Wir schreiben das Jahr 1611, in der Konzilstadt wütet der Schwarze Tod. Ein Viertel der Konstanzer Bevölkerung hat die Pest bereits dahingerafft, und jeden Tag werden es mehr. Häuser stehen leer, elternlos gewordene Kinder ziehen bettelnd durch die Gassen und die Leichen der Pesttoten werden übereinander gestapelt auf Holzkarren abtransportiert. Die Toten, so erzählt man sich bis heute in Konstanz, wurden aufgrund von Platzmangel auch manchmal im heutigen Kreuzlingen in Gruben begraben. Doch stimmt das?

Laut Stadtarchivar Jürgen Klöckler ist diese Frage nicht einfach zu beantworten. Quellenmäßig nachgewiesen seien in Konstanz die Pest-Epidemien für die Jahre 1357 bis 1359, 1414, 1439, 1574 bis 1575, 1585, 1593 bis 1594, 1611, 1635 und 1679. Vor allem die Epidemien des 17. Jahrhunderts seien wissenschaftlich besonders gut erforscht.

Jeder vierte Konstanzer starb an der Pest

„Zu Ausmaß der Todesfälle und den Bestattungen ergibt sich folgendes Bild: Bei der Pest-Epidemie des Jahres 1611 verstarben von insgesamt 5546 Einwohnern der Stadt 1406 Personen an der Pest“, so Stadtarchivar Jürgen Klöckler gegenüber dem SÜDKURIER. „Das entsprach 25,8 Prozent der Bevölkerung oder bildlich: jeder Vierte starb.“ Gestorben seien viele Kinder und Jugendliche sowie insgesamt mehr Frauen als Männer.

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Unter armen Bevölkerungsschichten sei der prozentuale Anteil der Opfer größer gewesen als unter den Reichen. „Wer mehr als 5000 Pfund Heller versteuerte, somit vermögend war, setzte sich rechtzeitig von der Stadt aufs Land ab und blieb oftmals von der Pest verschont“, sagt Klöckler.

„Bei der Pest-Epidemie des Jahres 1611 verstarben von insgesamt 5546 Einwohnern der Stadt 1406 Personen an der Pest“, sagt ...
„Bei der Pest-Epidemie des Jahres 1611 verstarben von insgesamt 5546 Einwohnern der Stadt 1406 Personen an der Pest“, sagt Jürgen Klöckler, Leiter des Stadtarchivs Konstanz. | Bild: Timm Lechler

Doch wo wurden die vielen Toten aus Konstanz beerdigt? Bestand bei den Verstorbenen der Pestjahre auch nur der leiseste Verdacht, dass sie infolge der Pest gestorben waren, wurden sie auf dem Schottenfriedhof in der Konzilstadt beerdigt.

„Auf dem Friedhof in der Vorstadt Stadelhofen bei der Pfarrkirche St. Jodok, dem Begräbnisplatz der führenden städtischen Geschlechter, durfte hingegen nur bestattet werden, wer aufgrund eines ärztlichen Attests frei von der Pest verstorben war“, sagt Jürgen Klöckler. „Das hatte sicherlich seuchenpolizeiliche Gründe: Der Schottenfriedhof lag außerhalb der Stadtmauern.“

Dazu müsse man wissen, dass im Zuge der Reformation die räumliche Trennung der Toten von den Lebenden vollzogen wurde. Deshalb wurden alle innerstädtischen Friedhöfe um Kirchen aufgehoben, bis auf den Friedhof bei St. Jodok. Und dort, innerhalb der Stadtmauern, durften keine Pesttoten mehr beerdigt werden.

Wurden Konstanzer in Kreuzlingen beerdigt?

Doch wurden nun Konstanzer Pesttote aufgrund von Platzmangel in Kreuzlingen beigesetzt? „Ich kann es nicht ausschließen, aber eben auch nicht quellenmäßig belegen, dass Konstanzer Tote auf der Kreuzlinger Gemarkung beerdigt worden sind“, gibt Klöckler an. „Meines Wissens bestand damals in Kreuzlingen beim Augustiner Chorherrenstift, unmittelbar vor der Stadtmauer gelegen, eine Grablege.“

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Fakt sei dabei, dass das Augustiner Chorherrenstift im Jahr 1650 verlegt und rund einen Kilometer südöstlich wieder errichtet worden war. „Ob daher auch Pesttote von 1611 beim Augustiner Chorherrenstift nahe der Stadtmitte und damit auf der heutigen Kreuzlinger Gemarkung beerdigt wurden, ist freilich ungewiss, aber auch nicht gänzlich unwahrscheinlich.“ Da die Zeit zwischen 1357 und 1594 hinsichtlich der Pestwellen weniger gut wissenschaftlich erforscht ist, ist es auch in dieser Zeit durchaus möglich, dass in jenen Jahrhunderten Leichen von Pesttoten in der Schweizer Nachbarstadt beigesetzt wurden.