„Ich beneide Sie wirklich nicht um die Urteilsfindung“, verdeutlicht der Rechtsanwalt des 35-jährigen Angeklagten die Komplexität des Verfahrens. Es ist bereits der fünfte Verhandlungstag im Prozess um die Schüsse an der Eni-Tankstelle, bei der am 7. Juli 2024 ein Mann durch scharfe Munition schwer verletzt wurde.

Für die beiden Angeklagten im Alter von 35 und 20 Jahren fordert die Staatsanwältin am fünften Prozesstag, 17. Februar, wegen der Schüsse und der vorangegangenen Körperverletzung mehrjährige Haftstrafen. Die Verteidigung plädiert hingegen auf Bewährungsstrafen für die italienischen Staatsbürger.

Richter Joachim Dospil fällt schließlich das Urteil: ein Jahr und neun Monate auf Bewährung für den 20-Jährigen und vier Jahre und sechs Monate Haft für den 35-Jährigen. Letzterer muss zudem ein Schmerzensgeld von 10.000 Euro an das Opfer des Schusses zahlen.

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Darum kam es zu den Schüssen

Der Schießerei an der Tankstelle an der Reichenaustraße ging eine Schlägerei im nahegelegenen Club „Grey“ voraus. Das haben die Zeugenaussagen sowie die Erklärungen der Angeklagten ergeben. Der 35-jährige Angeklagte habe sich wegen eines vorherigen Angriffs auf den minderjährigen Bruder seiner Partnerin rächen wollen. Da er einen 18-jährigen Gast vor der Diskothek für den Angreifer des Minderjährigen hielt, verprügelte er ihn mit einem Schlagstock – obwohl dieser nichts mit dem Vorfall zu tun hatte.

Später entdeckten der 35-Jährige und der 20-jährige Angeklagte den 18-Jährigen und dessen 19-jährigen Freund an der Eni-Tankstelle auf und schlugen erneut zu. Vor Gericht gaben die beiden Angeklagten die Schläge zu und auch, dass sie anschließend auf einem Motorroller zunächst in Richtung Bodenseeforum davongefahren und dann in einem Bogen wieder in Richtung Brücke zurückgekehrt seien.

(Archivbild Juli 2024) Nachdem am frühen Morgen von einem Motorroller aus Schüsse auf eine Menschengruppe abgegeben worden waren, ...
(Archivbild Juli 2024) Nachdem am frühen Morgen von einem Motorroller aus Schüsse auf eine Menschengruppe abgegeben worden waren, sicherte die Polizei den Bereich um die Tankstelle an der Reichenaustraße. | Bild: Florian Förster SWD

Wer jedoch von den beiden auf die Personengruppe schoss und den eigentlich unbeteiligten Mann schwer verletzte, ließ sich vor Gericht nur schwer klären: Der 20-Jährige beschuldigte den 35-Jährigen, während dieser dazu schwieg. Beide betonten jedoch, dass es nie geplant gewesen sei, jemanden zu töten.

Nur einer habe mit Tötungsabsicht gehandelt

Das nimmt ihnen die Staatsanwaltschaft nicht ab, wie im Plädoyer deutlich wird. Laut der Oberstaatsanwältin geschah das Mitführen der Schusswaffe sowie der Schuss auf die Menschengruppe in der Absicht, den bereits verprügelten 18-Jährigen zu erschießen. „Weil die Abreibung mit den Schlägen vorher nicht als ausreichend erschien“, so die Oberstaatsanwältin zu dem Motiv.

Der Tötungsvorsatz sei aber nicht bei beiden Angeklagten vorhanden gewesen, wie noch in der Anklageschrift angenommen: Stattdessen gehe sie nun davon aus, dass allein der 35-Jährige mit Tötungsabsicht gehandelt und deshalb geschossen habe.

Das Gericht hat den 35-jährigen Angeklagten als Schütze der Tankstellen-Schüsse identifiziert und ihn zu vier Jahren und sechs Monaten ...
Das Gericht hat den 35-jährigen Angeklagten als Schütze der Tankstellen-Schüsse identifiziert und ihn zu vier Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. | Bild: Sabrina Morenz

Dem 20-Jährigen könne hingegen nicht eindeutig nachgewiesen werden, dass er von dem geplanten Schuss gewusst habe. „Auch wenn man es kaum glauben möchte, dass er nicht wusste, dass es sich um eine scharfe Waffe handelte.“ Beim 20-Jährigen lässt sie deshalb den Vorwurf des versuchten Mordes fallen und beantragt stattdessen eine Verurteilung wegen mehrfacher gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten.

„Sie haben die Wehrlosigkeit der Gruppe ausgenutzt“

Beim 35-Jährigen hingegen sieht die Staatsanwaltschaft die Anklage des versuchten Mordes weiterhin als gegeben. Warum sonst, so argumentiert die Oberstaatsanwältin, hätte er umdrehen und zum Tatort zurückkehren sollen?

Als der Angeklagte auf die Gruppe geschossen hat, habe er in Kauf genommen, dass Menschen verletzt oder getötet werden. „Sie haben die Wehrlosigkeit der Gruppe ausgenutzt“, betont sie. Die Tat erfülle mehrere Mordmerkmale. In ihrem Plädoyer fordert die Staatsanwältin deshalb für den 35-Jährigen eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten wegen mehrfacher gefährlicher Körperverletzung und versuchten Mordes.

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So lauteten die Plädoyers der Verteidiger

Der Verteidiger des 20-Jährigen stimmt der Staatsanwaltschaft darin zu, dass sein Mandant keinen Tötungsvorsatz hatte. Allerdings hält er die geforderte Strafe für überzogen. Sein Mandant sei noch nicht reif genug, weshalb das Jugendstrafrecht angewendet werden müsse. Zudem habe er ein Geständnis abgelegt und mit seiner Aussage gegen den 35-Jährigen zur Aufklärung beigetragen. Er plädiert deshalb auf eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung und fordert eine Bewährungsstrafe.

Der Verteidiger des 35-jährigen Angeklagten plädiert ebenfalls für eine Bewährungsstrafe und weicht damit deutlich von der Forderung der Staatsanwältin ab. Als Begründung führt er an, dass nicht zweifelsfrei geklärt werden konnte, wer geschossen hat. Dass der 20-Jährige den 35-Jährigen beschuldigt, könne daran liegen, dass er von seiner eigenen Schuld ablenken möchte.

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„Wie hätte er als Fahrer bei der Geschwindigkeit überhaupt schießen können“, fragt der Anwalt. Da nicht zweifelsfrei geklärt werden könne, wer geschossen habe, seien beide vom Vorwurf des versuchten Mordes freizusprechen. Der 35-Jährige sei lediglich wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Strafe von zwölf Monaten auf Bewährung zu verurteilen.

Gefährliche Körperverletzung statt versuchter Mord

Auf eine Bewährungsstrafe beim 35-Jährigen lässt sich das Gericht nicht ein. Stattdessen verhängt der Richter eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Den Schuss wertet das Gericht nicht als versuchten Mord, sondern als gefährliche Körperverletzung. Eine Tötungsabsicht habe nicht vorgelegen, da der Angeklagte freiwillig aufgehört habe, zu schießen. Beim 20-Jährigen macht der Richter vom Jugendstrafrecht Gebrauch und verurteilt ihn zu einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung. „Sie kommen mit einem blauen Auge davon.“

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.