Auch Stadtarchivar Jürgen Klöckler besucht – noch während es Ende Juli brennt – den Einsatzort in der Zollernstraße 10. „Solch ein verheerender Brand mitten in der Altstadt“, stellt er tonlos fest. „Der letzte Großbrand in der Altstadt war 2010; er ist allen noch frisch in Erinnerung“, zieht Klöckler eine offenkundige Parallele, um dann aber das Positive zu benennen: „Wie gut man sich auf die Feuerwehr verlassen kann!“ Dann blickt er in die Vergangenheit und meint: „Früher wäre ein ganzer Straßenzug abgebrannt.“

Dass es der Feuerwehr gelungen ist, dass der Brand vom Stadler-Haus nicht auf andere Gebäude übergegriffen hat, dafür zollt der Stadtarchivar den Einsatzkräften allergrößten Respekt. Doch nicht nur ihnen, sondern auch den Baumeistern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. „Damals haben sie schon gewusst, dass Brandwände sinnvoll sind.“ Auch im Fall des Stadler-Hauses hat die Brandwand, die das Übergreifen eines Feuers auf das Nachbargebäude verhindern soll, ihre Bestimmung vollumfänglich erfüllt.

Druckerei- und Verlagshaus mitten in der Stadt
Doch wenn er an das Schadensereignis denkt, seufzt Jürgen Klöckler: „Es hat das ehrwürdige, ehemalige Verlagsgebäude getroffen. Immerhin ist die Außenwand erhalten geblieben. Ich hoffe, dass das Gebäude rekonstruiert wird.“
Schließlich handelt es sich um ein stadtbildprägendes Haus in einem noch intakten Ensemble. „Im Kern ist es sicherlich spätmittelalterlich“, schätzt Klöckler, der im Stadtarchiv über das Gebäude, das dereinst Haus zum Schaub hieß, recherchiert hat.

Verbrieft ist: Jakob Stadler hat das Haus Nummer 826 in der Fischmarktgasse im Jahr 1841 gekauft, so Klöckler. Stadler hatte Buchdrucker gelernt, heiratete in die Familie Bannhard ein und wurde Geschäftsführer der Druckerei von Bannhards. „Ab 1844 hat er dann einen Verlag aufgezogen“, berichtet Jürgen Klöckler.

Ein erfolgreiches Unternehmen
„Von 1845 bis 2002 hat der Stadler-Verlag das Stadtadressbuch herausgegeben. Es ist eine wichtige stadtgeschichtliche Quelle, denn bei jedem Haus ist der Eigentümer angegeben sowie alle Bewohner mit Berufsbezeichnung“, schildert Klöckler und gibt ein weiteres Beispiel für den florierenden Betrieb: „Im Jahr 1899 erschien im Stadler-Verlag das erste Telefonbuch.“ Es handelte sich also um einen wichtigen Betrieb in Konstanz, mit Stammsitz in der Zollernstraße 10.
Der Verlag wuchs und wuchs im Laufe der Jahre und brauchte mehr Platz, berichtet Jürgen Klöckler. Jakobs Enkel Friedrich Junior habe das Vorderhaus zumindest zum Teil abgerissen und von 1903 bis 1905 ein zeittypisches und repräsentatives Gebäude errichten lassen und das Hinterhaus umgebaut, so Klöckler, der anfügt: „In der Altstadt ist es ein sehr stadtbildprägendes Haus und eines der ersten Steingebäude.“

Die Überraschung im Archiv
Noch während er in alten Büchern und Aufzeichnungen blättert, stolpert Jürgen Klöckler über einen beiläufigen Nebensatz. Jetzt wird Stadtgeschichte richtig spannend. Die Rede ist dort nämlich von einem Brand in der Zollernstraße 10. Sofort stellt sich eine wichtige Frage: War doch nicht der gestiegene Platzbedarf des Verlags der Grund für den Neubau, sondern womöglich ein Brand?
Jürgen Klöckler taucht erneut in sein Archiv ein, parallel forscht Marianne Riedle vom SÜDKURIER-Archiv nach. Fast zeitgleich finden sie heraus: Am 15. August 1905 hat es tatsächlich gebrannt, worüber auch die Zeitungen, darunter Konstanzer Zeitung und Konstanzer Nachrichten, berichtet haben.

Der Brand von 1905
„Laut Bauakte Zollernstraße 10 (StadtA Konstanz S XX Nr. 3652) hat es in der Tat am 15. August 1905 gebrannt“, schreibt Jürgen Klöckler per Mail. „Davon war das neuerrichtete Vordergebäude des Verlags Friedrich Stadler freilich nicht betroffen. Das Hinterhaus war abgebrannt. Noch im September 1905 reichte Friedrich Stadler Neubaupläne für das Hinterhaus ein, worin sich auch zukünftig die Druckerei befinden sollte. Damit wäre die Frage geklärt, was es mit dem Brand von 1905 auf sich hatte.“
Jürgen Klöckler zitiert aus einem Artikel aus dem „Hegauer Erzähler“ (Engen) vom 16. August 1905: „Konstanz 15. Aug. Heute Nacht ertönte Feuerlärm. Aus bis jetzt unaufgeklärter Ursache war im Hinterhaus des Stadlerschen Neubaus in der Zollernstraße Feuer ausgebrochen, das seinen Ausgang von der im obersten Stock gelegenen Buchbinderei nahm, sich sodann über den ganzen obersten Stock ausbreitete und sich gleichzeitig durch den Fahrstuhl nach dem nächstunteren Stocke, wo sich ein weiterer Buchbindersaal und die Setzerei befindet, einen Weg bahnte.“

Gibt es eine Parallele?
Die Schilderung des Brandes zeigt eine Parallele zum jüngsten Brand am 25. Juli 2024, denn anno 1905 steht geschrieben: „Weithin leuchteten die roten Rauchmassen...“ Auch damals gab die Feuerwehr ihr Bestes und verhinderte, dass sich das Feuer auf die Nachbargebäude ausbreitete.
Und doch: „Der ganze obere Stock ist ausgebrannt; sämtliche hier aufgestapelte zum Versand bestimmte Waren sind vernichtet worden. (...) Die Firma ist versichert“, steht im Hegauer Erzähler. Der Schaden am Gebäude wurde damals auf etwa 50.000 Mark und der Schaden am beweglichen Vermögen, wie beispielsweise Maschinen, auf zusätzlich 80.000 Mark geschätzt. 130.000 Mark entsprechen gemäß der Tabelle Kaufkraftäquivalente der Deutschen Bundesbank heutzutage rund einer Million Euro.