Mit Blick auf die Ukraine, die im Auftrag des russischen Präsidenten Wladimir Putin bombardiert wird, sagt Karin Becker, Intendantin des Stadttheaters: „Wer den Krieg überlebt, dessen Seele wird zerstört sein“. Dann entschuldigt sie sich schon mal für die Wortwahl, die sein müsse, um die Lage zu beschreiben: „Herr Putin: Sie sind ein Dreckschwein!“

Das könnte Sie auch interessieren

Becker ruft zu Spenden für die Ukraine auf. Viele der rund 50 Zuschauer in der Spiegelhalle applaudieren. Die Vorstellung „Sprache gegen die Tyrannei“ am Sonntagvormittag, 6. März, ist ein Bekenntnis gegen den Krieg, auch weil Worte Waffen des Widerstands sein können. Akteure des Stadttheaters hatten das Programm innerhalb einer Woche auf die Beine gestellt.

Schauspieler lesen Texte, die beschreiben, wie der Krieg auch die Wahrnehmung verändert, und wie Menschen reagieren, die gerade unter Beschuss sind. Die Fotografin Sina Opalka, die vor einigen Wochen junge Menschen aus der Ukraine porträtiert hatte, befragte sie jetzt nochmals zum Krieg. „Ich fühle mich wie in der Falle“, sagte ein 29-Jährige.

Bruderkrieg – ein Begriff der Propaganda

Die 22 Jahre alte Diana Kostenko studiert in Konstanz Biologie, sie kommt aus dem Land, das gerade attackiert wird. Sie spricht auf Englisch in der Spiegelhalle. Ihre Worte werden übersetzt. Sie sagt, dass es sich bei dem blutigen Konflikt in der Ukraine nicht um einen Bruderkrieg handle. Der Begriff sei vielmehr einer aus der russischen Propaganda. Sie stellt dar, wie ihr Land immer wieder nach Eigenständigkeit strebte, aber die meiste Zeit besetzt war.

Die ukrainische Studentin Diana Kostenko meldet sich bei einer Solidaritätsaktion des Theaters für die Ukraine zu Wort.
Die ukrainische Studentin Diana Kostenko meldet sich bei einer Solidaritätsaktion des Theaters für die Ukraine zu Wort. | Bild: Claudia Rindt

Einer, der 1990 für die Freiheit ihres Landes hungerte, sei ihr Vater gewesen. Sie erzählt, wie auch sie 20 Jahre ihres Lebens russisch gesprochen habe und dennoch immer im Herzen eine Ukrainerin geblieben sei. Als sie 15 Jahre alt war, habe sie einen 22 Jahre alten Freund verloren. Er sei von einem Russen erschossen worden. Nun werde die Zivilbevölkerung ihres Landes von russischen Truppen bombardiert.

„Wenn wir verlieren, dann ihr auch“

Noch sei ihre Familie am Leben. Jedenfalls sei dies noch vor sieben Stunden der Fall gewesen, als sie übers Internet erreichbar war. Diana Kostenko rief dazu auf, ihr Land zu unterstützen. „Wir sind euer Puffer. Wenn wir verlieren, ihr auch.“ Von großem Schmerz spricht die Ukrainerin Nataliia Andryshyn, die ein ukrainisches Gedicht vorträgt. Leider könne sie nicht sagen, es werde alles wieder gut.

Nataliia Andryshyn trägt ein ukrainisches Gedicht vor. Sie sagt, sie empfinde großen Schmerz, wenn sie in die Heimat blicke.
Nataliia Andryshyn trägt ein ukrainisches Gedicht vor. Sie sagt, sie empfinde großen Schmerz, wenn sie in die Heimat blicke. | Bild: Claudia Rindt

Krieg sei wie Giftmüll. Er erreiche jeden, der in seiner Nähe wohne, heißt es im Text „Kaplane und Atheisten“ von Serhij Zhadan. Burkhard Wolf trägt das Stück des ukrainischen Autors vor. „Wir haben bereits das Wort Krieg in den Wortschatz übernommen“, stellt Katja Petrowskaja in „Mein Kiew“ fest.

„Nun thront da Putin, seit über 20 Jahren“

Die Anthologie der ukrainisch-deutschen Schriftstellerin aus dem Jahr 2014 ist eine düstere Vorhersage der heutigen Ereignisse. Schon im Zusammenhang mit den Protesten in der Ukraine zwischen November 2013 und Februar 2014 (Euromaidan) und den kriegerischen Auseinandersetzungen danach stellte sie eine Zeitenwende fest.

Das könnte Sie auch interessieren

Wie das Machtsystem des russischen Präsidenten Wladimir Putin funktioniert, damit beschäftigt sich Wladimir Sorokin, ein bekannter zeitgenössischer russischer Schriftsteller. Sein Text „Putin ist geliefert“ erschien Ende Februar in der „Süddeutschen Zeitung“. Thomas Fritz Jung und Julian Mantaj tragen den Artikel vor. Wladimir Sorokin beschreibt, wie sich der international geachtete und dem Westen zugeneigte Putin nach und nach zum „imperialen Monster“ entwickelt habe.

Burkhard Wolf liest in der Spiegelhalle einen Text von Serhij Zhadan. Zhadan schildert darin, wie der Krieg auch die Sprache verändert.
Burkhard Wolf liest in der Spiegelhalle einen Text von Serhij Zhadan. Zhadan schildert darin, wie der Krieg auch die Sprache verändert. | Bild: Claudia Rindt

Dies habe mit der Machtpyramide zu tun, die seit der Zeit Iwan des Schrecklichen (1530 bis 1584) in Russland existiere und die alle Revolutionen und Kriege überstanden habe. Wer an der Spitze stehe, sei der Alleinherrscher. „Nun thront da Putin, seit über 20 Jahren.“ Die Pyramide habe den Potentaten vergiftet.

Dieser habe nun den Eindruck, ihm sei alles erlaubt. Putin sei der Idee verfallen, das russische Reich wieder auferstehen zu lassen. Der Präsident werde von vielem gestützt, vor allem aber durch Korruption. Wladimir Sorokin sieht das System Putin dem Untergang geweiht, weil es gegen Demokratie und Freiheit steht.

Katrin Huke singt ein bekanntes russisches Volkslied, das von einem Ukrainer geschrieben wurde. Rudolf Hartmann begleitet sie am Akkordeon.
Katrin Huke singt ein bekanntes russisches Volkslied, das von einem Ukrainer geschrieben wurde. Rudolf Hartmann begleitet sie am Akkordeon. | Bild: Claudia Rindt

Katrin Huke trägt an diesem Sonntag russische Volkslieder vor, Rudolf Hartmann begleitet sie auf dem Akkordeon. Zum international bekannten Titel „Schwarze Augen“ (Otschi tschornyje) hat übrigens ein Ukrainer den Text geschrieben. So klein ist die Welt, so Schönes kann gemeinsam entstehen.