steht geschrieben, dass Punk und Party sich ausschließen?
Als vor Jahren einmal ein Interviewer Campino vorhielt, er schreibe ja vor allem Songs, die sich zum Mitgrölen eignen würden, entgegnete dieser mit entwaffnender Offenheit, er sei immer auf der Suche nach Melodien, die sich Mitgrölen eignen würden... Mitgegrölt wurde ziemlich viel an diesem Abend, und auch dies war wohl ein Indiz dafür, wie entsetzlich für viele Rock-Fans die vielen Lockdown-Monate gewesen sein müssen.
Alle Generationen kommen ins Bodenseestadion
Im Bodenseestadion konnten sowohl Sixty-Somethings als auch 14- oder 15-Jährige dabei beobachtet werden, wie sie völlig enthemmt zur Musik der fünf Düsseldorfer abhotteten – drei Fan-Generationen treffen sich ja mittlerweile bei Hosen-Konzerten...
„Es muss laut sein und knallen“, forderte Campino einmal von den Auftritten seiner Band – nun: Es war laut (sehr laut sogar), und es knallte auch ganz ordentlich. Ein weiterer überaus gelungener Abend für das Traumpaar Tote Hosen/Konstanz – auf ein nächstes Mal! So enthusiastisch, wie die Band an diesem Abend gefeiert wurde, wird dies wohl nicht allzu lange auf sich warten lassen.