Der dritte Verhandlungstag im Prozess gegen zwei Lehrerinnen, die wegen fahrlässiger Tötung eines siebenjährigen Jungen im Schwimmunterricht angeklagt sind, wird zur emotionalen Achterbahnfahrt. Es geht dabei nicht nur um persönliche Schuld oder Unschuld, sondern auch um die Frage, welche Konsequenzen dieser Prozess vor dem Konstanzer Amtsgericht für den Schwimmunterricht im ganzen Land haben könnte.

Der erste Teil des Tages beginnt so, wie der letzte aufgehört hatte: mit mehreren Anträgen der Verteidiger Gerhard Zahner und Christian Funk. Richter Dennis Fandrousi lehnt sie ab, woraufhin die Anwälte beantragen, dem Richter den Fall zu entziehen, weil er befangen sei.

Doch nach längerer Verhandlungspause steht fest: Richter Fandrousi darf weitermachen. Auch der Rechtsmediziner, dessen Fachkompetenz die Verteidiger angezweifelt hatten, wird erneut als Sachverständiger gehört. Immer wieder drehen sich die Fragen darum, wie Ertrinken vor sich geht und ob es sein kann, dass der verunglückte Junge an seinem Erbrochenen erstickte, bevor er ertrank. Dies hätte eine andere Strafzumessung zur Folge.

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Es fallen viele Fachbegriffe, aber eindeutig sagen kann niemand, zu welchem Zeitpunkt der Siebenjährige erbrach und wie lange es dauerte, bis die Referendarin ihn im Wasser treibend bemerkte. Während Oberstaatsanwältin Claudia Fritschi von „ein bis zwei Minuten“ ausgeht, weil das Kind bereits reanimiert werden musste und dies nur bei Herzstillstand nötig ist, spricht Anwalt Zahner von „nur zehn Sekunden“, bis seine Mandantin ihn barg.

„Kein anderes Verfahren hat mich so angefasst“

Genauso gegensätzlich wie die Zeitangaben sind am Ende die Plädoyers der beiden Parteien. Oberstaatsanwältin Fritschi schickt voraus: „Ich bin seit 20 Jahren Staatsanwältin, aber kein anderes Verfahren hat mich so angefasst. In diesem Fall gibt es nur Verlierer.“

Sie legt den Angeklagten zur Last, am 18. September 2023 fahrlässig gehandelt zu haben, als sie alle 21 Kinder einer zweiten Klasse in ihrer ersten Schwimmstunde gemeinsam ins Becken ließen, „ohne Unterscheidung nach Schwimmern und Nichtschwimmern oder nach Körpergröße“.

Das Interesse bei Zuschauern und Medien ist weiterhin groß, der Saal im Landgericht ist voll besetzt. Hier sind die angeklagten ...
Das Interesse bei Zuschauern und Medien ist weiterhin groß, der Saal im Landgericht ist voll besetzt. Hier sind die angeklagten Lehrerinnen mit ihren Verteidigern sowie der Anwalt der Nebenklage zu sehen. | Bild: Hanser, Oliver

Weiter hätten die Lehrerinnen zugelassen, dass die Kinder sich frei im gesamten Nichtschwimmerbereich bewegen, obwohl das Becken schnell tiefer wird und viele Kinder schon weit vor der Trennleine nicht mehr stehen können. „Die Kinder sollten sich anspritzen, durften auch schwimmen und tauchen, Sie hatten nicht die Übersicht über alle Kinder, nicht einmal über die sechs Nichtschwimmer.“

Eine Abfrage im Bad, wer diese sechs Kinder sind, sei nicht erfolgt, außerdem hätten die Lehrerinnen keine Schwimmhilfen angeboten. „Durch dieses Verhalten haben Sie eine Gefahrenquelle geschaffen und Ihre Sorgfaltspflicht verletzt“, hält sie den Pädagoginnen vor und erhöht ihre ursprüngliche Strafzumessung. Zunächst hatte sie einen Strafbefehl mit milderer Strafe angeboten. Hätten die Angeklagten ihn akzeptiert, hätte es kein öffentliches Verfahren gegeben.

(Archivbild) Hier im Hallenbad am Seerhein geriet der Siebenjährige am Montag, 18. September 2023, unter Wasser. Wenige Tage später ...
(Archivbild) Hier im Hallenbad am Seerhein geriet der Siebenjährige am Montag, 18. September 2023, unter Wasser. Wenige Tage später starb er in Singen im Krankenhaus. | Bild: Steinert, Kerstin

„Ich war davon ausgegangen, dass die Angeklagten zu ihrer Schuld stehen, was sich aber zu meiner großen Verwunderung nicht so zutrug“, so Fritschi. „Stattdessen wollen Sie die Schuld auf die Kinder abwälzen und widersprechen der Verlesung von Aussagen, lassen keine Nachfragen zu.“

Aus fahrlässiger Tötung durch Unterlassung macht sie Fahrlässigkeit durch aktives Tun. Sie plädiert auf elf Monate Freiheitsstrafe für die Referendarin und ein Jahr und zwei Monate für die Lehrerin, beides zur Bewährung von drei Jahren ausgesetzt, plus je 10.000 Euro Schmerzensgeld an die Eltern.

Verteidiger fordern hingegen „klaren Freispruch“

Deren Anwalt Dubravko Mandic schließt sich an. „Fahrlässigkeit ist im Strafrecht kein harter Vorwurf, aber Täterinnen sind sie trotzdem“, sagt er. „Wir alle leben jeden Tag mit Risiken und meistens geht alles gut, weil wir Schutzengel oder Glück haben. Aber wenn etwas schiefgeht, muss sich derjenige dafür verantworten.“

Rechtsanwalt Zahner deutet die Lage komplett konträr. „Unsere Mandantinnen haben sich genau an die Richtlinien des Kultusministeriums zum Schwimmunterricht gehalten, sie sogar übertroffen. Denn statt einer vorgeschriebenen Pädagogin waren zwei im Bad.“

(Archivbild) Die Frage, ob das alte Hallenbad am Seerhein für Schulschwimmen geeignet ist, kommt im Prozess ebenfalls auf. Schon immer ...
(Archivbild) Die Frage, ob das alte Hallenbad am Seerhein für Schulschwimmen geeignet ist, kommt im Prozess ebenfalls auf. Schon immer hängt die Leine zwischen Schwimmer- und Nichtschwimmerbereich bei einer Wassertiefe von 1,35 Metern. | Bild: Hanser, Oliver

Sie hätten sich so positioniert, dass sie die Kinder im Blick hatten. „Mehr können wir im Hinblick auf die Sorgfaltspflicht nicht erwarten“, so Zahner. Schwimmhilfen seien bei der Wassergewöhnung gerade nicht erwünscht, weil sie die Kinder nicht die Eigenschaften des Wassers spüren lassen. Auch die Aufteilung der Kinder in Gruppen sei falsch: „Unsere Mandantinnen haben alle Kinder als Nichtschwimmer betrachtet.“

Der Siebenjährige habe einen unbeobachteten Moment genutzt, um sich „entgegen den Anweisungen der Lehrerinnen an die Trennleine zu schlängeln“. Die Anwälte sind von der Unschuld der Angeklagten überzeugt und fordern einen „klaren Freispruch“ – auch weil bei einem anderslautenden Urteil kein Schulschwimmen mehr möglich sei.

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Und dann sagt Gerhard Zahner etwas, wofür er Kopfschütteln im Publikum erntet: „Zu meiner Schulzeit haben die Eltern den Kindern das Schwimmen beigebracht, aber da hatten wir noch keine Migrationsgesellschaft.“

Beide Angeklagten bedauern Unfall unter Tränen

Das letzte Wort haben die Angeklagten. „Ich bin eine verantwortungsbewusste Lehrerin und fühle mit den Eltern des Jungen, ich kann mir ihr Leid kaum vorstellen“, sagt die Ältere der beiden unter Tränen und ergänzt: „Das Unglück hat auch mein Leben und das meiner Familie stark beeinträchtigt.“

Die Referendarin, die am Unglückstag ihre allererste Schwimmstunde abhielt, sagt: „Der Unfall tut mir von ganzem Herzen leid und ich würde den Tag gern ungeschehen machen. Ich wünsche mir aber auch, dass ich den Beruf, den ich sehr liebe, weiter ausüben darf.“ Im Fall einer Vorstrafe dürfte sie zehn Jahre lang nicht als Lehrerin arbeiten.

Am Ende eines achtstündigen Verhandlungstages fällt kein Urteil. Es wird am Dienstag, 25. Februar, 9 Uhr, im Landgericht verkündet.